Das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) wird von immer mehr jungen Erwachsenen angenommen, die noch nicht ganz wissen, wohin ihr weiterer Lebensweg führen wird. Die Traumvorstellung, jeden Tag aktiv dabei helfen zu dürfen, Leben zu verbessern, steht dabei im Vordergrund. Doch wie alles im Leben hat auch diese Medaille zwei Seiten.
Eine Einschätzung einer ehemaligen FSJ-Teilnehmerin beim Roten Kreuz in Tirol
Beim Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK) in Tirol kann man sich aussuchen, in welchem Bereich man das FSJ absolvieren will. Es stehen einem der Rettungsdienst, der Bereich der Gesundheits- und Sozialen Dienste, das Kindertageszentrum in Innsbruck, das Heim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Mils und eine Stelle im Landesverband im Bereich Migration zur Auswahl.
Ich habe den Rettungsdienst gewählt. Bei meinem Vorstellungsgespräch in meiner Dienststelle wurde mir bereits gesagt, dass der Rettungsdienst auch Krankentransporte beinhalten würde. Das war für mich kein Problem und somit bekam ich wenige Wochen später meinen Vertrag zugeschickt.
Die positiven Seiten
Kommen wir zuerst zu den guten Seiten des Freiwilligen Sozialen Jahres. Ich lernte viele neue Menschen kennen, darunter ein paar neue gute FreundInnen – und das nicht nur aus Tirol. Denn in meinem Kurs saßen zudem einige „Zuagreiste“ aus anderen Bundesländern sowie Nachbarländern, die entweder bereits hier studierten oder das FSJ zur Vorbereitung auf ein Medizinstudium in Innsbruck nutzten.
Neben neuen FreundInnen lernte ich auch mich besser kennen, weil ich (und davon berichten auch sehr viele FSJ-TeilnehmerInnen) während dieser Zeit eine starke positive Persönlichkeitsentwicklung durchgemacht habe. Da man oft in Situationen kommt, die einem fremd sind, lernt man, mit allem was kommt, umzugehen und auch alles mit Ruhe und Fassung zu tragen, sowie für alles eine Lösung zu finden. Außerdem trifft man auf sehr viele unterschiedliche Menschen und kann somit herausfinden, wie man von anderen wahrgenommen wird.
Ein weiterer positiver Aspekt ist ganz einfach die Freude an der Arbeit. Es ist eine besondere Aufgabe, den Menschen in ihren schwierigen Lebenssituationen weiterhelfen zu können. Man fühlt sich gut, wenn man nach Hause kommt und weiß, heute habe ich aktiv helfen können, Menschenleben besser zu machen. Auch wenn nicht jeder Tag so sinnvoll ist, wie man sich jetzt vielleicht denkt, ist es trotzdem eine einzigartige Erfahrung, die mit kaum einer anderen Tätigkeit zu vergleichen ist.
Nun möchte man sich denken, das klingt ja schon fast wie eine Lobeshymne, doch da muss ich leider enttäuschen. Würde mich jemand fragen, ob ich es weiterempfehlen würde, müsste ich, trotz oben genannter Punkte, verneinen.
Die negativen Seiten
Wie bereits erzählt, wurde ich bereits bei meinem Vorstellungsgespräch darüber aufgeklärt, dass es nicht nur den Rettungsdienst, sondern auch den Krankentransport gibt. Doch was mir verschwiegen wurde ist der sogenannte Bereitschaftsdienst. Und dieser Bereich zerstört ziemlich schnell die Freude am eigentlichen Rettungsdienst und Krankentransport. Denn bei dem Bereitschaftsdienst handelt es sich nicht darum, von zuhause aus verfügbar für eventuelle Personalengpässe zu sein, wie man dem Name nach vielleicht vermuten könnte. Es handelt sich schlicht und einfach gesagt darum, den/die Hausmeister/in spielen zu dürfen. Man muss allein die gesamte Dienststelle sauber halten (Müll entsorgen, Tische putzen, Laub kehren, etc.), oftmals Autos reinigen und Taxifahrten durchführen. Und wenn man gerade nichts zu tun hat während der 12-Stunden-Schicht, die man in der Dienststelle verbringt, muss man sich eben anderweitig beschäftigen.
Ein weiterer Punkt ist für mich die Bezahlung. Diese kann von jedem Träger im gesetzlichen Rahmen festgelegt werden – sie beträgt demnach zwischen mindestens 50% und maximal 100% der Geringfügigkeitsgrenze (das wären Stand 2020 mindestens 230,33 Euro und maximal 460,66 Euro). Beim ÖRK bekommt man als FSJ-TeilnehmerIn ein monatliches Taschengeld von 260 Euro – das ist knapp an der Mindestgrenze. Es ist klar, dass es bei einem FSJ nicht darum geht, das große Geld zu verdienen. Doch ist an die Höhe der Bezahlung auch eine gewisse Wertschätzung geknüpft. Man beachte nur die Verantwortung, den Zeitaufwand, das Motivationsvermögen, die Einfühlsamkeit und die Ausdauer, die bei einem Rettungssanitäter vorliegt. Wäre es da nicht angemessen, mehr dafür zu bekommen?
Ich möchte es auch kurz mit dem Zivildienst vergleichen, ohne diesen dabei schönreden zu wollen. Zivildiener des ÖRK bekommen ca. 700 Euro im Monat – das ist fast das Dreifache. Warum bekomme ich als Frau, die nicht einmal die Möglichkeit hat, einen Zivildienst zu absolvieren, bei gleicher Arbeit ein Drittel?
Zusätzlich kommt nun die Pandemie ins Spiel. Gesundheitsberufe sind unterbesetzt (nichts Neues) und es werden überall Bundesheer-SoldatInnen, Zivildiener und Freiwillige gebraucht, um das System aufrecht erhalten zu können (auch nichts Neues). Doch bekommen außerordentliche Zivildiener eine Grundvergütung in Höhe von 346,70 Euro (netto), einen Zuschlag zur Grundvergütung in Höhe von 189,90 Euro (netto) und eine Pauschalentschädigung in Höhe von 1.292,74 Euro (brutto) für ihren Einsatz ausbezahlt (Stand 2020). Freiwillige und FSJ-TeilnehmerInnen bekommen jedoch nicht einmal ansatzweise diesen Betrag. Nun stellt sich mir die Frage, wieso man hier einen Unterschied zwischen außerordentlichen Zivildienern und Freiwilligen sowie FSJ-TeilnehmerInnen macht. Zugegebenermaßen ist das Gesetz für den außerordentlichen Zivildienst schon etwas älter, aber wie man sieht, wäre es höchste Zeit, dieses zu reformieren.
Jetzt denken sich sicher viele, dass ich das ja freiwillig gemacht habe und jederzeit aufhören hätte können, wenn es mir doch nicht gefällt. Stimmt, ich hätte jederzeit damit aufhören können, doch hätten wir alle, die nicht mit den Bedingungen zufrieden waren, aufgehört, hätte sich die Arbeit für die übriggebliebenen Zivildiener und Hauptamtlichen verdoppelt und es hätte viel mehr Unterstützung von Freiwilligen gebraucht. Das System hätte so nicht mehr funktioniert, und das wollten wir keinem antun – weder unseren KollegInnen noch den hilfesuchenden Menschen.
Fazit
Ich möchte mit diesem Text darauf aufmerksam machen, dass FSJ-TeilnehmerInnen leider zu oft ausgenutzt werden.
Meiner Meinung nach sollte den TeilnehmerInnen und ihrer freiwilligen Arbeit viel mehr Wertschätzung und Aufmerksamkeit entgegengebracht werden. Außerdem muss man noch mehr Anreize schaffen, um das Freiwillige Soziale Jahr attraktiver als einen Job oder ein Zwischenstudium zu machen, gerade wenn Arbeitskräfte im sozialen Bereich so dringend benötigt werden.
Die Autorin dieses Beitrages möchte anonym bleiben. Ihr Name ist der Redaktion bekannt.
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Titelbild: Unsere Zeitung