Ab 1. Juli 2018 gilt das Heimaufenthaltsgesetz auch für Minderjährige mit psychischen Erkrankungen und intellektuellen Beeinträchtigungen in Pflege- und Betreuungseinrichtungen. Die Novellierung bedeutet verbesserten Schutz vor unzulässigen und nicht altersgemäßen Freiheitsbeschränkungen.
Von Hannah Wahl
Im Februar löste die Befürchtung, die ÖVP-FPÖ Regierung könnte das Erwachsenenschutzgesetz kippen, eine Welle der Kritik aus. Heute trat das neue Gesetz wie geplant in Kraft. Das bedeutet auch massive Verbesserungen für Kinder- und Jugendliche, deren Freiheitsrechte nun auch im Heimaufenthaltsgesetz verankert sind.
Grundrechte schützen
“Gerade für Kinder und Jugendliche ist es wichtig, dass es eine unabhängige Institution gibt, die Freiheitsbeschränkungen überprüft”, erklärt Susanne Jaquemar, Fachbereichsleiterin von VertretungsNetz – Bewohnervertretung. “Denn insbesondere in jungen Jahren ist die Gefahr einer Gewöhnung an Beschränkungen groß. Das ist fatal, weil dadurch Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen – teils massiv – beeinträchtigt werden.” Obwohl BewohnervertreterInnen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit von Minderjährigen in Einrichtungen wahrnehmen, waren Minderjährige vom Heimaufenthaltsgesetz bislang ausgenommen. Das trifft bei ExpertInnen wie Petra Flieger auf Unverständnis: “Warum sollten Kinder und Jugendliche mit psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen nicht denselben Schutz ihrer Grundrechte erfahren wie Erwachsene?” Mit der Gesetzesnovellierung können Beschränkungen der persönlichen Freiheit von Kindern- und Jugendlichen gegebenenfalls einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden. Jede/r Betroffene erhält im Einzelfall Rechtsschutz.
Menschenrechte und Interessenskonflikte
Erst durch unangemeldete Kontrollen der Volksanwaltschaft, die die Einhaltung von Menschenrechten in Einrichtungen überprüft, seien die Freiheitsbeschränkungen zum öffentlichen Thema geworden, erläutert Flieger weiter. Diese hätten schlussendlich auch zur Novelle des Heimaufenthaltsgesetzes geführt. Laut Susanne Jaquemar sei die Situation auch von Interessenkonflikten geprägt: “Bislang wurden die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe von den Ländern kontrolliert. Gleichzeitig sind diese aber Auftraggeber der Einrichtungsbetreiber. Umso mehr bedarf es daher einer unabhängigen Kontrolle durch die Bewohnervertretung.”
Was oft missverstanden wird: Die Kontrollkompetenz der Länder bezieht sich auf die qualitative Leistungserbringung der Einrichtung. Die europäische Menschenrechtskonvention garantiert aber im einzelnen Grundrechtseingriff den Rechtsschutz durch ein unabhängiges Organ und gegebenenfalls gerichtliches Verfahren.
Gewalt im Heimalltag
Freiheitsbeschränkungen werden meist gegen den Willen der betroffenen Personen durchgeführt und stellen somit eine Gewaltanwendung dar. Jeder massive Eingriff in diese Grundrechte muss daher der gesetzlichen Bewohnervertretung gemeldet werden. Diese überprüft die Zulässigkeit der Freiheitsbeschränkung.
“Freiheitsbeschränkungen gehören für Menschen in Einrichtungen zum Alltag. Gleich in welcher Einrichtung sie leben oder ihren Tag verbringen. Doch nur weil etwas alltäglich ist, macht es das noch lange nicht okay.” – Susanne Jaquemar (VertretungsNetz – Bewohnervertretung)
Seit 2005 regelt das Heimaufenthaltsgesetz – bislang jedoch nur für Erwachsene – dass eine Freiheitsbeschränkung die letzte mögliche Maßnahme sein darf. Trotzdem kommt es im Heimalltag zu zahlreichen unzulässigen Gewaltanwendungen, wie 2016 eine Tagung zu diesem Tabuthema thematisierte. Diese reichen von der medikamentösen Ruhigstellung durch breit eingesetzte Psychopharmaka, bis hin zu mechanischen Maßnahmen wie Bettgitter und Gurtsysteme, um den Menschen am Aufstehen zu hindern.
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