Lateinamerika ist eine der am stärksten von der Covid-19-Pandemie betroffenen Regionen der Welt. Um die Infektionskurve flach zu halten, griffen viele Länder zu drastischen Maßnahmen, verhängten monatelange Ausgangssperren und schlossen für das gesellschaftliche Leben wichtige Institutionen. Lieferketten wurden unterbrochen und lebenswichtige Dienstleistungen eingeschränkt. Doch Kooperativen und Genossenschaften auf dem ganzen Kontinent standen ihren Mitgliedern zur Seite, um den negativen Auswirkungen der Maßnahmen trotzen zu können.
Von Sabine Schmitz
Corona-Pandemie Ausdruck der globalen Umweltkrise
Mitglieder der „Genossenschaftsbewegung Lateinamerikas“ führten im Juli eine Video-Konferenz durch, um Strategien zu diskutieren, wie sie auf die Pandemie reagieren können. Dabei beklagten sie fehlende politische Ansätze, der Krise ganzheitlich entgegenzutreten, die nach Auffassung der Teilnehmer*innen auch Ausdruck der globalen Umweltkrise ist. Es sei wichtig, dass die Kooperativen ökologische Produktionsweisen voran treiben, denn die Welt stehe vor einer globalen Hungersnot, hebt Francia Borowy, Repräsentantin des „Nationalen Komitees der genossenschaftlich organisierten Frauen Costa Ricas“ hervor. Schon heute verbieten nämlich einige Länder den Export ihrer Produkte, ergänzt Borowy.
Neben Borowy nahmen ein Dutzend Aktivist*innen aus allen Teilen Lateinamerikas an der Video-Konferenz teil. Einer von ihnen war Eduardo Quijano von der Initiative Puerto Rico 4.0, welcher 130 Kooperativen mit mehr als einer Million Mitglieder aus den Bereichen Tourismus, Bildung, Kultur und Landwirtschaft angehören. „Das Genossenschaftswesen zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es Hindernisse zum Positiven wendet“, erklärt Quijano und zählt Schwierigkeiten auf, mit denen die Bewohner*innen der Karibikinsel in den letzten Jahren zu kämpfen hatten: Wirbelstürme, Erdbeben, zurückgehende Ernteerträge und jetzt die Pandemie.
Vorteile von Kooperativen nutzen
Man wolle einen positiven Kreislauf wirtschaftlicher Entwicklung schaffen, der soziale Probleme unternehmerisch angeht. Dabei sollen Marktmechanismen eingesetzt werden und all das, was zu einem erfolgreichen Wirtschaften dazu gehört. Zudem sei aber wichtig, soziale Problem in erster Linie durch interne Selbstorganisation zu lösen, beschreibt Quijano den Ansatz, den die Kooperativen verfolgen.
Das sieht auch Norma Suárez Ríos so. Angesichts der Schließung der öffentlichen Märkte im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca tat sie sich mit gut zwei Dutzend Kleinbäuer*innen zusammen und gründete die Organisation „Productores de Oaxaca“, um ihre Ernte zu vermarkten. Dazu nutzen „Productores de Oaxaca“ die sozialen Netzwerke. Über diese organisierten sie einen Direktvertrieb. Von den Kund*innen bekommt Norma jede Menge positives Feedback. Die Leute bedankten sich für die leckeren Tomaten, sagt sie. Und das motiviere, denn die Großhändler beschwerten sich immer nur.
Aufgrund dieser Erfahrungen sei Norma klar geworden, wie wichtig eine Vermarktung auf Grundlage gerechter Beziehungen und ohne jegliche Art von Missbrauch sei. Das sei im konventionellen Handel keine Selbstverständlichkeit, denn dort zähle nur der Preis, dass alles so billig wie möglich sei, ohne nach den Konsequenzen zu fragen.
Die Menschheit stehe vor einer grundlegenden Krise. Sie müsse deren Ursachen herausfinden und darüber nachdenken, was es zu ändern gilt. Wenn sie das nicht tue, stehe sie bald vor der nächsten Krise, gibt Daniel Elías Plotinsky von der Stiftung „Genossenschaftliche Bildung“ zu bedenken. António Guterres, Generalsekretär der UNO, beschrieb am diesjährigen Weltumwelttag die Ursachen dieser Zivilisationskrise mit folgenden Worten: „Das Coronavirus bedroht die Gesundheit und das Leben auf der ganzen Welt. Um die Menschheit zu schützen, muss die Natur geschützt werden.“
Die Coronakrise als Chance zum Umdenken
Der Argentinier Plotinsky geht noch einen Schritt weiter. Die Krise der menschlichen Zivilisation sei bestimmt durch soziale Ungleichheit und eine Störung des ökologischen Gleichgewichts. In ganz Lateinamerika gibt es gravierende Umweltprobleme. Und keine Regierung habe je versucht, diesen in angemessener Art und Weise entgegenzuwirken. Im Gegenteil, die Fokussierung auf industrielle Großprojekte, um die wirtschaftliche Entwicklung voran zu treiben, habe sich als Falle heraus gestellt. Diese Projekte nützten nur den Eliten, während die von den negativen Auswirkungen Betroffenen ausgegrenzt und kriminalisiert würden – von der Umwelt ganz zu schweigen.
Es gibt eine handvoll Leute, die ein Vermögen zusammen gerafft haben, dass dem der Hälfte der Weltbevölkerung entspricht. Auf der anderen Seite entspricht die Verschuldung der Welt dem dreifachen ihres Bruttosozialproduktes. Deshalb folgt sie einem linearem Wachstumsmodell, welches sie eines Tages an einen Punkt bringen wird, an dem es kein Zurück mehr gibt. Darin sieht Plotinsky den eigentlichen Grund der Zivilisationskrise.
„Es eröffnet sich aber in diesem Moment eine ungeahnte Möglichkeit. Immer mehr Menschen verstehen, dass es nicht darum geht, zur Normalität zurück zu kehren, sondern eine neue Normalität zu schaffen, die auf unseren Prinzipien aufbaut: Demokratie, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Eigenverantwortung und Kooperation.“ Das sieht Plotinsky als große Chance der Coronakrise.
Der Beitrag erschien auf pressenza.com, Kooperationspartner von Unsere Zeitung. Originalartikel: npla.at
Titelbild: Ein Kooperativmitglied der „Productores de Oaxaca“. Foto: Miriam Flores