Technologische Revolutionen und entsprechende Umbrüche in der Arbeitswelt werden immer mit der Veränderung von menschlichen Kompetenzen und Fertigkeiten (Skills) in Verbindung gebracht. Durch den Einbezug technischer Innovation verändern sich Tätigkeiten im Arbeitsablauf, und Beschäftigte müssen sich oft umstellen und umlernen. Welche Kompetenzen werden nun angesichts des digitalen Wandels weniger notwendig, und welche werden in der Arbeitswelt der Zukunft stärker gefragt sein?
Von Claudia Smonik, Soziologin mit den Forschungsschwerpunkten Arbeit und Organisation.
Technologisierung und die Veränderung von Kompetenzen
Schon bei der Einführung von Dampfmaschinen in der ersten Industriellen Revolution und im Speziellen bei der Fließbandarbeit waren ArbeiterInnen von dem Verlust (Deskilling) und der Neuausrichtung (Reskilling) ihrer Kompetenzen betroffen: Alte Fertigkeiten waren plötzlich obsolet, es mussten nur noch bestimmte Teile des Arbeitsprozesses verrichtet und Arbeitsablauf und Tempo an die Maschinen angepasst werden.
Da in der Vergangenheit vor allem manuelle Tätigkeiten in der Produktion automatisiert wurden, war Höherqualifizierung bislang die adäquate Strategie zur Bewältigung technologischer Umbrüche und Anpassung an die neuen Anforderungen des Arbeitsmarktes. In der aktuellen und vieldiskutierten technologischen Revolution, die unter den Schlagworten Digitalisierung oder Industrie 4.0 Einkehr in den alltäglichen Sprachgebrauch gefunden hat, scheinen sich die Bedingungen allerdings geändert zu haben. Auch mittelqualifizierte Stellen im administrativen Bereich („Bürojobs“) sind nun von Automatisierung und dem Wegfall von Tätigkeiten betroffen. Die Ursache hierfür liegt in der Anwendung von IT-Software, insbesondere jener auf Basis sogenannter Deep-Learning-Prozesse im Bereich künstlicher Intelligenz. Dabei handelt es sich um Lern-Algorithmen, die auf statistischer Mustererkennung beruhen und immer besser entwickelt werden. Dadurch können auch kognitive Fähigkeiten (Zuordnung, Kategorisierung), die bis vor wenigen Jahren noch Menschen vorbehalten waren, zunehmend von Algorithmen übernommen werden.
Doch nicht immer werden niedrig- bis mittelqualifizierte Tätigkeiten auch tatsächlich automatisiert. Viele digitale Aufgaben können von Menschen schneller und billiger durchgeführt werden – diese werden hauptsächlich über Plattformen vermittelt (Crowdwork). Am stärksten fragmentiert und kommerzialisiert sind Tätigkeiten über Microwork-Plattformen wie MTurk und Figure Eight. Der damit verbundene Anstieg geringqualifizierter Beschäftigung trug vor allem in den USA (bei MTurk sind 80 Prozent der NutzerInnen US-AmerikanerInnen) zu einer Polarisierung am Arbeitsmarkt in hoch- und geringqualifizierte Arbeitskräfte bei, während mittelqualifizierte Stellen zurückgingen.
Hier von Deskilling zu sprechen, wäre allerdings ein Trugschluss: Microwork dient in vielen Fällen auch gut qualifizierten Personen dazu, einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen. Vor allem in der IT-basierten und großteils männlichen Sparte der Crowdwork ist zu beobachten, dass es zu einer Diskrepanz zwischen Qualifizierung und Bezahlung kommt. Hier üben meist hochqualifizierte Personen fragmentierte und eher niedrig bezahlte Aufgaben aus (z. B. Codes programmieren).
Im Zeitalter der Digitalisierung und der damit verbundenen stärkeren Einbeziehung von Technologie in den Arbeitsprozess kann eher von einem Upskilling, einer Aufwertung von bisherigen Fähigkeiten, gesprochen werden: Wenn Maschinen bzw. Algorithmen Routinetätigkeiten übernehmen, wird für das Monitoring und das Entwickeln von Lösungen wieder das Wissen über den Gesamtprozess der Arbeit wichtig. Die so entstandene Autonomie sowie das Fehlen von eintönigen, ermüdenden Routineaufgaben wirken sich zudem positiv auf die wahrgenommene Qualität der Arbeit aus.
Viele Berufe, die zu einem Großteil aus Routinetätigkeiten bestehen, werden sich daher grundlegend verändern oder ganz verschwinden. Doch angesichts der rasanten Entwicklung von künstlicher Intelligenz scheint höhere Bildung allein nicht ausreichend zu sein, um sich auf den zukünftigen Arbeitsmarkt einzustellen. Es bedarf bestimmter Fähigkeiten, um mit dem digitalen Wandel in der Arbeitswelt umzugehen.
Welche Kompetenzen werden in der Zukunft konkret verstärkt gefordert sein?
In Studien zur Veränderung von Beschäftigung geht man davon aus, dass alle sich wiederholenden Tätigkeiten, die bestimmten Regeln folgen (Routinetätigkeiten), in Zukunft von Maschinen bzw. Algorithmen durchgeführt werden. In der Automobilindustrie und Logistik findet diese Automatisierung bereits seit Jahren statt – hier werden Roboter für Routinearbeiten wie Montage, Verteilung und Transport eingesetzt. Neu hinzugekommen sind in den letzten Jahren Software-Algorithmen, die auch mittel- bis hochqualifizierte Tätigkeiten ersetzen können. Als „Bottleneck“-Aufgaben bleiben solche bestehen, die menschliche Interaktion sowie höhere Kognition und Kreativität erfordern.
Dieser Trend bedeutet, dass routinemäßige sowohl kognitive als auch manuelle Arbeit ein geringeres Ausmaß und nicht routinemäßige sowohl kognitive als auch manuelle Beschäftigung ein größeres Ausmaß annehmen wird.
Kompetenzen, deren Bedeutung tendenziell abnehmen wird:
- Kognitive Kompetenz: Reines Tatsachenwissen wird unwichtiger. Durch die Entwicklung von Routinen mittels „Deep Learning“-Algorithmen wird die Kompetenz, Muster zu erkennen, weniger gebraucht werden.
- Kontrollkompetenz: Elektronische Kommunikation, Zusammenarbeit und Terminplanung lassen klassische Sekretariatsaufgaben an Bedeutung verlieren.
- Recherche wie „E-Discovery“ (das Aufspüren von Daten für Strafverfahren) oder Compliance-Prüfungen.
Kompetenzen, die voraussichtlich auch in Zukunft relevant sein werden:
- Soziale Kompetenz: Teamwork, Zusammenarbeit und Kommunikation werden weiterhin wichtig sein. Arbeit in globalen Teams wird häufiger, somit werden auch interkulturelle Kompetenzen bedeutender. Bereiche mit hoher menschlicher Interaktion wie im Gesundheits- und Sozialwesen wachsen. Konfliktmanagement ist jedoch auch in digitalen Berufen gefragt.
- Technische Kompetenz: Hierzu zählen einerseits der effiziente Umgang mit neuen Technologien und andererseits das Entwickeln und Gestalten digitaler Umgebungen. Zusätzlich wird auch die Kompetenz gefragt sein, die Arbeit von Maschinen und Algorithmen organisieren und vermitteln zu können und Fakten zu kommunizieren (Mensch-Maschine-Schnittstelle).
- Analytische Kompetenz: Zentrale Fähigkeiten liegen darin, relevante Inhalte aus großen Datenmengen herauszufiltern, Informationen und Quellen bewerten und einordnen zu können sowie Wissen auf andere Sachverhalte übertragen zu können.
- Kreative Kompetenz: Bei der Ideenbildung haben Menschen noch Vorteile. „Out of the box“-Denken können Computer und Roboter noch nicht, die Kreativität und die Innovationskraft des Menschen sind daher zentral. Dennoch ist das Entwerfen von Produkten (generatives Design) mittlerweile auch mittels Software möglich.
Wie können wir die Kompetenzen der Zukunft fördern?
Ein Drittel der ÖsterreicherInnen erachtet Weiterbildung bereits jetzt als notwendig für die adäquate Ausübung ihrer beruflichen Anforderungen (damit liegt Österreich EU-weit an zweiter Stelle).
Hier sind vor allem die geschilderten technischen bzw. digitalen, aber auch soziale Kompetenzen gefragt, die von der Europäischen Kommission in der „Skills Agenda for Europe“ (2016) auf den Plan gerufen werden. Wichtig ist dabei die gezielte Förderung von MigrantInnen und Personen, die nicht mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien aufgewachsen sind.
Die recht breite Definition von Kompetenzen seitens der EU-Kommission lautet in diesem Zusammenhang: „was eine Person weiß, versteht und kann“. Genauer betrachtet, bestehen Kompetenzen aus drei Elementen: Fähigkeiten (Skills), Wissen und Einstellungen (Mindset).
Wissen und Fähigkeiten sind vergleichsweise einfach anzueignen. Wenn Bildungssysteme sich allein auf diese beiden Elemente stützen, hat das die Erzeugung von eher inflexiblen Kompetenzen zur Folge. Dementsprechend schwierig wird es, auf tiefgreifende Veränderungen in der Arbeitswelt zu reagieren.
Um mit solchen Umbrüchen umgehen zu können und sie mitzugestalten, muss man daher bei den Einstellungen ansetzen. Dies ist ein langwieriger Prozess und wird am besten schon im Frühkindalter gefördert. Aber auch in Betrieben können Kompetenzen der ArbeitnehmerInnen auf diesem Weg gestärkt werden:
- Gleichberechtigung soll hervorgehoben und Selbstvertrauen entwickelt werden, um offen für Neues zu bleiben und Herausforderungen annehmen zu können.
- Mitbestimmung und Freiräume sollen zugelassen werden, die Angst vor Fehlern genommen und Feedback als Chance gesehen werden.
- Prinzipiell muss die Lernfähigkeit gesteigert werden (das sogenannte „Metalernen“), da man nicht mit Sicherheit sagen kann, welche Fähigkeiten in Zukunft gebraucht werden. Dazu gehört auch Innovationsdenken – die Fähigkeit, über den Tellerrand zu blicken und neue Wege zu finden. Wenn Maschinen nahezu alle Routinearbeiten erledigen, bleiben für den Menschen die Weiterentwicklung bestehender Systeme und das Bewältigen von unvorhersehbaren Ereignissen und Problemstellungen. Dies erfordert ein hohes Maß an Kreativität. Fördern kann man diese, indem Beschäftigte kontinuierlich zur Evaluierung der eigenen Arbeitsprozesse angeregt werden: Wie können diese verbessert sowie effizienter und angenehmer gestaltet werden?
Fazit
Kompetenzen sind individuelle Ressourcen, die für Beschäftigte auch in der zukünftigen Arbeitswelt entscheidend sein werden. Zur Entwicklung von Kompetenzen der Zukunft ist ein Bildungssystem notwendig, das Menschen zur Resilienz befähigt, um auch bei widrigen Umständen aufgeschlossen zu bleiben und damit flexibel auf Änderungen reagieren zu können. In Unternehmen ist die Zusammenarbeit von Betriebsräten, Belegschaft und Arbeitgeberseite zentral, um diese anspruchsvolle Aufgabe zu meistern.
Wichtig ist außerdem, dass die Möglichkeit zur betrieblichen Weiterbildung geschaffen wird. Unternehmen profitieren von den neuen Kompetenzen der MitarbeiterInnen, daher darf der Zeit- und Kostenaufwand der Fortbildung nicht von den ArbeitnehmerInnen allein getragen werden.
Insbesondere im Zusammenhang mit Informations- und Kommunikationstechnologien muss ferner darauf geachtet werden, dass digitale Kompetenzen (technische und analytische) gefördert werden und adäquate Rahmenbedingungen für die Nutzung geschaffen werden, um einer Überbelastung der AnwenderInnen aufgrund der Informationsflut entgegenzuwirken.
Dieser Beitrag wurde am 28.10.2019 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.
Titelbild: maxpixel.net; CC0 Public Domain
Ich war IT-Mitarbeiter an einer Uni. Ca 20 Jahre lang wurden
meine Daten immer wieder modifiziert, geloescht, gelesen, Zugang zu
Programmen blockiert.
Wenn ich mich beschwerte, hiess es: „da kann man nichts machen“. Am Ende
wurde ich gekuendigt.