Covid-19, Verschwörungstheorien, Rassismus, Klimawandel und viele andere Dinge geben derzeit in der Tat Anlass zur Hoffnungslosigkeit. Warum wir die Hoffnung dennoch nicht aufgeben sollten, thematisiert Florian Maiwald in seinem neuen Beitrag.
Wirft man einen Blick auf das derzeitige Weltgeschehen, so lässt sich unter anderem die Frage stellen, welche Schlussfolgerungen man ziehen soll. Der tragische Tod von George Floyd, welcher verdeutlicht, dass der Rassismus – bedingt durch seine Systemimmanenz noch nicht aus unseren Gesellschaften verschwunden ist. Die Covid-19 Pandemie mit all ihren weitreichenden gesundheitlichen, ökonomischen und politischen Konsequenzen (Stichwort: Verschwörungstheorien). Die Proteste in Hongkong, bei denen die Menschen nicht mehr als eine universelle Anerkennung ihrer grundlegenden Menschenrechte fordern. Und was nicht zu vergessen ist: Der Klimawandel.
Man braucht diese Aspekte nicht im Detail zu erläutern, um zu verstehen, dass wir in einem Zeitalter leben, in welchem es mit dem Vernunftgebrauch – diejenige Autorität, welche einst im Zeitalter der Aufklärung die kirchliche Autorität ersetzen sollte – am Ende scheint. Das Wort scheint sei an dieser Stelle bewusst hervorzuheben, denn wie so oft kann der Schein auch trügen.
All diese Dinge geben in der Tat berechtigten Anlass zur Hoffnungslosigkeit, da Vernunft, Anstand und Sitte in unserem gegenwärtigen Zeitalter nicht mehr viel zu zählen scheinen.
Dennoch birgt sich in der Hoffnungslosigkeit selbst – um auf einen Buchtitel Slavoj Žižeks anzuspielen – eine gewisse Form des Muts, da durch die Hoffnungslosigkeit selbst erst wieder Fundamente für neuere Formen der Hoffnung gelegt werden. Denn nur wer den gegenwärtigen Zustand als hoffnungslos einordnet, kann nach geeigneten Alternativen suchen.
Ob Weltpolitik, Privatleben, Historie oder Gesellschaftspolitik: alles ist letztendlich ein trial and error Prozess. Karl Popper lag richtig, als er grundlegende Prozesse der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung auf unser eigenes Leben übertrug. Denn es scheint in der Tat richtig, dass wir in Hypothesen leben. Stellt sich die eine Hypothese als falsch heraus, stellen wir einfach eine neue auf, um uns dem Prinzip der Wahrheit graduell immer weiter anzunähern. Dabei bleibt jedoch stets anzumerken, dass wir das Ideal der Wahrheit niemals vollständig erreichen werden.
Diese Erkenntnis scheint in unserem gegenwärtigen Zeitalter mehr als bedeutsam und sollte in der Tat Anlass zur Hoffnung geben, denn letztendlich ist der Weg das Ziel.
Wie also reagieren, wenn wir über die gegenwärtig zu schwinden scheinenden Ideale der Aufklärung lamentieren?
Hierzu sei zunächst auf den 1784 vom Immanuel Kant veröffentlichten Aufsatz Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? zu verweisen.
In den ersten Zeilen definiert Kant den Begriff der Aufklärung als den
„[…] Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines eigenen Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen […]“ (Kant, 1784, 7)
Es gibt jedoch eine wunderschöne Zeile in Kants Aufsatz, welche weit weniger zitiert wird, aber dennoch – gerade im Hinblick auf die heutige Zeit – den größten Nährboden für Hoffnung darstellt. Gerade mal ein paar Seiten weiter führt Kant aus:
„Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung“(ebd., 1784, 14).
Aufklärung ist, ebenso wie das mit dieser verbundene Prinzip der Wahrheit, immer als ein Prozess zu verstehen, welcher niemals den Anspruch auf Endgültigkeit erheben kann, aber nach dem wir jederzeit streben sollten. Dieses Streben bleibt ein ständiger trial and error-Prozess, oder, um es mit Poppers Worten auszudrücken, ein ständige Falsifikation von Hypothesen, deren endgültige Verifikation wir aber niemals erreichen werden.
Dieses Streben nach Wahrheit, Vernunft, neuen Hypothesen und aufklärerischen Idealen sehen wir auch immer noch im gegenwärtigen Weltgeschehen. Ich würde sogar behaupten, dass wir im aufgeklärtesten Zeitalter überhaupt leben. Dies lässt sich nicht zuletzt an all den zahlreichen Protesten veranschaulichen, welche derzeit auf der ganzen Welt stattfinden. Damit sind vor allem diejenigen gemeint, die für eine Welt demonstrieren, in der Rassismus keinen Platz haben darf. Die Demonstranten in Hongkong, welche – trotz massiver Drohungen aus Peking – weiterhin für die universelle Gültigkeit von Menschenrechten kämpfen.
Und nicht zuletzt seien all die Menschen zu erwähnen, welche weltweit für eine gerechtere, nachhaltigere und CO2- neutralere Zukunft auf die Straße gehen, um den Klimawandel in Schach zu halten. Noch nie waren junge Menschen seit der 68er Bewegung so aktiv wie heute. Mit Vehemenz erinnern sie uns daran, dass der Klimawandel – trotz Corona – keine Pause einlegt.
Nein, das Zeitalter der Aufklärung ist noch lange nicht vorbei. Wir stecken mitten drin, und jeder kann zu diesem Prozess etwas beitragen. Wir müssen nur die gegenwärtige Lage als hoffnungslos identifizieren, und nach alternativen Hypothesen suchen und für diese kämpfen. Und sollten sich diese ebenfalls als falsch erweisen, stellen wir einfach neue auf.
Quellen:
- Popper, K. R. (1994). Alles Leben ist Problemlösen: über Erkenntnis, Geschichte und Politik. München [u.a.]: Piper.
- Kant, I. Beantwortung der Frage, Was ist Aufklärung? Frankfurt a.M: Neuer Frankfurter Verlag.
Titelbild: Alexandra_Koch auf Pixabay