Für energiearme und finanziell benachteiligte Haushalte stellt die uns alle betreffende Energie- und Klimawende eine besondere Herausforderung dar. Gerade Haushalte mit geringen Einkommen leben oft in Wohnungen und Häusern, die thermisch schlecht ausgestattet sind. Sie müssen daher mit sehr kalten Wohnräumen im Winter, sehr heißen im Sommer zurechtkommen und haben hohe Energiekosten zu tragen.
Von Sandra Matzinger, Dorothea Herzele und Vera Lacina (A&W-Blog)
Die COVID-19-Krise hat ihre Situation durch unterschiedliche Faktoren – weniger Einkommen aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit, höherer Energieverbrauch in der Lockdown-Phase etc. – zusätzlich verschärft. Dieser benachteiligten Gruppe muss jetzt – in der Krise – und auch bei der Energiewende besondere Aufmerksamkeit zukommen. Bei der Umstellung des Energiesystems ist sie auf besondere Unterstützung angewiesen. Es muss das Ziel sein, dass die Teilhabe an einer klimaneutralen Zukunft nicht nur allen ermöglicht wird, sondern dass auch alle davon profitieren.
Energiearmut gab es schon vor der Corona-Krise
Bereits vor der Corona-Pandemie gab es viele Haushalte, die als energiearm zu bezeichnen waren. Dabei spielen unterschiedliche Einflussfaktoren eine wichtige Rolle: Neben finanziellen Faktoren, wie geringem Einkommen oder hohen/steigenden Energiepreisen, spielen auch Wohnverhältnisse bzw. Gebäudeausstattungen (Stichwort thermische Effizienz) sowie soziale und kulturelle Praktiken im Umgang mit bzw. Wissen über Energie, aber auch lokale Besonderheiten (z. B. Stadt-Land-Unterschiede) eine wichtige Rolle.
Betroffene Personengruppen haben dabei eines gemeinsam: Sie können Energie nicht in dem Umfang nutzen, wie sie es gerne tun würden, oder dieses Verhalten bringt sie sehr bald in die Schuldenfalle, falls sie es doch tun. Häufig kämpfen betroffene Haushalte – trotz sparsamen Verhaltens – mit Energieschulden, beispielsweise weil deren Wohnräume schlecht isoliert sind oder Heizungssysteme und Elektrogeräte veraltet und ineffizient sind. Diese Haushalte sind dann sogar doppelt belastet; es ist immer noch kalt in der Wohnung, und Energieschulden müssen bezahlt werden.
Im Jahr 2019 konnten es sich knapp 160.000 Personen in Österreich nicht leisten, die Wohnung im Winter warm zu halten, 372.000 Personen konnten ihre Energierechnungen nicht pünktlich zahlen, über 400.000 Personen konnten sich keine Waschmaschine oder einen Geschirrspüler leisten, und über 820.000 Personen waren mit Feuchtigkeit oder Schimmel in ihren Wohnräumen konfrontiert (158.000 davon waren Kinder und Jugendliche unter 17 Jahren).
In der Krise verschärfte sich die Situation
Während der Corona-Pandemie zeigte sich, wie wichtig eine sichere Versorgung mit Energie ist, denn ohne Strom, Heizung oder Warmwasser wird ein normaler Alltag schnell zur Herausforderung. Da wir plötzlich alle aufgefordert waren, zu Hause zu bleiben, erhöhten sich der Energieverbrauch und dementsprechend auch die Kosten, die Haushalte dafür zu tragen hatten. Diese Situation stellte viele Menschen vor große Probleme, vor allem jene, die davor schon einen großen Anteil ihres niedrigen Einkommens für Wohnkosten (Miete und Energie) aufbringen mussten. Zusätzlich verschärft traf es jene, die aufgrund der Krise in Kurzarbeit geschickt wurden oder sogar ihren Arbeitsplatz verloren.
Die Strom- und Gasversorger reagierten darauf, indem sie eine Vereinbarung mit dem Klimaschutzministerium trafen, wonach sie für den Zeitraum Ende März bis Ende Juni 2020 freiwillig auf Abschaltungen von Strom und Gas bei HaushaltskundInnen und kleinen Unternehmen – auch bei Zahlungsverzug oder Vorliegen von Schulden – verzichteten. In weiterer Folge sollte betroffenen KundInnen mit Ratenzahlungen und Zahlungsaufschub geholfen werden.
Ein Monitoring der zuständigen Aufsichtsbehörde E-Control ergab für die Monate April, Mai und Juni folgenden Befund: Bei Strom wurden über 10.900, bei Gas 3.500 Abschaltungen in diesen Monaten nicht durchgeführt.
Zusätzlich wurden im Strombereich
- bei 24.000 Haushalten Teilzahlungsbeträge reduziert,
- über 19.000 Stundungen gewährt sowie
- rund 7.000 Ratenzahlungsvereinbarungen abgeschlossen.
Dies waren grundsätzlich wichtige Maßnahmen, um Haushalten rasch und unkompliziert Hilfe zukommen zu lassen. Eine nachhaltige Strategie wurde jedoch nicht entwickelt. Was passiert nach Auslaufen der Branchenvereinbarung, wenn Haushalte immer noch finanziell belastet sind? Das Monitoring der E-Control zeigt, dass sich die finanzielle Situation für viele Haushalte seit dem Lockdown nicht verbessert hat – im Gegenteil: Im Juni stiegen die Zahlen nochmals deutlich. Bei Fälligstellung der offenen Energierechnungen droht eine Welle von Abschaltungen.
Dies zeigt auch ein weiterer Bericht der E-Control, der erst kürzlich veröffentlich wurde: So stiegen bei Strom die Abschaltungen wegen Nichtzahlung der Energierechnungen von Juni auf Juli von 321 auf 1.261, im August kamen nochmals rund 1.500 Abschaltungen dazu. Viel alarmierender ist jedoch die hohe Anzahl letzter Mahnungen, also jene Mahnschreiben, in denen die Abschaltung angekündigt wird. Im Vorjahresvergleich zeigt sich, dass Strom- und Gaslieferanten im heurigen Juli doppelt so häufig mahnten als im Juli letzten Jahres In Summe wurden von Lieferanten und Netzbetreibern
- bei Strom im Juli über 42.000 und im August knapp 29.000 letzte Mahnungen versendet
- bei Gas im Juli knapp 11.000 und im August über 8.500.
Offen ist, wie betroffene Haushalte mit diesen letzten Mahnungen umgehen. Für viele ist es schlicht nicht möglich, die offenen Rechnungen fristgerecht zu zahlen. Wichtig wäre daher, diesen Haushalten nun einerseits rasch zu helfen, in dem ähnlich wie im Frühjahr, auf Abschaltungen seitens der Strom- und Gasunternehmen aber auch der Wärmeversorger verzichtet wird – gerade jetzt, wo der Winter vor der Türe steht. Gleichzeitig braucht es aber auch realistische Möglichkeiten für die Haushalte, ihre Energieschulden zahlen zu können. Ein Recht auf Ratenzahlungsvereinbarungen bis zu 24 Monaten könnte diese Entlastung schaffen.
Damit Energiearmut allerdings langfristig und nachhaltig bekämpft werden kann, bedarf es einer umfassenderen Strategie. Wichtig wäre, eine zentrale Anlaufstelle dafür einzurichten, die sowohl beim kurzfristigen Bezahlen von Energierechnungen hilft, mittelfristig eine leistbare und durchgehende Energieversorgung sicherstellt und langfristig energiearme Haushalte bei der Teilhabe an einer klimaneutralen Zukunft unterstützt.
AK fordert Einführung eines Energie- und Klimahilfsfonds
Um einerseits alle bei der Energiewende zu unterstützen und andererseits von Energiearmut betroffenen Personen/Familien nachhaltig zu helfen, fordert die AK einen Energie- und Klimahilfsfonds. Dieser soll einerseits
- als zentrale Anlauf- und Vermittlungsstelle zur Vernetzung unterschiedlicher Stakeholder (beispielsweise Bund/Ministerien, Länder und Gemeinden, aber auch Energieunternehmen, soziale Organisationen, zuständige Behörden) dienen und andererseits
- als Finanzierungsmechanismus die Umsetzung von Maßnahmen der Energieeffizienz und des Klimaschutzes (z. B. thermische Sanierungen, Energieeffizienzmaßnahmen, Heizungstausch, erneuerbare Energien) unterstützen.
Zusätzlich soll der Energie- und Klimahilfsfonds als Kompetenzzentrum agieren, indem er
- Forschungsförderungen für Projekte vergibt, die sich mit der besonderen Lage von einkommens- und/oder energiearmen Haushalten beschäftigen (beispielsweise interdisziplinäre Forschungsprojekte zur umfassenden Analyse von Energiearmut), und
- spezifisches Wissen generiert, um damit nationales sowie internationales Know-how zu bündeln und nationale Initiativen sichtbar zu machen (z. B. durch Zusammenführung von lokalen und regionalen Best-Practice-Beispielen sowie erfolgreichen internationalen Projekten und EU-Initiativen).
Wie soll der Energie- und Klimahilfsfonds ausgestaltet sein?
Wichtig ist, den Fonds als unabhängige Stelle zu verorten und als eigenständige Institution zu etablieren. Angedacht werden könnte eine Art interministerielle Stabsstelle (zwischen Klimaschutz- und Sozialministerium), um damit der Mehrdimensionalität von Energiearmut gerecht zu werden. In der Umsetzung wird es wichtig sein, koordiniert gemeinsam mit den Ländern und Gemeinden vorzugehen. So sollen einerseits Kräfte, Know-how und die Suche nach Umsetzungsmöglichkeiten gebündelt und andererseits Doppelgleisigkeiten verhindert werden.
Um den notwendigen Handlungsbedarf und mögliche Lücken aufzudecken, sollten bereits vorhandene Maßnahmen zur Unterstützung benachteiligter Haushalte zusammengetragen werden, die die vorhandene Vielfalt aufzeigen.
Die Finanzierung des Energie- und Klimahilfsfonds kann aus unterschiedlichen Quellen aufgebracht werden, wie zum Beispiel aus Zahlungen, die im Zuge des Energieeffizienzgesetzes für nicht gesetzte Energieeffizienzmaßnahmen zu tätigen sind, oder durch Mittel aus dem Handel mit Emissionszertifikaten für Treibhausgase (ETS-Handel). Ebenso könnten Mittel aus bereits bestehenden Maßnahmen, wie beispielsweise Förderungen für Heizungswechsel, hierfür verwendet werden.
Damit würde erreicht, dass der Fonds die nötige finanzielle Schlagkraft besitzt, um von Energiearmut betroffene Haushalte auch tatsächlich nachhaltig unterstützen zu können und ihnen auch größere Verbesserungen/Reparaturen im Sinne der Energieeffizienz zu ermöglichen.
Gleichzeitig soll der Fonds als Informationsinstrument bzw. als zentrale Anlauf- und Auskunftsstelle für bundes-, landes- oder gemeindespezifische Maßnahmen/Förderschienen dienen. Zusätzlich wird es vor allem für Forschungsförderungen zu Energiearmut finanzielle Mittel aus dem allgemeinen Budget brauchen.
Österreich könnte eine Vorreiterrolle einnehmen
Sowohl in Bezug auf die Bekämpfung der Energiearmut als auch als treibende Kraft für eine klimagerechte Zukunft könnte der Fonds in dieser Art ein internationales Best-Practice-Beispiel sein, mit dem Österreich eine Vorreiterrolle einnehmen würde. Internationale Forschungsergebnisse zeigen immer häufiger die Notwendigkeit von nationalen „energy poverty observatories“ auf, um benachteiligten Gruppen in der Energie- und Klimawende besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Österreich könnte dies als erstes Land in die Tat umsetzen.
Bereits jetzt gibt es hierzulande eine breite Palette an Förderungen zum Umstieg auf erneuerbare Heizungssysteme oder zur thermischen Sanierung von Wohnraum. Allerdings sind viele dieser Förderungen jedoch aus unterschiedlichsten Gründen für einkommensarme Haushalte schwer zugänglich. Der vorgeschlagene Fonds kann hier überbrückend wirken, indem er diese Probleme aufgreift und umsetzbare Lösungsmöglichkeiten erarbeitet.
Derzeit werden Österreich Versäumnisse bei der Bekämpfung von Energiearmut attestiert
Die EU-Kommission hat die Mitgliedsstaaten bereits beauftragt, Energiearmut zu definieren, zu beobachten und zu bekämpfen. Allerdings hat sie Österreich in der letzten Bewertung des Nationalen Energie- und Klimaplans ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Konkret forderte die Kommission in ihren Empfehlungen, das Konzept von Energiearmut weiterzuentwickeln und zusätzliche Informationen über bestehende und neue Maßnahmen bereitzustellen. Der Energie- und Klimahilfsfonds könnte hier als Kompetenzzentrum genau diese Funktion übernehmen.
Und auch der Rechnungshofbericht hat sich dieses Problems angenommen und in seinem Bericht 2020/23 zu Energiearmut energiewirtschaftliche Maßnahmen evaluiert. Die zentrale Empfehlung war die Entwicklung einer Gesamtstrategie zur Vermeidung und Verringerung von Energiearmut. Finanzielle Unterstützungen ohne flankierende Maßnahmen seien dem Bericht zufolge unzureichend, da diese nur kurzfristige Abhilfe schaffen könnten; nachhaltige Lösungen müssten implementiert werden.
In seiner Stellungnahme zu diesem Rechnungshofbericht hat das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie auf seine eingeschränkten kompetenzrechtlichen Zuständigkeiten hingewiesen und angekündigt, gemeinsam mit den Bundesländern und den auf Bundesebene federführend zuständigen Stellen eine umfassende Strategie entwickeln zu wollen. Genau diese Aufgabe könnte der Energie- und Klimahilfsfonds übernehmen.
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