Untersuchungshaft für wichtigste Separatistenführer heizt Katalonien-Konflikt an

Seit Montagabend gibt es in Spanien zwei weitere politische Häftlinge: die Vorsitzenden der größten Bürgerinitiativen, die sich für die Unabhängigkeit Kataloniens einsetzen, Jordi Cuixart von Omnium Cultural und Jordi Sanchez, Vorsitzender der Assemblea Nacional Catalana. Sie werden des Aufrufs zum Aufstand beschuldigt im Zusammenhang mit der spontanen Demonstration vor dem katalanischen Wirtschaftsministerium am 20. September, als die spanische Militärpolizei Guardia Civil in einer Großaktion mehrere Institutionen durchsuchte und 15 Beamte vorübergehend festnahm. – Von Krystyna Schreiber (Pressenza)

Die Anwälte von Sanchez und Cuixart drückten gegenüber der Presse ihr Erstaunen über eine „solche unverhältnismäßige Maßnahme“ aus, vor allem mit der Begründung, die Haft wäre notwendig, um die Zerstörung von Beweisen zu verhindern. „Mit dieser Begründung kommt mein Mandat nie auf freien Fuß, er hat gar keine Chance“ empörte sich Jordi Pina, Anwalt von Sanchez. Zudem drückte er seine Überraschung bezüglich angeblicher Beweise aus, die die Guardia Civil über 40 verletzte Polizisten in Bezug auf den 1. Oktober vorgelegt habe „und keiner erwähnt die fast 900 Verletzten unter der Zivilbevölkerung“.

Nachdem die Verhaftung bekannt wurde, riefen die Vorsitzenden von Omnium und ANC in Videos, die sie vorbereitet hatten, zum Zusammenhalt und zur Friedlichkeit auf. Am Dienstag soll ein Streik um 12 Uhr stattfinden und mehrere Demonstrationen sind geplant.

Auch der Polizeichef der Mossos d’Esquadra, Major Trapero, und seine Stellvertreterin standen am gleichen Tag vor Gericht. Ihnen wird ebenfalls Rebellion vorgeworfen. Sie hätten der Guardia Civil nicht genügend den Rücken gedeckt am 20. September und wären am 1. Oktober zu passiv gewesen.

Momentan sind beide auf freiem Fuß unter Auflagen und den Entzug des Passes, 15-täglicher Meldepflicht und ständiger Verfügbarkeit. Die Richterin Carmen Lamela, die alle 4 Fälle untersucht, vermutet eine vereinbarte Strategie zwischen der katalanischen Polizei Mossos d‘Esquadra und der Unabhängigkeitsbewegung.

Gleichzeitig hat die spanische Regierung Puigdemonts erneutes Gesuch um Dialog vom Morgen abgelehnt und bereitet die Maßnahmen zum Eingriff in die Selbstverwaltung und Regierung Kataloniens vor, um „die Rechtsstaatlichkeit in Katalonien wiederherzustellen“, wie die Vizepräsidentin Soraya Saez Santamaria in einer Pressekonferenz erklärte.

Das letzte Ultimatum laufe für den katalanischen Präsidenten am Donnerstag aus. Der Partido Popular kann sich mit der Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung oder ähnlicher Maßnahmen zur Kontrolle von Katalonien und entscheidenden Bereichen wie Sicherheit, Wirtschaft und eventuell der Bildung auf die Unterstützung von Ciutadanos und die Sozialisten (PSOE) stützen.

Dass dieser neue Schritt seitens der von vielen Spaniern nicht als unabhängig empfundene Justiz den Konflikt noch mehr anheizt, ist vorauszusehen. Damit wird auch klar, dass ein Dialog zwischen beiden Seiten, bei dem auch beide etwas gewinnen können, ohne Dritte nicht möglich ist.

Ein Dialogangebot über die Unabhängigkeit ist sicher keine neutrale Ausgangsbasis für Verhandlungen, aber es ist die Pflicht des Staats, eine politische Lösung zu finden. Statt einer politischen Lösung ist die Antwort des spanischen Staats jedoch ein Rückschritt in dunkle Zeiten, mit politischen Häftlingen und der Verletzung grundlegender Menschenrechte im Namen des Rechts. Das ist nicht nur ein Armutszeugnis für die spanische Regierung, die sich politischen Konflikten nicht stellen will, sondern auch für Europa, das zur Seite schaut.

Dabei birgt die aktuelle Eskalation auch wirtschaftliche Risiken, die längst nicht mit dem Wechsel des Steuerstandorts einiger Unternehmen vermindert werden. Katalonien trägt 19% zum staatlichen Bruttoinlandprodukt bei, ist eines der industrialisiertesten Gebiete Spaniens und führend im Export. „Wenn Katalonien hustet, kriegt Spanien die Grippe“, sagte vor Kurzem Albert Peters, Vorsitzender vom Kreis der deutschen Führungskräfte (KdF) der FAZ in Bezug auf die politische Situation.

So wie dieser Konflikt zurzeit ausgetragen wird, kann es tatsächlich nur Verlierer geben: Katalonien, Spanien und die EU, die immer mehr an Glaubwürdigkeit verliert, nicht nur unter den Bürgern in Katalonien. Es ist höchste Zeit für eine Vermittlung, um ein großartiges Land wie Spanien gemeinsam mit einem dynamischen Katalonien zu retten.

Über die Autorin: Krystyna Schreiber ist eine deutsche Journalistin und Autorin, die seit 2002 in Barcelona lebt. Sie arbeitet für internationale Medien und veröffentlicht Bücher, u.a. über die aktuelle politische Situation in Katalonien. Für „Die Übersetzung der Unabhängigkeit“ wurde sie vom Institut der Regionen Europas mit dem Journalistenpreis 2016 ausgezeichnet.

Der Beitrag erschien zuerst bei unseren Kooperationspartnern Pressenza und Neue Debatte.


Titelbild: Jordi Cuixart von Òmnium Cultural (CC BY-SA 2.0)

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