Der Konflikt in Katalonien spitzt sich zu – ein Richter verbietet eine Debatte über das Recht auf Entscheidung der Katalanen in Madrid und die katalanische Polizei soll Wahlurnen beschlagnahmen. Die Befürworter der Unabhängigkeit zeigen sich unbeeindruckt.
Von Krystyna Schreiber aus Barcelona (pressenza.com)
Am kommenden Sonntag sollte eine Konferenz in Madrid stattfinden, um über das Entscheidungsrecht der Katalanen zu debattieren. Die Stadtverwaltung Madrids, unter der linken Bürgermeisterin Manuela Carmena, hatte einen Saal in einem Kulturzentrum zur Verfügung gestellt. Am Dienstag wurde die Veranstaltung von einem Richter des Verwaltungsgerichts 3 in Madrid vorläufig suspendiert, womit er einer Beschwerde der Partido Popular stattgab. Der Richter begründete seine Entscheidung wie folgt: „keine Veranstaltung, die sich offen gegen den Inhalt der Verfassung richtet sowie die Resolutionen des Verfassungsgerichts, darf von der Gemeinde unterstützt werden, da diese verpflichtet ist, sich an geltendes Gesetze zu halten“.
Die Reaktion in den Medien und besonders in den sozialen Netzwerken war groß und dennoch erstaunlich gering im Verhältnis zur Bedeutung dieses Richterentscheids. Dass Werbung für ein vom Staat als „illegal“ deklariertes Referendum verboten wird, wirkt wahrscheinlich für manche Europäer postfranquistisch. Aber mit der Entscheidung des Madrider Richters nimmt man dem Bürger zudem die Möglichkeit, ein Thema zu diskutieren, das ihn betrifft. Der Stadtrat von Madrid hat bereits Widerspruch eingelegt, denn wie seine Sprecherin Rita Maestre in einem Interview mit El Público argumentiert, wäre diese Entscheidung ein klarer Eingriff in die Meinungsfreiheit und das Versammlungsrecht. Zudem wurde diese Veranstaltung laut El Público von Mitgliedern der Podemos-Fraktion in Madrid promoviert, die sich bekanntlich nicht für die Unabhängigkeit Kataloniens einsetzen sondern für ein vereinbartes Referendum.
Sollte der Widerspruch der Stadtverwaltung abgelehnt und der Richterentscheid bestätigt werden, könnte somit ein gefährlicher Präzedenzfall für die Meinungsfreiheit und öffentliche Diskussionskultur Spaniens gesetzt werden. Zudem macht ein solches Verbot eine verhandelte Lösung für ein Referendum unwahrscheinlich.
Was ist im Vorfeld passiert?
Letzte Woche haben die parlamentarischen Gruppen, die sich für die Unabhängigkeit einsetzen (Junts pel Sí und CUP), mit ihrer absoluten Mehrheit und der Enthaltung einer Linkskoalition (CSQP), den rechtlichen Rahmen für das am 1. Oktober geplanten Unabhängigkeitsreferendums und eine Übergangsverfassung zur Republik im katalanischen Parlament verabschiedet, sollte das „Ja“ gewinnen. Die Regierung unterschrieb sofort das Dekret und rief zum Referendum auf.
Die spanische Regierung hatte von Anfang an eine Abstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens kategorisch als „verfassungswidrig“ abgelehnt, allerdings ohne Verhandlungen über glaubhafte Alternativen zu bieten. Im Jahr 2010 hatte das Verfassungsgericht das neue Autonomiegesetz, das auf einen besseren wirtschaftlichen und kulturellen Schutz für Katalonien abzielte, in seinen Kernpunkten ausgehöhlt. Dabei hatten die Katalanen das Gesetz im spanischen Parlament durchgesetzt und es mittels Volksentscheids angenommen. Inzwischen will mehr als zwei Drittel der Bevölkerung Kataloniens über die politische Zukunft der Region in einem Referendum abstimmen und nach Umfragen vor zwei Monaten bevorzugten 41 Prozent eine staatliche Unabhängigkeit.
Die dem Urteil des Verfassungsgerichts folgende Mobilisierung der Zivilbevölkerung hat seitdem das politische Bild in Katalonien stark geprägt. Wenn es im Jahr 2010 noch 14 Abgeordnete für die Unabhängigkeit waren, sind es im Jahr 2017 die absolute Mehrheit mit 72 Sitzen von 135 und weitere 11 Abgeordnete, die ein Referendum verteidigen. Zudem ist die jetzige Parlamentspräsidentin die ehemalige Vorsitzende der Katalanischen Nationalversammlung, der größten Bürgerorganisation, die sich für die Unabhängigkeit einsetzt.
Nach Meinung internationaler Experten ist tatsächlich die Frage der demokratischen Legitimität, sowohl von katalanischer als auch spanischer Seite, nicht einseitig zu beantworten – beide Positionen können durchaus legitim sein. In jedem Fall sei es aber die Pflicht des Staates, eine verhandelte, politische Lösung zu finden. Das heißt, wenn Premier Mariano Rajoy die Interessen der katalanischen Bürger vertritt, dann sollte das für alle Bürger gelten, besonders für die, die das Vertrauen in den Staat verloren haben. Außerdem sollten in einem demokratischen Staat des 21. Jahrhunderts Rechtsstaatlichkeit und demokratische Legitimität in Einklang gebracht und deren anhaltende Konfrontation vermieden werden.
Dennoch zeigt sich die spanische Regierung entschlossen, das geplante Referendum „mit allen Mitteln“ zu verhindern, um „die Demokratie“ und die „Interessen aller Spanier“ zu verteidigen, wie der spanische Premier, Mariano Rajoy, mehrmals deutlich gemacht hat. Während der Debatte des Referendum-Gesetzes in der katalanischen Kammer hatte die Staatsanwaltschaft bereits eine 34 Seiten lange Anklage gegen Abgeordnete des Parlamentspräsidiums und die Präsidentin Carme Forcadell vorbereitet. Das Referendum-Gesetz wurde in einer Eilsitzung vom Verfassungsgericht einstimmig für ungültig erklärt. Die Staatsanwaltschaft bereitet auch die Strafverfolgung des katalanischen Präsidenten und seiner Kabinettsmitglieder wegen Ungehorsams, Amtsmissbrauchs und Missbrauchs von öffentlichen Geldern, der mit Gefängnisstrafen geahndet werden kann, vor.
Am Dienstag erhielt der Direktor des größten öffentlichen Fernsehsenders auf Katalanisch, TV3, ein richterliches Warnschreiben, dass sein Sender keine Werbung für das Referendum schalten darf. Die lokale katalanische Polizei, die Mossos d’Esquadra, wurde von der Justiz beauftragt, jegliches Material für die Durchführung des Referendums zu beschlagnahmen. Bereits am Wochenende wurden eine Druckerei und eine lokale Tageszeitung von der spanischen Guardia Civil durchsucht. Am Mittwoch ordnete der Staatsanwalt an, die 712 Bürgermeister, die Wahllokale zur Verfügung stellen, vorzuladen. Wer nicht freiwillig vorm Richter erscheint, soll festgenommen werden. Auch Privatpersonen können strafrechtlich belangt werden, so die Vizepräsidentin Sáez de Santamaría, sollten sie die Vorbereitungen des Referendums unterstützen oder dem Aufruf als Wahlhelfer folgen. Die institutionelle Webseite mit Informationen über das Referendum ist von einem Richter am Mittwoch gesperrt worden. Am Donnerstag informiert El Mundo über den angeblichen Plan der Regierung, am 1. Oktober den Strom in den Wahllokalen abzuschalten.
Nur noch als Partner
Allerdings scheint der Erfolg einer solchen Einschüchterungs- und Blockadestrategie fraglich. Am Nationalfeiertag Kataloniens gingen erneut eine Millionen Menschen unter dem Motto „Referendum ist Demokratie“ auf die Straße. Die Rufe der Demonstranten waren eindeutig: „Wir haben keine Angst“, „wir werden abstimmen“. In den ersten 24 Stunden nach Öffnung der Solidaritätskasse spendeten die Bürger mehr als 800.000 Euro für die Bußgelder, die Politiker und Bürgerrechtler mit der Organisation des Referendums riskieren. Am Dienstagabend lief zur Prime Time, in der Halbzeit des Champion-Spiels, auf dem verwarnten katalanischen Fernsehsender TV3 der institutionelle Werbespot für das Referendum. Während der Durchsuchung der Tageszeitung in Valls, legten die Nachbarn vor den spanischen Guardia Civil Polizisten Blumen nieder und deponierten Zettel in einer improvisierten Wahlurne. Die verbotene Website zum Referendum stand wenige Stunden nach ihrer Sperrung unter einer neuen URL zur Verfügung.
In Bezug auf den zunehmenden Druck aus Madrid erinnerte der katalanische Präsident am Mittwoch in einem Fernsehinterview daran, dass das Parlament von Katalonien der Souverän ist und diesbezüglich konträre Entscheidungen des spanischen Verfassungsgerichts nicht mehr anerkennt. Nach der Großdemonstration am Montag hatte er dennoch seine Verhandlungsbereitschaft mit Madrid „bis zum letzten Moment“ unterstrichen.
Wenn die spanische Regierung weiterhin auf juristische Verfolgung und Blockade statt auf Dialog setzt und das im Namen der Demokratie, riskiert sie wahrscheinlich nicht nur in Katalonien ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Krystyna Schreiber ist eine deutsche Journalistin und Autorin, die seit 2002 in Barcelona lebt. Sie arbeitet für internationale Medien und veröffentlicht Bücher, u.a. über die aktuelle politische Situation in Katalonien. Für „Die Übersetzung der Unabhängigkeit“ wurde sie vom Institut der Regionen Europas mit dem Journalistenpreis 2016 ausgezeichnet.
Der Artikel erschien zuerst auf pressenza.com, Kooperationspartner von Unsere Zeitung. Der gesamte, von Pressenza produzierte Inhalt, steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0. kostenlos zur Verfügung.
Fotos: Krystyna Schreiber