E. A. Rauter: „Dass der Mensch denkt, verdankt er seiner Hand“

Ernst Alexander Rauters Buch „Vom Faustkeil zur Fabrik“, herausgegeben vom Weismann Verlag, wurde ein Bestseller der Alternativbewegung der 1970 Jahre. 

Von Werner Lang

„Das Hirn reagiert auf die Anstrengungen der Hände. Hände verändern nicht nur die Umwelt, auch das Gehirn. Das Gehirn speichert die Erfahrungen, die die Hände beim Arbeiten machen. Mit der Zeit lernt das Gehirn, die Hände genauer zu steuern. Das Gehirn verbindet neue Erfahrungen mit alten. Erfahrungen verwandeln bestimmte Eiweißmoleküle im Gehirn, so bleiben die Erfahrungen aufgeschrieben. Das Gehirn merkt sich die Eigenschaften des Materials.

Menschliches Gehirn ist Ergebnis von Arbeit. Der Unterschied zwischen Mensch und Tier ist vom Menschen erarbeitet.

Die Entwicklung des Menschen und die Ausbildung der Arbeitsfähigkeit ist dasselbe. Durch das Werkzeug bildet sich die Hand. Je häufiger der Mensch ein Werkzeug benutzt und je mehr Werkzeuge er benutzt, umso geschickter wird seine Hand, umso mehr Arbeitserfahrungen sammelt er. Wenn die Erfahrungen eine bestimmte Masse angenommen haben, verwandeln sie sich in Klugheit. Dem Menschen kommen Gedanken. Dass der Mensch denkt, verdankt er seiner Hand“,

schreibt Ernst Alexander Rauter im ersten Kapitel in seinem Buch „Vom Faustkeil zur Fabrik“. Es sollte ein Buch für den Lohnarbeiter werden. Er schreibt: „Wir kommen aus der Schule und wissen nicht, warum wir Arbeiter sind. Solange wir nicht wissen, woher wir kommen, werden wir weitergestoßen wie Blinde auf einem Weg, den andere für uns ausgesucht haben“ und rückblickend auf die Geschichte der Arbeiterbewegung fügt er hinzu, „und der für viele von uns tödlich war“. Dieses Buch, das speziell auf die Frage eingeht, warum die Werkzeuge die Menschen und die Menschen die Werkzeuge verändern, soll auch den LohnarbeiterInnen helfen zu verstehen, wer sie sind, damit sie fähig werden zu bestimmen, wie sie weitergehen wollen.

Nicht das, was wir nicht wissen, bringt uns zu Fall, sondern das, was wir fälschlicherweise zu wissen glauben, schreibt Mark Twain.

Wenn heute in der Schule gelehrt wird, dass die Geschichte des Menschen alleine das Werk ihrer Gedanken ist, so kann man daraus keine Zusammenhänge ableiten, weil die Welt der Arbeit (Arbeit als Stoffwechsel mit der Natur) dadurch zu kurz kommen muss. Auch bleiben die ArbeiterInnen und ihre Lebensweise ausgeklammert. E. A. Rauter geht in seinem Buch einen anderen Weg. Er zeigt auf, weshalb die Menschen Gedanken entwickeln und wie die Entwicklung der Werkzeuge die Gesellschaftsform der verschiedenen Geschichtsepochen bestimmt hat.

E.A. Rauter, geboren am 27. April 1929 in Klagenfurt; gestorben am 8. März 2006 in München, war ein österreichischer Schriftsteller und Sprachkritiker. Er arbeitete als Kolumnist für die linke Zeitschrift „konkret“ und arbeitete als Lehrer für Schreibende, hielt Seminare und verfasste Reiseführer.

Sein Buch „Vom Faustkeil zur Fabrik“, herausgegeben vom Weismann Verlag wurde ein Bestseller der Alternativbewegung der 1970 Jahre. Er schreibt dazu: Anfang der fünfziger Jahre schrieb Kuczynski ein Buch mit dem Titel „Vom Knüppel zur automatischen Fabrik – Eine Geschichte der menschlichen Gesellschaft“. Der Weismann Verlag wollte das Buch neu auflegen. Das Kollektiv vereinbarte, ich schreibe das Buch um. Ich stellte fest, ich konnte das Buch nicht umschreiben, mir fehlen die Kenntnisse. Ich konnte die Form nicht ändern, weil ich zu wenig vom Inhalt verstand. Das habe ich erst während des Umschreibens gelernt. Je mehr ich gelernt habe, umso mehr wurde das Manuskript ein Buch von mir. Das hat drei Jahre gedauert. In diesen drei Jahren haben mehrere Freunde das Manuskript gelesen und dadurch vieles verbessert.

Daraus wurde ein spannendes und vor allem verständliches Geschichtsbuch. Denn im herkömmlichen Geschichtsunterricht erleben wir noch immer eine willkürliche Abfolge von Fakten. Aber um Fragen beantworten zu können, z. B. warum die Germanen keine Sklaven hielten, woran das Römische Reich zugrunde ging, wer um was im Dreißigjährigen Krieg kämpfte, was ein Oliver Cromwell wollte, und ob die Jakobiner eine Schreckensherrschaft waren, muss man Zusammenhänge verstehen.

In sorgfältig formulierten Sätzen erklärt E. A. Rauter, wie bestimmte materielle Verhältnisse (Produktionsbedingungen) jeweilige soziale Verhältnisse (Produktionsverhältnisse) hervorbringen. Auch wenn es in manchen Details aus wissenschaftlicher Sicht heute veraltet ist, so erklärt dieses Buch historische Zusammenhänge verständlich und prägnant. Ein Muss für jede/n LohnarbeiterIn, der seine eigene Geschichte verstehen will.

Bekanntheit erlangte E. A. Rauter mit seinem 1971 auch im Weismann Verlag erschienenen Sachbuch, „Wie eine Meinung in einem Kopf entsteht oder Das Herstellen von Untertanen“.

In dem Buch erklärt er, wie Informationen in die Köpfe der Menschen gepflanzt werden, um ihr Urteil ihren Ansichten entsprechend zu formen und folglich ihr Verhalten, als auch praktisch ihr ganzes Leben zu bestimmen. Er schreibt: Viele Arbeiter sagen zum Beispiel “Das Geld arbeite”, obwohl nicht das Geld arbeitet, sondern sie. Arbeiter oder Angestellte sprechen nach, was sie gehört haben. Woher haben sie diesen Gedanken, der die Welt auf den Kopf stellt? Die Wirtschaftslehrer an den Schulen und Hochschulen behaupten dasselbe seit vielen Jahrzehnten. Sie sagen, der Boden, das Kapital und die Arbeit seien »Produktionsfaktoren« (»Macher«). Das Kapital macht nichts, der Boden macht nichts, die »Arbeit« macht nichts.

Die Arbeiter machen, die Angestellten machen, manche Unternehmer machen. Was könnte der Grund sein für die Zählebigkeit solcher Verdrehungen? Der Grund könnte in der Wirkung liegen. Die Wirkung dieser Darstellung der Produktion ist, dass Arbeiter und Angestellte das Kapital bei der Produktion für wichtiger halten als sich selbst, obwohl sie das Kapital machen. Diese Bescheidenheit ist die Wirkung. Sie ist eine Eigenschaft von Untertanen.

Und an anderer Stelle: „Was wir von den Bedingungen wissen, unter welchen wir handeln, entscheiden wir nicht selbst. Was wir von diesen Bedingungen wissen, hängt ab von den Informationen, die wir bekommen. Unser Einfluss darauf, welche Informationen wir bekommen, ist begrenzt. Wir können nicht Informationen finden, von welchen wir nicht wissen, dass sie uns fehlen. Bestimmte Informationen sind Besitz.“

Als Zusammenfassung der zwei Bücher von E. A. Rauter können wir davon ausgehen, dass zu allen Zeiten die Reichen und Mächtigen den Besitzlosen und Ausgebeuteten gesagt haben, ihr Staat sei ein gerechter Staat. „Nach allem, was man heute in der Schule, im Fernsehen und in den Zeitungen erfährt, leben wir in einem demokratischen Staat. Wo liegt der historische Punkt, an dem die Macht in die Hände der Mehrheit übergegangen ist?“, fragte sich E. A. Rauter. Er hat diesen Punkt nicht gefunden. Aber er kam zu einer anderen Einsicht: „alle gesellschaftliche Katastrophen dieses Jahrhunderts (20 Jahrhundert) einschließlich der Hungerkatastrophen, sind privaten Ursprungs. Wie anders entstehen Kriege, wenn nicht privat? Die nächsten Katastrophen sind schon vorprogrammiert.

Die privaten Monopolchefs verschwenden unsere Rohstoffe, um Waren herstellen zu lasen, die immer schwerer zu verkaufen sind; sie sparen aus Konkurrenzgründen an den Kosten, die zur Schonung unserer Luft und unserer Gewässer notwendig sind. In ihrem gigantischen Kampf um Anteile am Weltmarkt sind sie nicht in der Lage, auf Rohstoffe und Umwelt Rücksicht zu nehmen. Dadurch geraten die Leiter immer mehr in die Klemme. Sie provozieren den Aufstand der Hersteller durch Produktionsverbote (“Arbeitslosigkeit“), durch Vergiftung von Wasser und Luft und Nahrungsmitteln, durch von Rohstoffen, die Meere, durch piratenhafte Nutzung.“

Auch aus dieser Erkenntnis heraus, die er sich bei der Erstellung seines Buches „Vom Faustkeil zur Fabrik“ erarbeitet hat, kann er sagen:

„Je länger es dauert, bis wir die Fesseln der Warenproduktion abwerfen. Umso enger werden sie, umso schlimmer werden unsere Verletzungen. Zum Aussuchen bleibt uns außer sozialistisch geplanter Befriedigung unserer Bedürfnisse die faschistische Hölle. Das läßt sich berechnen.“

Literatur:


Werner Lang, geboren 1955 in Hönigsberg, lebt in Wien. War tätig als Betriebsschlosser, Schweißer, Monteur, Verschieber, Lokführer, Kranführer, zerstörungsfreier Werkstoffprüfer. War in der Gewerkschaftsbewegung, Friedens- und Umweltbewegung aktiv. Weiters: Ausstellungen, Vorträge, Puppentheater für Erwachsene, Kleintheater. Schreibt für die Kulturzeitschrift Tarantel und theoretische, sozialpolitische Artikel für das Magazin des Gewerkschaftlichen Linksblocks „Die Arbeit“. Letzte Veröffentlichungen: Vor Ort; Theaterstück (Sonderheft Tarantel) Arbeitswelten in Bild und Wort (VIZA Edit 2012) Gasthaus Sudy, ein Theater (edition tarantel 2013) (Herausgeber) Erich Zwirner: Schreib! Arbeiter! (edition tarantel), 2013 (Herausgeber) Eva Priester: Der Weltkrieg I – Ende und Anfang, edition tarantel, Tarantel Werkkreis Literatur der Arbeits (losen) Welt, Wien 2014 „Herzblut“ Beschädigte/r Erzähler/Erzählungen, Herausgeber: Werkkreis Literatur der Arbeitswelt – Werkstatt Wien, mit Unterstützung der MA 17/ Kulturabteilung der Stadt Wien, edition tarantel, 2016
2018 „Stramm“ Ein Buch über Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnisse in österreichischen Industriebetrieben in Form einer Erzählung von einem Werksarbeiter, transfer EditionUnterstützt vom Österreichischen Bundeskanzleramt. 2020 Zweite Auflage, Unterstützt vom Land Steiermark. Kultur, Europa Außenbeziehungen.

Titelbild: Berkan Küçükgül auf Pixabay


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