Rund ein Viertel aller Zuschauer*innen auf Fußballplätzen sind Frauen. Dennoch halten sich hartnäckige Klischees: Frauen gehen nur als Begleitung ihrer männlichen Freunde oder wegen der durchtrainierten Männerkörper ins Stadion, Frauen haben keine Ahnung von Abseitsregel, Tordifferenz oder Viererkette. Das Netzwerk „F_in – Frauen im Fußball“ traf sich nun in Wien, um diesen Klischees etwas entgegensetzen.
Von Renate Nahar (mosaik-blog.at)
Verfall von Weiblichkeit und Burleske
Im Jahr 1889, ein Jahr nach Gründung der englischen Football League, nahmen Frauen in Schottland ihren eigenen Fußballspielbetrieb auf. Damals waren in Deutschland gerade mal die ersten Männerfußballklubs gegründet worden. Österreicher*innen mussten darauf noch weitere fünf Jahre warten. Die Hochblüte des Frauenfußballs in Großbritannien fiel in die Zeit des Ersten Weltkrieges, als der Männerfußballbetrieb zum Erliegen gekommen war. Eine herausragende Rolle spielten dabei die Munitionettes, die Rüstungsarbeiterinnen. Das Finale des Munitionettes Cup 1918 verfolgten 15.000 Zuschauer*innen.
In der zeitgenössischen Debatte wird der Frauenfußball allerdings als Verfall von Weiblichkeit und Burleske gebrandmarkt. Bereits 1921 verbot die Football Association ihren Mitgliedsklubs, Frauenfußballspiele auf ihren Plätzen auszutragen. Sie durften auch keine Trainer oder Schiedsrichter für Frauenfußballspiele stellen. In Österreich und Deutschland, die in der Etablierung des Fußballsports hinterherhinkten, sprachen die Fußballbunde ähnliche Verbote in den 1950er Jahren aus. Erst 1970 hoben die nationalen Fußballverbände diese Verbote wieder auf. In Österreich wurde die 1972 gegründete Damenliga gar erst 1982 vom ÖFB offiziell anerkannt.
Dass Fußball lange Zeit als unweiblich galt ist nicht verwunderlich, denn bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde dasselbe für außerhäusliche weibliche Erwerbsarbeit gesagt. So durften 1970, als die Fußballverbände in England und Deutschland das Frauenfußballverbot aufhoben, Ehemänner immer noch bestimmen ob ihre Ehefrauen einer Lohnarbeit nachgehen konnten. Diese Form der privaten Verfügungsgewalt von Männern über Frauen wurde in Deutschland erst 1977 abgeschafft.
Im Stadion dürfen Frauen laut sein
Den fußballbegeisterten Frauen blieb zu dieser Zeit ohnehin kaum etwas anderes übrig, als Fans von Männerfußballmannschaften zu werden. Material zur Geschichte von weiblichen Fans im Männerfußball ist rar, meint Ellen Simunkova, eine jener beiden Frauen, die die verschüttete Geschichte des Frauenfußballs für das Wiener F_in Treffen zusammengetragen haben. Nicole Selmer, Borussia-Dortmund-Fan und Gründungsmitglied von F_in, hält allerdings fest, dass immerhin einige Untersuchungen an der Universität Leicester den historischen Spuren des weiblichen Fußballinteresses nachgehen. Im Fact Sheet „A Brief History of Female Football Fans“ heißt es etwa:
„Viele Beobachter scheinen zu glauben, dass weibliche Fans ein vergleichsweise neues Phänomen sind und in der Geschichte des Spiels keine oder nur eine unbedeutende Rolle gespielt haben. Das ist jedoch falsch. Auch wenn die Zahl der weiblichen Zuschauer in der Vergangenheit sicherlich manchmal nicht sehr groß war, so scheinen Frauen doch immer einen Teil des Fußballpublikums gebildet zu haben.“
Für viele Frauen ist es allerdings unverständlich, warum weibliche Fans von (Männer)Fußball begeistert sind. Einen der Beweggründe beschreibt Antje Hagel, Fan der Kickers Offenbach und ebenfalls eine der Gründerinnen:
„Aber das Stadion ist natürlich ein besonderer sozialer Raum, in dem Frauen wie Männer laut sein dürfen, eine (ihre) Mannschaft anfeuern können, wo sie fluchen und sich auch mal daneben benehmen können. Die dabei entstehenden mächtigen Gefühle und die latente Aggression, das Aufgehen in der Masse und das Erleben eines Fußballspiels als Rausch, das alles ist auch eine gewaltige Erfahrung. Das Gefühl mittendrin zu sein, Einfluss nehmen zu können auf den Verlauf eines Spiels, auf die Spieler selbst, ist kaum zu beschreiben.“
Sichtbarmachen von Diskriminierung und Sexismus
Andererseits wird der Fußballbetrieb immer noch von Männern und traditionellen Geschlechterbildern dominiert; Diskriminierung und Sexismus stehen auf der Tagesordnung. Sie im Fußball sichtbar zu machen hat sich „F_in“ seit 2004 verschrieben – und dem Kampf dagegen. Das Netzwerk versteht sich als internationaler Zusammenschluss von weiblichen Fans, Fanprojekt-Mitarbeiterinnen, Wissenschaftlerinnen und Journalistinnen, insbesondere im deutschsprachigen Raum. Laut Selbstverständnis steht F_in „für die Verbindung von Frauen und Fußball: dafür, dass Fußball auch Frauensache ist – auf den Rängen, auf dem Platz, in der Gesellschaft.“
Das Projekt will Frauen vernetzen und im Fußballkontext sichtbar machen. Am diesjährigen Vernetzungstreffen, das nach 2011 zum zweiten Mal in Wien stattfand, nahmen etwa 60 Frauen teil, davon ein Drittel Fußballfans aus Österreich. Die für diese Premiere verantwortlichen Wiener Organisatorinnen kommen aus dem Spektrum der Vienna Supporters. So ist es nicht erstaunlich, dass Fans des First Vienna FC einen beträchtlichen Teil der österreichischen Teilnehmerinnen stellten. Daneben fanden jedoch auch Anhängerinnen des Wiener Sportklubs, FC Blau Weiß Linz, SK Sturm Graz und FK Austria Wien sowie eine Funktionärin des Mädchen- und Frauenfußballvereines 23 ihren Weg zum Vernetzungstreffen.
Solidarität und Konkurrenz
Sehr großen Raum in den Workshops nahm die Frage ein, wie Frauen am Fußballplatz untereinander Solidarität leben können und was ihr entgegensteht. Welche Arten von Weiblichkeit sind auf Fußballplätzen anerkannt, welche verpönt? Welche Vorbehalte gegenüber anderen Frauen haben weibliche Fußballfans? Als eine der letzten großen Männerdomänen fördert das Fußballfan-Sein die Konkurrenz von Frauen untereinander. Oftmals haben Frauen die gleichen Klischees über andere weibliche Fußballfans im Kopf wie Männer. Frauen müssen sich anstrengen, um als echte Fans anerkannt zu werden.
In weiteren Workshops trainierten die Frauen antisexistisches Argumentieren und produzierten Stencils. Wieder woanders übten die Teilnehmerinnen das Brüllen aus vollem Hals ausführlich und lustvoll – ist es doch wesentlicher Teil der Praxis von Fußballfans im Support ihrer Mannschaften. Denn für Frauen ist es immer noch nahezu unmöglich, von männlichen Fans als Vorschreierin am Platz anerkannt zu werden. Und zwar relativ unabhängig davon, ob es beim eigenen Klub fixe Vorschreier gibt oder ob sich jede*r mal ausprobieren kann.
Das Treffen ermöglichte drei Tage Vernetzung und Kommunikation über eine der schönsten Nebensachen der Welt. Andere Frauen kennenlernen, die genauso fußballverrückt sind. Und eine Grillerei mit ein oder zwei Bier in einem der schönsten Stadien der Welt. Was kann es Schöneres geben?
Renate Nahar ist Mosaik-Redakteurin und Fan des First Vienna Football Club 1894. Der Beitrag erschien zuerst auf „Mosaik – Politik neu zusammensetzen“.
Titelbild: fb.com/frauenimfussball