Ein Reisebericht von Timothy Hatton
Ankara 2017 – Duygu und ich haben gerade geheiratet und befanden sich in der Wohnung eines Freundes. Duygu hat an ihrer Masterarbeit geschrieben und ich habe nach einem Job gesucht, als ich eine E-Mail von meinem ehemaligen Professor erhielt.
Das archäologische Institut in Berlin brauchte einen Vermesser in Erbil, dem Wirtschafts- und Handelszentrum der autonomen Region Kurdistan. Er fragte ob ich Zeit und Interesse habe.
Was für ein perfektes Timing! Zwei Wochen später saß ich in seinem Büro in Dresden und er erklärte mir meine Aufgaben. Anschließend ging es nach Berlin in das Institut und von dort aus zum Flughafen.
In diesen Tagen hatten die Bürger Kurdistans großes vor. Sie hielten ein Referendum für einen souveränen Staat ab. Die Zentralregierung in Bagdad und den Ländern drumherum gefiel das gar nicht, weshalb innerhalb von 24 Stunden alle Landesgrenzen geschlossen waren und der Flugverkehr eingestellt wurde.
Auf unseren Flug nach Erbil mussten wir in Istanbul umsteigen, dort erhielten wir die Nachricht vom deutschen Auswärtigen Amt, dass wir zwar nach Erbil fliegen können aber in 10 Stunden würde der letzte Flieger rausgehen. Keiner wusste wann die Grenze wieder aufgehen und es wieder einen aktiven Flugverkehr gibt. Das Team beschloss die Kampagne abzubrechen und wir flogen wieder zurück nach Berlin. Das war meine erste „Begegnung“ mit Irakisch Kurdistan, auch Südkurdistan genannt.
„Kurdistan“ ist ein Wort mit einer großen Bedeutung, es für bestimmte Regionen zu benutzen oder es nicht zu benutzen kann zu großen Diskussionen führen. Kurdistan bezeichnet das Siedlungsgebiet der Kurden, dass sich heute über die Türkei, Iran, Syrien und dem Irak erstreckt.
Als im Beginn des 20. Jahrhundert die Grenzen im Nahen Osten neu gezogen wurden, gingen die Kurden leer aus. Zwar war im Abkommen von Sevre 1920 ein eigenständiges Kurdistan vorgesehen, doch dies wurde im neuen Abkommen von Lausanne aus dem Jahre 1923 geändert.
Seitdem gab es immer wieder Bestrebungen der Kurden Autonomie zu erlangen. Im Iran gab es für eine kurze Zeit die autonome Republik Mahabad (1945), in der Türkei dauert der Konflikt zwischen der kurdischen Arbeiterpartei PKK und der türkischen Regierung bis heute an. Es gibt immer wieder Phasen der Eskalation und Zeiten in denen es relativ ruhig ist.
Auch im Irak gab es immer wieder kurdische Aufstände die mit aller Härte von den Truppen aus Bagdad bekämpft wurden. Während des ersten Golfkrieges zwischen Iran und Irak wurden zwischen 50.000 und 100.000 Zivilisten in Kurdistan gezielt getötet. Von einigen Ländern wird dies als ein Genozid gegen die kurdische Bevölkerung bezeichnet.
Im zweiten Golfkrieg 1991 konnte mit Unterstützung der USA eine autonome Region geschaffen werden. Seit 2005 ist die KRG (Kurdish Regional Gouvernment) offiziell in der irakischen Verfassung eingetragen. Allerdings gibt es auch umstrittene Gebiete. Die wichtigsten Städte sind Mossul und Kirkuk. Beide Städte werden sowohl von Bagdad als auch von Erbil beansprucht. Momentan werden sie von Bagdad kontrolliert.
Als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal in Marokko war, wurde mein Interesse für den Orient geweckt. Die etlichen Legenden, die Architektur, die Musik, die Berge, die Bazaars, der Tee. All dies hat mich in seinen Bann gezogen. Im Nahen Osten liegen die Wurzeln der Zivilisation, Mesopotamien.
Kurdistan ist zwar am Rande Mesopotamiens, trotzdem kann man hier in vielen Dörfern uralte Höhlen und Ruinen von über 1000 Jahre alter Festungen finden. Auf dem Nineveh Plateau gibt es die ältesten christlichen Kirchen und Kloster.
In Lalesh, einen kleinen Dorf der Yeziden, ist Sheik Sheikh Adi ibn Musafir begraben. Er gilt als spirituelles Oberhaupt der ethnoreligiösen Minderheit. 2014 wurden die Yeziden im Sinjar Gebirge an der syrischen Grenze überfallen. 1000e Frauen und Mädchen wurden entführt und größtenteils als Sexsklaven verkauft. Nur wenige der Frauen konnten befreit werden und noch weniger sprechen darüber.
Kurdistan ist eine Gegend in Mitten eines Krisenherdes und beherbergt rund zwei Millionen Geflüchtete aus den angrenzenden Ländern.
Auf unserer Reise mit dem Wohnmobil durch Kurdistan wurden wir täglich vom Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region (Asayish) kontrolliert. Die Menschen sind zwar überaus gastfreundlich und freuen sich sehr Touristen zu sehen. Man darf aber nicht vergessen, dass auch ein großes Misstrauen besteht. Da kann es schon passieren, dass ein Wohnmobil in der Pampa ein paar Fragezeichen aufwirft.
Alle Fotos: Timothy Hatton
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