Jahr für Jahr geben die europäischen Fußballklubs Milliarden auf dem Transfermarkt für neue Spieler aus. Doch lohnen sich diese hohen Ausgaben überhaupt? Wir werfen einen Blick auf die vergangene Saison in England, Italien, Spanien und Deutschland und vergleichen Endtabelle mit „Geldtabelle“ – mit überraschenden Ergebnissen.
von Moritz Ettlinger
Inhalt
1. Einführung & Erklärung
2. Spanien
3. Deutschland
4. Italien
5. England
„Geldtabelle“ – Was soll das sein?
„Geldtabelle“ – ein zugegeben etwas provokanter Begriff. Gemeint ist damit eine Rangliste von Vereinen einer Liga, gereiht nach Höhe der Transferausgaben in der aktuellen Saison. Beispielsweise hat Real Madrid in den vergangenen beiden Transferfenster (Sommer 2019, Winter 2020) insgesamt 352,5 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben.
Das ist Höchstwert in der Primera División, womit die Königlichen in der spanischen Geldtabelle für die Saison 19/20 auf Platz 1 liegen. Diese Tabelle könnten also genauso gut „Tabelle der Ausgaben in der Saison 19/20“ heißen, wir haben uns in aller Kürze für “Geldtabelle” entschieden.
Mittlerweile haben die vier großen europäischen Ligen die Saison abgeschlossen und die Endtabellen stehen fest. Diese vergleichen wir nun mit den jeweiligen Geldtabellen. Liegt eine Mannschaft etwa in der realen Tabelle auf Platz 13, in der Geldtabelle auf Rang 2, kann man daraus schließen, dass die Transfers, die vor oder während der vergangenen Saison getätigt wurden, der Mannschaft nicht zum erhofften Erfolg verhelfen konnten.
Andererseits, liegt ein Team in der Endtabelle auf Rang 4, in der Geldtabelle wiederum nur auf Rang 15, wurde mit verhältnismäßig geringem finanziellen Aufwand ein verhältnismäßig großer Erfolg erzielt.
Das Ganze hat natürlich Einschränkungen in Sachen Aussagekraft. So liegt der FC Liverpool trotz Meistertitel in der „Geldtabelle“ nur auf Rang 18, weshalb man denken könnte, der FC Liverpool hätte ohne viel Geld auszugeben den ersten Meistertitel nach 30 Jahren eingefahren.
Wenn man sich aber die Ausgaben der Reds in der vergangenen Saison ansieht, wird deutlich, dass auch in Liverpool Schweiß und Tränen alleine nicht ausreichen: 182,2 Millionen Euro investierte Jürgen Klopp damals in seinen Kader. Zudem spielen natürlich auch Faktoren wie die Form der Spieler oder die Fähigkeiten des Trainers eine große Rolle.
Dennoch ergibt der Vergleich mit den Ausgaben der aktuellen Saison durchaus Sinn. Denn Vereine geben nicht ohne Grund jedes Jahr hohe Summen für neue Spieler aus. Sie erhoffen sich dadurch einen stärkeren Kader und mit ihm eine steigende Wahrscheinlichkeit zum Erreichen der eigenen Ziele. Erreicht eine Mannschaft also trotz enormer Zahlungen nicht den angestrebten Tabellenplatz, kann man darüber diskutieren, ob es an den Spielern, am Trainer oder an der Transferpolitik allgemein gescheitert ist; fest steht, dass sich die hohen Kosten in dem Fall dann nicht oder nur bedingt gelohnt haben. Jetzt aber zu den eigentlichen Vergleichen.
Spanien – Geld gewinnt Titel
Die spanische Liga ist das Paradebeispiel dafür, wie sehr Geld Tore schießen und Titel gewinnen kann. Die ersten vier Teams der realen Endtabelle finden sich 1:1 so in der Geldtabelle wieder (siehe Grafik). Die Teams mit den höchsten Transferausgaben hatten in Spanien also auch den größten Erfolg. Dahinter wird es dann etwas unregelmäßiger, zwei Dinge stechen allerdings heraus.
Keinen einzigen Cent für neue Spieler hat Athletic Bilbao ausgegeben – und liegt damit auf dem klaren letzten Platz der Geldtabelle. Trotz fehlender Millionentransfers haben es die Basken auf den soliden 11. Platz geschafft: Ein gutes Ergebnis, auch wenn man sich in Bilbao nach einem starken Saisonstart durchaus Hoffnungen aufs europäische Geschäft gemacht hatte. Ebenso stark der FC Granada, der trotz geringen Ausgaben (Platz 17 in der Geldtabelle) eine großartige Saison spielte und auf dem siebten Rang landete.
Das gegenteilige Schicksal ereilte Espanyol Barcelona. Mit Aufwendungen i.H.v. 61,5 Millionen Euro (Platz 7 in der Geldtabelle) war man mit großen Ambitionen in die Saison gestartet, am Ende wurde es dann der 20. und letzte Platz und damit der Abstieg aus der ersten spanischen Liga. Mehr erhofft hatten sich mit Sicherheit auch Real Betis Sevilla (Platz 5 in der Geld-, nur Platz 15 in der Endtabelle) und der FC Valencia (Geldtabelle: Platz 6, Endtabelle: Platz 9).
Deutschland – der „Big City Club“ als große Enttäuschung
Anders verhält sich die Situation in der deutschen Bundesliga. Nach der jahrelangen Vorherrschaft des FC Bayern plante Borussia Dortmund im vergangenen Sommer einen Großangriff auf den Serienmeister und rief die Meisterschaft als Ziel aus. Dementsprechend aktiv war der BVB auch auf dem Transfermarkt – mit 148,5 Millionen Euro an Ausgaben liegt das Team von Trainer Lucien Favre auf Rang 1 der Geldtabelle, knapp, aber doch vor dem FC Bayern (143,5 Millionen Euro).
Dass es am Ende wieder nur für Platz 2 in der Endtabelle hinter den Bayern gereicht hat, ist kein Misserfolg. Einerseits ist der finanzielle Unterschied in Sachen Transferausgaben zum Meister marginal, andererseits hat sich der FC Bayern in den vergangenen Jahren etwas aufgebaut, das nicht in einem Transfersommer umgekehrt werden kann. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, ob es für den zweiten Platz Ausgaben in dieser Höhe gebraucht hätte.
Eine viel größere Diskrepanz zwischen Anspruch und Erfolg findet sich beim „Big City Club“ in Berlin. 110,7 Millionen Euro investierte Hertha BSC in der vergangenen Saison in neue Spieler – macht Platz 3 in der Geldtabelle. Geworden ist es dann der zehnte Rang in der Endtabelle – ohne wirkliche Chance auf die Europa League-, geschweige denn Champions-League-Plätze.
Lobenswert zu erwähnen ist hingegen Herthas Stadtrivale – Union Berlin. Als Aufsteiger mit geringem Budget und ebenso geringen Transferausgaben spielten die Eisernen eine für viele überraschend gute Saison und schlossen diese auf dem 11. Rang ab – nur einen hinter dem großen Konkurrenten.
Italien – Größtenteils „Business as usual“
In der Serie A war vieles wie immer. Juventus Turin gewinnt zum neunten Mal in Folge den Scudetto – kein Wunder bei Transferausgaben von über 220 Millionen Euro. Das ist Höchstwert in Italien und Platz 4 in den europäischen Topligen. Auch der zweite Platz von Inter Mailand ist angesichts des finanziellen Großangriffes (Ausgaben i.H.v. 190 Millionen Euro – Platz 3 in der Geldtabelle) keine allzu große Überraschung.
Dahinter wird es aber zum ersten Mal spannend. Mit spektakulärem Fußball, 98 geschossenen Toren und verhältnismäßig “günstigen” Spielereinkäufen (57,20 Mio. € – Platz 9 der Geldtabelle) spielte sich Atalanta Bergamo auf Platz 3 und in die Herzen vieler Fans. Auch der Vierte, Lazio Rom, steht im Vergleich zu seinen Ausgaben (Rang 11 in der Geldtabelle) gut da. Dennoch dürften die Lazio-Fans etwas enttäuscht sein: Bis zum 30. Spieltag lag man nämlich auf Platz 2, auf Schlagdistanz zu Meister Juventus.
Die Ernüchterung war am Ende der Saison auch beim SSC Neapel groß: Mit Transferausgaben von fast 200 Millionen Euro (Geldtabelle: Rang 2) wollte man ganz vorne mitmischen und den Serienmeister aus Turin herausfordern. Geworden ist es zum Schluss nur Rang 7 – ein herber Rückschlag für die Azzurri.
Auf den Abstiegsrängen landeten US Lecce (Geldtabelle: Rang 20), Brescia Calcio (18) und SPAL (15) – angesichts der großen finanziellen Unterschiede auch kein Wunder. In Stein gemeißelt ist der Abstieg aber trotz geringer Ausgaben nicht: Das zeigten in dieser Saison der 9. Hellas Verona (Geldtabelle: Rang 17), der 11. Parma Calcio (16) und der 13. Udinese Calcio (19).
England – Alle haben Geld, nicht alle setzen es sinnvoll ein
Ein Meister, der nur ca. 10 Millionen für den Titel eingesetzt hat – und das in England! Am Beispiel Liverpool wurde am Anfang dieses Textes erklärt, warum Vergleiche zwischen Geld- und Endtabelle manchmal hinken können. Dennoch zeigt der Premier-League-Titel des FC Liverpool gute Managementqualitäten: Trainer und Klubführung waren offenbar schon am Beginn der Saison überzeugt davon, auch ohne große Transfers in dieser Saison Meister werden zu können – und sie hatten recht.
Umgekehrtes Spiel bei Manchester City. Der Titelverteidiger sah in seinem Kader trotz des Meistertitels noch Verbesserungsbedarf und verpflichtet Spieler um insgesamt 166,82 Millionen Euro. Gelohnt haben sich diese Ausgaben nur bedingt: Am Ende wurde es in der Liga nur Platz zwei – bleibt noch die Hoffnung auf die Champions League.
Der finanzielle Liga-Krösus kommt ebenfalls aus Manchester: 214 Millionen Euro gab Manchester United aus, um an die Spitze der Premier League zurückzukehren. Das gelang mit dem dritten Rang zwar, war bei den Ausgaben aber auch das Mindeste, was zu erwarten war. Und von einer souveränen Saison kann bei den Red Devils sowieso niemand sprechen: Erst am vorletzten Spieltag verbesserte man sich von Platz 5 auf Platz 3.
Den größten finanziellen Bauchfleck legte allerdings Aston Villa hin: Mit großen Ambitionen und Transferausgaben von fast 160 Millionen Euro (Rang 4 in der Geldtabelle) hätten sich Fans und Verantwortliche wohl mehr erhofft als den enttäuschenden 17. Platz, der es am Ende wurde. Nur auf dem achten Platz stand am Ende der Spielzeit 19/20 der FC Arsenal – obwohl über 160 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben wurde (Geldtabelle: Rang 3).
Doch auch in der Premier League gab es Überraschungen. Die erste ist Leicester City, die den fünften Platz erreichten und den Großklubs gehörig auf die Nerven gingen. Die zweite ist Sheffield United, die als Aufsteiger eine starke Saison spielten und auf Rang 9 landeten, wenn auch sie knapp 70 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben haben (Rang 12 in der Geldtabelle).
Was den FC Chelsea betrifft, der Vierter wurde und in Geldtabelle auf den ersten Blick überraschend nur auf Rang 16 liegt: Den Londonern wurde von der FIFA eine Transfersperre auferlegt, weil sie bei Transfers von Jugendspieler gegen Regeln verstoßen hatten. Diese Sperre lief im vergangene Jänner aus, womit Chelsea 2019/20 nur in einer, nämlich der Wintertransferperiode, aktiv werden konnte.
Fazit
Insgesamt ist die Premier League mit Sicherheit die ausgeglichenste, beste und damit auch die spannendste Liga Europas. Dass das so ist, liegt nicht nur, aber hauptsächlich am Geld: In England haben im letzten Fußball-Jahr beispielsweise neun Klubs über 100 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben – in Spanien und Italien sind es fünf, in Deutschland drei.
Um das zu ändern, müssten in den anderen Ligen auch kleinere Klubs (in der Spitze nehmen sich die vier Ligen nichts) ähnliche finanzielle Möglichkeiten haben wie in England. Ob das aber die Richtung ist, in die der europäische Fußball gehen sollte, steht auf einem ganz anderen Blatt Papier.
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Titelbild & Grafiken: Unsere Zeitung/Moritz Ettlinger