Über den Versuch der Gründung einer Gefangenengewerkschaft
Anfang November kam es zum Treffen mit Jean und Monika, zwei Vertreter*innen der Solidaritätsgruppe der österreichischen Gefangenengewerkschaft. Die von ihnen unterstützte Gewerkschaft trägt den Namen GG/BO R.A.U.S. „R.A.U.S.“ steht für „richtig artgerecht (sic!) untergebrachte Strafgefangene” in Anlehnung an die Formulierung der Vollzugskammer des OLG Linz („artgerechte Haltung der Untergebrachten“).
Arme Menschen füllen die Gefängnisse
Monika und Jean erzählen, dass sie keinen Unterschied zwischen sozialen Fragen drinnen und draußen sehen. Vielmehr seien Gefängnisse ein Spiegel der Gesellschaft. Arme Menschen füllen die Gefängnisse. Viele wären heute nicht inhaftiert, hätten sie mehr Chancen – beispielsweise eine Ausbildung – gehabt. Delikte entstehen aus Armut. Reiche Menschen kommen ihrer Beobachtung zu Folge seltener ins Gefängnis, weil sie gute Anwält*innen bezahlen können. Weiters nimmt die Zahl derjenigen Insass*innen zu, die wegen Bagatellen inhaftiert werden. Das Pflichtverteidiger*innen-System in Österreich ist verbesserungswürdig; Angeklagte werden zum erheblichen Teil von Anwält*innen verteidigt, deren Spezialgebiet nicht das Strafrecht ist. Ökonomisch schlechter gestellte Menschen sind somit klar im Nachteil. Nach wie vor herrscht vor Gericht das Recht der herrschenden Klasse. Reformen innerhalb der Justiz sind schwer zu erreichen. In Österreich gab es 1975 eine Strafrechtsreform, die die Möglichkeit der Unterbringung im Maßnahmenvollzug („Therapie statt Strafe“) eröffnete. In Frankreich, weiß Jean, kam es zu Verbesserungen, weil prominente Menschen im Gefängnis waren – Kollaborateur*innen der Nazis und korrupte Politiker*innen. Diese Politiker*innen konnten einen Verein für Reformen in Gefängnissen gründen.
Versuch der Vereinsgründung einer österreichischen Gefangenengewerkschaft
Einen Versuch zur Vereinsgründung unternahm heuer Oliver Riepan, der zurzeit in der Justizanstalt Mittersteig untergebracht und ein Mitbegründer der österreichischen Gefangenengewerkschaft ist. Dieser Versuch wurde sowohl von der Wiener Landespolizedirektion als auch vom Justizminsterium abgelehnt. Ihre Argumentation scheint zahnlos, Hauptargumente beziehen sich beispielsweise einerseits auf den Begriff der „Gewerkschaft“, obwohl Gewerkschaften eine Form der Selbstorganisierung von Arbeiter*innen sind und waren und obwohl alle Menschen das Recht haben sich zu friedlichen Zwecken zu versammeln. Der Österreichische Gewerkschaftsbund etwa ist auch als Verein konstituiert. Im Nachbarland Deutschland ist die Gefangenengewerkschaft bereits ein Verein und kann sich auch als „Gewerkschaft“ bezeichnen. Anderseits wird in der Ablehnung das Fehlen eines zivilrechtlichen Arbeitsverhältnisses thematisiert: „Dienste aufgrund öffentlich-rechtlicher Gewaltverhältnisse beruhen auf keinem Dienstvertrag. (…) Ein wesentlicher Unterschied zu freiwillig übernommenen Dienstverpflichtungen ist weiters, dass Strafgefangene sich die Art der Tätigkeit nicht aussuchen können, sondern jene Arbeiten zu verrichten haben, die ihnen zugewiesen werden.“ (Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz)
Leider beziehen auch ÖGB-Gewerkschaften die Thematik der Arbeitsverhältnisse der Insass*innen nicht mit ein, da sie in erster Linie ihr Augenmerk auf Menschen mit regulären Arbeitsverträgen richten. Es ist festzuhalten, dass in Bezug auf Arbeit in Gefängnissen Interessen bestehen, die typischerweise von Arbeiter*innen geltend gemacht werden, sodass eine Arbeitnehmer*innen-Eigenschaft angenommen werden kann. Ein Thema für die staatlich anerkannten Gewerkschaften wäre es allemal, da eine Wettbewerbsverzerrung stattfindet. Firmen, die in Gefängnissen produzieren lassen, ersparen sich weitestgehend die Lohnnebenkosten. Es gibt keine Pensionsversicherung und auch keine Lohnfortzahlung bei Krankenständen. Ein Einspruch wurde von Herrn Riepan verfasst. Der Kampf für das Menschenrecht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit geht weiter.
„Ihr seid drin für uns, wir sind draußen für euch!“
Die Solidaritätsgruppe GG/BO R.A.U.S. spricht nicht stellvertretend für die Gefangenen. Der Leitsatz der Zusammenarbeit lautet: „Ihr seid drinnen für uns, wir sind draußen für euch“. Daher wird auch die Vereinsgründung von den Betroffenen betrieben. Die Solidaritätsgruppe steht in ständigem Kontakt mit der Gefangenengewerkschaft und betreut die Öffentlichkeitsarbeit über eine Homepage, Facebook und eine Mailingliste. Sie führt also Tätigkeiten aus, wozu die Insass*innen selbst aufgrund ihrer Situation nicht in der Lage sind. Dabei hat sie zwei Hauptausrichtungen: einerseits den Kontakt in die Gefängnisse und andererseits Öffentlichkeitsarbeit. Es gibt noch andere Arten von Haft (Maßnahmenvollzug, Ersatzfreiheitsstrafe, Schubhaft), die berücksichtigt werden, doch die Hauptarbeit der Solidaritätsgruppe widmet sich Menschen in der Strafhaft.
Das Ziel in Österreich im Bereich der Arbeit im Gefängnis ist, dass es einen regulären Arbeitslohn gibt und dass die Menschen ebenso versichert sind wie Arbeiter*innen draußen. Insbesondere die Pensionsversicherung ist hier wichtig, betont die Solidaritätsgruppe: Alte Gefangene, die viele Jahre hinter Gittern waren, bekommen nur die Mindestpension und werden so in die Altersarmut getrieben.
„Der Maßnahmenvollzug ist das große menschenrechtliche schwarze Loch“
(vgl. Matrix C11 zit. in Wilhelmer 2019: 14)
Perspektiven und Selbstbestimmung sind die Grundlage für ein deliktfreies Leben nach der Haft. Christoph Wilhelmer untersuchte in seiner Bachelorarbeit an der FH St. Pölten die Selbstbestimmung und Möglichkeiten im Maßnahmenvollzug. In dieser Form des Strafvollzugs werden in erster Linie sogenannte „geistig abnorme Rechtsbrecher*innen“ untergebracht. Diese werden erst entlassen, wenn die Gefährlichkeit abgebaut worden ist, dies wird durch Gutachten festgestellt. Untergebrachte Personen kennen die Dauer ihrer Unterbringung daher nicht. Im Gegensatz zur Strafhaft ist der Maßnahmenvollzug nicht zeitlich begrenzt, sodass die Anhaltung der Personen hier länger dauern kann als das angedrohte Strafmaß für die jeweiligen Delikte in der Strafhaft. Dabei werden trotz des Abstandsgebots Menschen in Strafhaft gemeinsam mit „geistig abnormen Rechtsbrecher*innen“ untergebracht. Unter anderem wird dies vom Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kritisiert und widerspricht auch der UN-Behindertenrechtskonvention. Kritik wird laut Wilhelmer auch an der Qualität der Gutachten geübt, die für die Entlassung entscheidend sind. Österreich wendet diese Form des Vollzugs deutlich häufiger an als andere Länder und die Zahl der Menschen im Maßnahmenvollzug nimmt aufgrund der Berichterstattung über populäre Einzelfälle und die dadurch gesteigerte Angst der Bevölkerung zu. Selbstbestimmung ist in diesem Bereich kaum vorhanden und aufgrund der Ungewissheit über die Dauer des Vollzugs können Menschen im Maßnahmenvollzug noch schwerer Perspektiven entwickeln als Menschen in regulärer Haft (1).
Gegen Gefängnisse und eine Gesellschaft, die sie benötigt
Es gibt Alternativen zu Haft, doch nicht einmal Reformen sind absehbar. Die mediale und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik findet hauptsächlich in emotionaler Weise statt und der Trend geht eher in Richtung Law-and-Order-Politik. Eine sachliche, auf empirischen Daten basierende mediale Berichterstattung und Entscheidungsfindung wäre laut Wilhelmer sehr wichtig. Doch:
„Solange die Regierung nicht willig ist, wird sich nichts verändern“, kommt Wilhelmer zum Schluss.
Falls Du die Rechte von Insass*innen stärken möchtest oder genauer an der Thematik interessiert bist, kannst du dich an die Solidaritätsgruppe wenden:
ggboraus-soli-wien@autistici.org *** Homepage *** facebook.com/gefangenengewerkschaft.oesterreich
Weiters sind die Unterstützer*innen der Gefangenen immer auf der Suche nach Menschen (auch bereits Entlassene), die ihre Erfahrung aus der Strafhaft teilen.
(1) Weitere Ergebnisse sind nachzulesen unter: Wilhelmer, Christoph (2019): Mögliche Grenzverschiebung von Fremd- zu Selbstbestimmung im Maßnahmenvollzug. Bachelorarbeit, Fachhochschule St. Pölten.
Autor der Redaktion bekannt
Titelbild: Zur Verfügung gestellt von Solidaritätsgruppe GG/BO R.A.U.S.
Danke für den sehr aufschlussreichen und interessanten Beitrag und dass ihr dafür kämpft, die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zum machen…