Mitglieder der Band „GRUP YORUM“ befinden sich in der Türkei im Hungerstreik – manche bereits seit über 100 Tagen
Von Michael Wögerer
Seit 30 Jahren produziert die linke kurdische Band Grup Yorum Musik an der Seite der unterdrückten Völker und bringt mit ihren Liedern die Probleme und Sehnsüchte der Menschen zum Ausdruck. Ihre Musikinstrumente wurden wie Victor Jara’s Gitarre zu Zeiten der Diktatur in Chile von der türkischen Exekutive bei Razzien zertrümmert. So wurden im Oktober 2016 bei einem Polizeieinsatz im Kulturzentrum der Band in Istanbul alle Instrumente und die gesamte Einrichtung verwüstet. Doch die Mitglieder der Gruppe trotzten diesem Angriff und veröffentlichten sogleich einen Videoclip, bei dem sie auf den zerbrochenen
Instrumenten spielten und einen Unterstützungsaufruf starteten, um neue Instrumente beschaffen zu können. Im Zuge einer Solidaritätskampagne brachte auch die international anerkannte Musikerin Joan Baez ihre Solidarität mit den angegriffenen KünstlerInnen in der Türkei zum Ausdruck.
Doch die türkische Regierung setzte ihre Angriffe auf Grup Yorum unentwegt fort und es kam zu weiteren Razzien und Verhaftungen von Bandmitgliedern und MitarbeiterInnen des Kulturzentrums. Besonders die Folter an einem jungen Mitglied der Band erregte große Empörung: der jungen Frau wurden bei der Festnahme büschelweise die Haare aus dem Kopf gerissen. Der Fall wurde anschließend von zahlreichen Medien aufgegriffen. Sechs Bandmitglieder, Inan Altin, Selma Altin, Ali Araci, Ibrahim Gökcek, Emel Yesilirmak und Ihsan Cibelik wurden wie Hunderte andere Oppositionelle auf eine Liste “gesuchter Terroristen“ gestellt und per Kopfgeld gejagt.
Grup Yorum hat eine langjährige und erfolgreiche Kunst- und Widerstandsgeschichte. Sie wurde 1986 von einer Gruppe linker StudentInnen gegründet und hat es in ihrem Land als einziges Musikkollektiv – noch dazu als Oppositionsgruppe – geschafft, in einer derartigen Breite und bunt gemischten ZuhörerInnenschaft ihre Musik an Millionen Menschen heranzutragen. Bereits in den Jahren der Militärdiktatur von 1980, wo Oppositionelle massenhaft aus dem Land flohen, spielte sie als erste Band bei ihren Konzerten kurdische Befreiungslieder, was auch zum Verbot ihrer Alben und Konzerte führte.
Doch weder Gefangenschaft noch Folter konnten Grup Yorum von ihrer historischen Verantwortung, die Lieder der Völker zu schreiben, abhalten. Die Parole „Grup Yorum ist das Volk und kann nicht zum Schweigen gebracht werden!“ ist deshalb zum Leitspruch der Band geworden.
Zur Unterstützung der Forderungen der MusikerInnen kursieren zahlreiche Statements im Internet, Pressekonferenzen werden abgehalten und Solidaritäts-Hungerstreiks von anderen Gefangenen und Freunden der Band im In- und Ausland abgehalten, auch die inhaftierten AnwältInnen der „Anwaltskanzlei des Volkes“ haben eine Woche lang den Streik unterstützt.
Von den derzeit sechs inhaftierten Mitgliedern der Band sind nun fünf in einen unbefristeten Hungerstreik getreten und protestieren damit gegen Konzertverbote, Fahndungslisten, Polizeirazzien, Verhaftungen und Prozesse.
Seit knapp zwei Monaten findet auch in Wien jeden Dienstagabend von 18-20 Uhr auf der Mariahilfer Straße/Höhe Kirchengasse) eine Mahnwache vor dem Haydndenkmal statt, um auf die Angriffe und den Protest der inhaftierten KünstlerInnen und AnwältInnen aufmerksam zu machen.
Die Lage der Hungerstreikenden wird unterdessen zusehends kritisch. Höchstens 40 Kilogramm wiegt eines der jungen Grup Yorum-Mitglieder Bahar Kurt. Die Flötistin der Band ist bereits seit mehr als 100 Tagen im Hungerstreik.
Hetzjagd auch in Europa
In den vergangenen Jahren hat die türkische Justiz auch immer wieder ihre Arme nach Oppositionellen im europäischen Exil ausgestreckt. Mit Fahndungslisten und Kopfgeldern wird eine regelrechte Hetzjagd gegen Intellektuelle und Linke aus der Türkei betrieben. Es werden immer wieder politisch aktive bzw. ehemals aktive Personen mit türkischen Wurzeln auf Zuruf des Erdogan-Regimes in Europa festgenommen. Eine der betroffenen ist Hatime Azak (Foto rechts). Sie ist seit etwa 2005 anerkannter politischer Flüchtling in Österreich und wurde Ende August bei einem gewöhnlichen Grenzübertritt bei einer Passkontrolle in Passau festgenommen. Seither sitzt sie in der Münchner Justizvollzugsanstalt. Die Begründung: Ein Fahndungsbefehl aus der Türkei, offenbar wegen Mitgliedschaft in einer „terroristischen Organisation“.
Azak befindet sich bereits seit ihrer Festnahme vor über einem Monat im Hungerstreik, um eine rasche Aufklärung und Freilassung zu fordern. In dieser Woche soll eine weitere Haftprüfung stattfinden. Zwar wäre ihre Abschiebung in die Türkei nicht zulässig, doch der Hungerstreik könnte angesichts eines nur schleppend vorangehenden Verfahrens bald einen kritischen Punkt erreichen.
Titelbild: Konzert von Grup Yorum (Quelle: www.politez.com)