Wohnen ist ein Grundbedürfnis der Menschen, welches im Namen der Wettbewerbsfreiheit stark gefährdet wird. Die herkömmliche Bauweise ist auch stark umweltverschmutzend. Wie könnten Bau- und Wohnweisen gestaltet werden, damit ein gutes Leben für alle möglich wird?
Von Josef Mühlbauer
Soziale Exklusivität:
“Mit dem Menschenrecht auf leistbares Wohnen wird heute in ganz Europa spekuliert. Es wird viel zu wenig in bezahlbares Wohnen investiert. Diese beiden Faktoren verstärken die Wohnungsnot und lassen die Boden- und Immobilienpreise explodieren“ – so Karin Zauner-Lohnmeyer, Sprecherin der Europäischen Bürgerinitiative Housing for all.
Die Mietervereinigung in Österreich fordert daher, dass Wohnen in der österreichischen Verfassung als Grundrecht verankert wird (Mietervereinigung 2017). Die Wohnsituation in Österreich wurde auf der Armutskonferenz (2017) folgendermaßen beschrieben:
„6% der Bevölkerung in Österreich klagen über dunkle Räume, 11% der Bevölkerung leben in feuchten, oft auch schimmligen Wohnungen. 7% in Überbelag – davon sind untere Einkommen stärker betroffen. Besonders betroffen sind Menschen, denen eine Leistung aus der Mindestsicherung zusteht: denn durch die Deckelungskürzung der Mindestsicherung hat sich die bereits vorher für viele prekäre Situation noch verschärft. Die Konsequenzen: Menschen leben in Häusern oder Wohnungen die von Schimmel, baulichen Mängeln betroffen sind, haben keinen oder keinen adäquaten Mietvertrag und sind der Willkür der Vermieter ausgeliefert“ (Armutskonferenz 2017).
Ein weiteres Problemfeld ist der Flächenbedarf des Wohnens. Zwischen den Jahren 1951 und 2011 hat sich der Gebäudebestand in Wien mehr als verdoppelt. Besonders hervorzuheben sind die Bezirke Liesing, Donaustadt und Favoriten. Hier hat sich der Bestand sogar mehr als verdreifacht. Von insgesamt rund 920.000 bewohnten Wohnungen in Wien waren im Jahr 2018 fast die Hälfte Single-Haushalte. Die durchschnittliche Wohnnutzfläche pro Wohnung ist im 1. Bezirk am höchsten: Sie liegt bei knapp über 100 Quadratmetern (Statistik Austria – Gebäude und Wohnungen Statistiken). Bezirke die einen durchschnittlich höheres Nettoeinkommen aufweisen, weisen gleichzeitig eine höhere durchschnittliche Wohnfläche (gemessen in m²) pro Person auf (Statistik Austria – Lohnsteuerstatistik).
In den letzten Jahren wuchs die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland Tag für Tag um durchschnittlich 113 Hektar Fläche – das sind also mit anderen Worten mehr als 150 Fußballfelder (Umweltbundesamt 2010). Es stellt jedoch ein hoher Aufwand dar, Gebäude eines Tages wieder abzureißen. Bau- und Abbruchabfälle machen rund ein Viertel des Abfalls aus (Umweltbundesamt 2010). Das Problem liegt wie das deutsche Umweltbundesamt beschreibt im Folgenden:
„Ein- und Zweifamilienhäuser verbrauchen, an der Zahl ihrer Bewohner gemessen, überdurchschnittlich viel Energie, Fläche und Rohstoffe. Und da die Eigentümer der Einfamilienhäuser ihren Wohnflächengebrauch nach Auszug der erwachsenen Kinder selten wieder einschränken, müssen junge Familien wiederum neuen Wohnraum für sich schaffen. Dies führt zur Zerschneidung und Reduzierung von Naturräumen, erzeugt mehr Energie- und Rohstoffverbrauch und verursacht zusätzliche Kosten für die Infrastruktur.“ (Umweltbundesamt 2010).
Seit dem BAWP 2017 (Basisjahr 2015) ist das Aufkommen der Bau- und Abbruchabfälle um rund 11 % angestiegen und betrug 2018 rund. 11,14 Mio. Tonnen (Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt et al. 2020: 10). Das Umweltbundesamt in Österreich brachte 2019 einen Bericht heraus in dem sie ein Abfallvermeidungsprogramm aufgestellt haben. Dieses beinhaltet Prinzipien und Techniken wie Re-Use, Circular Economy und u.a. Lebenszyklusverlängerungen von Gebäuden (Umweltbundesamt 2019).
Auslagerung und Umweltzerstörung
Nach wie vor wird für das mehrgeschossige Bauen in der Stadt vorwiegend Beton eingesetzt. Beton setzt sich aus den endlich begrenzt vorhandenen Komponenten Schotter und Zement zusammen. Die Zementproduktion wird für ca. 6% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich gemacht (vgl. Fürst/Kichler&Schulz 2017). Fast der gesamte global hergestellte Zement wird mit den Materialien Sand, Zuschlagstoffen und Wasser gemischt und wird zur Herstellung von Beton und Zementmörtel für die Bauindustrie verwendet.
Sand ist der nach Luft und Wasser meistgebrauchte Rohstoff der industrialisierten Welt. Weltweit werden dafür die Küsten geplündert und weniger stark industrialisierte Länder müssen dafür einen hohen Preis zahlen. Überall auf der Welt gehen Strände zurück, Schätzungen der UNEP zufolge sind drei von vier Stränden im Verschwinden begriffen (UNEP 2014). Aus ökologischer Sicht ist Zement eine Zeitbombe. Mikroorganismen, Tiere und Pflanzen werden getötet, Lebensräume werden zerstört und viele Menschen, vor allem im globalen Süden, verlieren durch den Sandabbau ihre Lebens- und Existenzgrundlage (UNEP 2014).
Sozial-ökologisches Bauen und Wohnen
Aus bautechnischer Sicht ist diese ressourcenintensive Bauweise nicht notwendig: Bis zu 6-geschossige Gebäude können schon nach heutigen Bestimmungen problemlos nachwachsende Rohstoffen, also organische Rohstoffe, die aus land- und fortwirtschaftlicher Produktion stammen, gebaut werden (vgl. Fürst/Kichler&Schulz 2017). Das Architekturprojekt Vivihouse, gestartet von Michael Fürst, Nikolas Kichler und Paul Adrian Schulz, besteht aus einen modularen Holzskelletbau, welche eine gewisse Grundrissflexibilität zulässt. Sowohl das Holzskellet als auch die Strohisolierung bestehen aus erneuerbaren Materialien und können für bis zu 6-geschössige Gebäude verwendet werden.
Das ermöglicht nicht nur einen ökologisch-nachhaltigen Baustil, sondern ermöglicht sich den Bedürfnissen der Menschen anzupassen, da sie die Innenräume flexibler gestalten und umgestalten können. Jegliche Flächen können nachträglich in dem Holzskellet eingehängt werden. Man kann somit Fassade, Decken und ganze Räume um- und abbauen, so dass z.B. aus einem Büroraum ein Wohnraum entstehen kann. Wie das deutsche Umweltbundesamt (2010) festhielt, ist der Auszug von Familienmitglieder ein Faktor der zur Zersiedelung führt.
Diesem Prozess steuert das TU-Projekt Vivihouse entgegen, in dem es eine Grundrissflexibilität gewährt. Im größeren Maßstab gedacht orientiert sich diese Bauweise nicht nur den individuellen menschlichen Bedürfnissen an, sondern passt sich auch dem Strukturwandel der Gesellschaft an. Anstatt das Gebäude, in Regionen die von der Abwanderung betroffen sind, leer stehen oder abgerissen werden müssen, werden sie nach dem Prinzip von Re-Use effizient abgebaut und andernorts wieder aufgebaut. Damit ist auch die Langlebigkeit dieser Bauweise gewährleistet:
„Möglichkeit offener Grundrisse, die eine Adaptierbarkeit an unterschiedlichen Arten der Raumbefüllung zulassen, tragen heutzutage mehr zur Langlebigkeit bei, als Gebäude in hoher Ausführungsqualität bei monofunktionalem Charakter.“ (Fürst/ Kichler & Schulz 2017: 16).
Die erneuerbaren Rohstoffe dieser Bauweise (Holz, Lehm, Flachs und Stroh) können auf zweifacher Art und Weise in ein System der Kreislaufwirtschaft eingebettet werden. Einerseits können einzelne Bauteile des Gebäudes vollständig recycelt werden, da sie aus organischen Stoffen bestehen, andererseits können ganze modulare Bauelemente an einem anderen Ort wieder aufgebaut werden – so Paul Adrian Schulz im Interview mit dem Varna Institute for Peace Research (VIPR 2020).
Zusätzlich wird mit dieser Bauweise der Bezug zur Regionalität auf eine andere Art und Weise gefördert. Die Regionalen Protagonist*innen die sich vor Ort befinden, seien es die Bauherren und Baufrauen, seien es die Handwerksbetriebe oder die landwirtschaftlichen Betriebe welche die Materialien zur Verfügung stellen, werden alle in den Bauprozess eingebunden.
Da das deklarierte Ziel von Vivihouse die Konvivialität ist, strebt diese Bauweise darüber hinaus flache Hierarchien und ein gemeinschaftliches Leben an. Konvivialität, oder lebensgerecht, ist jene Gesellschaft, in der der Mensch das Werkzeug durch politische Prozesse kontrolliert – so der Sozialkritiker der politischen Ökologie Ivan Ilich (zit. In Fürst/ Kichler & Schulz 2017: 18). Konvivialität zeigt an, dass wir Menschen soziale Wesen sind, die voneinander abhängig sind. Diese Denkrichtung stellt die Qualität der sozialen Beziehungen und eine solidarisch organisierte Gesellschaft ins Zentrum der Betrachtung (Adloff 2016).
In der konvivialen Praxis von Vivihouse soll das Bauwesen Entfremdungsprozessen entgegensteuern und sowohl Inklusion als auch Partizipation befördern. Vivihouse steuert der Entfremdung von der Arbeit entgegen in dem sie nach dem Do-it-yourself bzw. Do-it-together-Prinzip Menschen ermutigen das Open Source Wissen der Vivihouse-Architektur zu nutzen und im Selbstbau anzuwenden.
Mit solchen Nischenprojekte die sich gesamtgesellschaftlich etablieren möchten, kann der Weg in eine Postwachstumsgesellschaft geebnet werden.
Josef Mühlbauer studiert im Master Politikwissenschaft und Philosophie. Er schrieb Beiträge für die Arbeiterkammer (Wirtschaft & Umwelt), hielt Vorträge an der Volkshochschule (VHS) und arbeitet ehrenamtlich für das Varna Institute for Peace Research.
Literaturangabe:
Umweltbundesamt (2010): Nachhaltiges Bauen und Wohnen. Ein Bedürfnisfeld für die Zukunft gestalten. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt.
Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (2020): Die Bestandsaufnahme der Abfallwirtschaft in Österreich. Statusbericht 2020, Referenzjahr 2018. Wien.
Umweltbundesamt (2019): Datenanalyse zur Behandlung von mineralischen Bau- und Abbruchabfällen in Österreich. Detailstudie zum Bundes-Abfallwirtschaftsplan. Report 0697. Wien.
Titelbild: Kelly Lacy von Pexels
Dieser Beitrag wurde als Gastartikel eingereicht. Auch Dir brennt etwas unter den Nägeln und Du willst, dass es die Öffentlichkeit erfährt? Worauf wartest Du noch? Jetzt Gastartikel einreichen!