Die zunehmende Luftverschmutzung muss gestoppt werden. Abgase von Kohlekraftwerken der zehn größten Betreiber in der EU seien für rund 7.600 vorzeitige Todesfälle im Jahr 2016 verantwortlich, beziffert eine neue Studie von Greenpeace. Feinstaub, Schwefel und Stickoxide hätten schätzungsweise 3.320 neue Bronchitisfälle ausgelöst und seien für 5.800 Krankenhausaufenthalte verantwortlich. Experten wollen stattdessen Windenergie und Photovoltaik in Braunkohle-Revieren sehen.
Von R. Manoutschehri
Unternehmen machen Kohle (Gewinne), den Schaden tragen wir – die Bevölkerung Europas. Wir zahlen mit unserer Gesundheit und unserem Geld. Denn neben klimaschädlichem CO2 stoßen Kohlekraftwerke auch gesundheitsschädliche Stoffe aus, Feinstaub etwa, Schwefeldioxid, oder Stickoxide, aber auch Quecksilber und andere giftige Schwermetalle.
Das macht nicht nur krank, es führt durch krankheitsbedingte Arbeitsausfälle auch zu beträchtlichen volkswirtschaftlichen Kosten – bis zu zwölf Milliarden Euro pro Jahr, wie die Greenpeace-Studie „Der letzte Atemzug“ berechnet. Ganz zu schweigen davon, dass Kohle als Klimakiller Nummer Eins massiv die Klimakatastrophe und Schäden durch Wetterextreme vorantreibt.
Die „dreckigsten“ Kohlekonzerne sitzen dabei in Deutschland – Kraftwerke von RWE und Uniper. Kein Wunder, Deutschland verbrennt mehr Kohle als jedes andere Land in Europa. Allein die vier deutschen Unternehmen verantworten etwa 4200 vorzeitige Todesfälle, mehr als eine Million Krankheitstage sowie 72.000 Tage an denen Kinder Asthma-Symptome zeigten.
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) kann überhaupt kein, wie immer geartetes Niveau an Luftverschmutzung als „sicher“ bezeichnet werden und der Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist allgemein anerkannt. Das Einatmen von Feinstaub-Partikeln, auch in niedrigen Konzentrationen, kann zu gesundheitsschädigenden, physischen Veränderungen im Körper führen, etwa zu Erkrankungen des Herzens sowie der Blutgefäße, zu chronischen Atemwegserkrankungen – bishin zum vorzeitigen Tod. Kinder und Babys sowie ältere und kranke Menschen sind dabei besonders gefährdet.
Ehestmöglicher Ausstieg aus Kohlekraft gefordert
Seit Anfang 2016 sind bereits 23 der Kohlekraftwerke der EU stillgelegt worden, für weitere 22 Werke ist die Terminierung ihrer Stilllegung angekündigt worden. Doch 103 Unternehmen sind nach wie vor „ohne Limit“ tätig. Die 10 Größten verursachten im Jahr 2016 mit ihren Meilern zwei Drittel aller Gesundheitsschäden durch Kohlekraftwerke.
Vier dieser zehn größten Verschmutzer sitzen in Deutschland, die Andern in Polen und Tschechien sowie Spanien und Bulgarien. Größter Emittent ist RWE mit den Braunkohlekraftwerken im Rheinland, gefolgt von EPH, die u.a. die ehemaligen Vattenfall-Kraftwerke in der Lausitz betreiben. Weiters zählen auch Uniper und Steag zu diesen Konzernen.
„Die Bundesregierung darf Konzernen nicht länger erlauben, Geld damit zu verdienen, unsere Gesundheit und das Klima zu ruinieren“, so ein Greenpeace-Sprecher. Ein schneller Ausstieg aus der Kohle bis spätestens 2030 ist unerlässlich, um die Luft sauber zu halten und die Folgen der Klimakrise zu minimieren.
Die weiteren Empfehlungen für Unternehmen und Regierungen umfassen einen Lobbyarbeits- und Investitions- sowie Subventions-Stopp für Stein- und Braunkohle sowie die Erstellung rechtsverbindlicher Zeitpläne für den Ausstieg. Darüberhinaus wären niedrigere (nicht wie in der öffentlichen Diskussion auftauchende, immer höhere) Grenzwerte für die Luftverschmutzung und höhere Bepreisung der Kohle notwendig, sowie zur Umsetzung dieser Pläne auch eine proaktive Zusammenarbeit mit lokalen Interessengruppen und NGOs.
Kohleausstieg als Chance: Studie ist für Ausbau von Windenergie und Photovoltaik in Braunkohle-Revieren
Braunkohle wird bzw. wurde in Deutschland vor allem in vier großen Tagebauregionen abgebaut, verbrannt, veredelt und verstromt. Dies sind das Lausitzer Revier, das Mitteldeutsche Revier, das Rheinische Revier sowie das Helmstedter Revier. Im Jahr 2016 wurden rund 11,3% des deutschen Primärenergieverbrauchs durch Braunkohle abgedeckt. Gleichzeitig bietet die Braunkohleindustrie deutschlandweit rund 19.430 Menschen eine Beschäftigung.
Braunkohle ist jedoch die fossile Energieressource mit den höchsten Kohlendioxid-Emissionen. Daher wurde mit dem Klimaschutzplan 2050 eine klare Richtung vorgegeben: Deutschland will die Treibhausgasemission bis 2030 um mindestens 55 % reduzieren. Bis zum Jahr 2050 sollen die Emissionswerte von 1990 um mindestens 80 bis 95 % reduziert werden. Aus diesem Grund muss die Verstromung von Braunkohle auf lange Sicht gänzlich eingestellt werden.
Eine Studie des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) zeigt nun, dass und wie die deutschen Kohlereviere auch künftig eine Rolle in der Energiewirtschaft spielen können. Fazit: Eine gezielte Transformation hin zu Energiewende-Regionen könnte maßgeblich neue Perspektiven für Beschäftigung und Wertschöpfung schaffen. Solar- und Windstrom im Verbund könnten schrittweise in den Regionen aufgebaut werden und freiwerdende Netzkapazität ersetzen, während die Kohleverstromung heruntergefahren wird. Positiver Nebeneffekt: Tausende neue Arbeitsplätze.
Strukturwandel – Vorteile für alle
Die Studie „Erneuerbare-Energien-Vorhaben in den Tagebauregionen“ wurde als eine von vier Studien des Bundeswirtschaftsministeriums zum Thema Strukturwandel in den Braunkohleregionen vergeben. Sie untersucht die Tagebauregionen Rheinisches Revier, Mitteldeutsches Revier und Lausitzer Revier, ermittelte Potenziale für Windenergie und Photovoltaik, auch in Form von Wind-PV-Hybridlösungen und leitet mögliche Beschäftigungs- und Wertschöpfungseffekte ab.
In dem Gutachten kommen Experten mehrerer Forschungs- und Beratungsinstitute zum Schluss, die Potenziale erneuerbarer Energien in den Tagebauregionen stärker zu nutzen, sowie Anlagen für die sogenannte Power-to-X-Technologie, also das Umwandeln von Strom etwa in Gas oder Wärme, gezielt in den Tagebauregionen anzusiedeln. „Solche Anlagen werden im zukünftigen Energiesystem eine wichtige Rolle zur Speicherung oder anderweitigen Nutzung von temporären Stromüberschüssen aus Wind oder Photovoltaik spielen“, sagt Martina Richwien vom Beratungsinstitut IFOK.
Wind-PV-Hybrid-Anlagen verbinden die Nutzung von Windenergie und Photovoltaik (PV) innerhalb eines Kraftwerks. Dabei werden Flächen und Netzinfrastruktur in effizienter Weise gemeinsam genutzt. Zudem ergänzen sich die PV-und Windstromprofile im Jahresverlauf, was eine stabilere Stromerzeugung zur Folge hat. Derartige Hybridkraftwerke im Gigawattmaßstab entstehen derzeit in mehreren Weltregionen, insbesondere aufgrund der niedrigen Gestehungskosten beider Technologien.
„In der Debatte um den Strukturwandel werden die Potenziale der Energiewende bisher noch zu wenig gesehen“, so Bernd Hirschl vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), welches in der Studie berechnet hat, in welchem Umfang Arbeitsplätze und Wertschöpfung in den Bereichen Wind- und Solarenergie neu entstehen können. „Die vorhandenen Infrastrukturen und Kompetenzen bieten sich an, die Reviere zu Energiewende-Modellregionen zu entwickeln. Wenn die Akteure vor Ort (Kommunen, Unternehmen und Bürger) dafür zusammen mit Bundesländern und Bund an einem Strang ziehen, können nennenswerte Wertschöpfung und Beschäftigung entstehen.“
Bei einem ambitionierten Ausbau von Windenergie und Photovoltaik können beispielsweise allein in Bereich Lausitz rund eintausend neue Vollzeit-Arbeitsplätze entstehen – zusätzlich zu den bereits mehr als eintausend heute Beschäftigten. Aus weiteren Bereichen der Strom-, Wärme- und Verkehrswende können darüber hinaus noch viele weitere Arbeitsplätze entstehen – von Biogas über Solarthermie bis Power-to-Gas und in Bereichen wie ÖPNV, Car-Sharing, E-Mobilität oder autonomes Fahren, so die Experten.
Langsam aber sicher sollten angesichts solcher Fachstudien die immer wieder neu aufgebauten Lügengebäude unbeweglicher Lobbies zerbröseln. Die Energiewende wird kommen, trotz aller Verzögerungsversuche und multimedialer Desinformation. Und wer nicht konstruktiv am Wandel mitarbeitet, wird auch nicht an seinen Vorteilen mitpartipizieren können.