Forscher sehen durch die Corona-Pandemie einen Anstieg der weltweiten Armut um bis zu acht Prozent voraus und fordern: „Nicht nur Unternehmen retten, sondern auch die breite Bevölkerung.“
Von R. Manoutschehri
Ohne ausreichende Eindämmungsmaßnahmen könnte das grassierende Coronavirus bis zu 40 Millionen Menschenleben fordern – doch auch Armut und soziale Ungleichheit drohen sich aufgrund der Pandemie laufend weiter zu verschärfen. Überall auf der Welt hat SARS-CoV-2 enorme wirtschaftliche Auswirkungen, da Volkswirtschaften teilweise oder sogar ganz heruntergefahren und geschlossen werden, um die Ausbreitung der Covid-19 Krankheit zu stoppen.
Forscher sagen in diesem Zusammengang einen Anstieg der weltweiten Armut von sechs bis acht Prozent (ggü. 2018) voraus und fordern auch hier dringende Gegenmaßnahmen:
„Nicht nur Unternehmen müssen gerettet werden, sondern auch die breite Bevölkerung“, sagt Oxfam-Vorstand Marion Lieser. Auch und vor allem in Entwicklungsländern.
Sozial Schwache leiden am stärksten
Im Jahr 2018 lebten laut Weltbank 3,4 Milliarden Menschen von weniger als 5,5 Dollar pro Tag, fallen damit also unter die Armutsgrenze. In der akuten Corona-Krise könnte sich diese Zahl auf rund vier Milliarden erhöhen und die weltweite Armut könnte zum ersten Mal seit 1990 wieder deutlich zunehmen, warnt der neue Oxfam Bericht „Würde statt Elend“ und ergänzt damit auch die Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF), wonach die Welt auf eine Rezession zusteuert, die noch dramatischer wird als jene, welche durch die Finanzkrise im Jahr 2008 verursacht wurde.
Jedes Land der Welt erlebt infolge der Coronavirus-Krise einen wirtschaftlichen Schock. Geschlossene Grenzen und Unternehmen, Arbeitsplatzverlust sowie Ausgangssperren verursachen unermessliche wirtschaftliche Schwierigkeiten. ArbeitnehmerInnen werden davon am stärksten betroffen sein, da sie vielfach inoffizielle und prekäre Arbeit verrichten.
Schon jetzt arbeiten rund zwei Milliarden Menschen ohne jede soziale Absicherung, die Mehrheit davon in armen Ländern. Nur etwa jeder fünfte Arbeitslose hat auch Zugang zu Arbeitslosenhilfe. Wirtschafts-Shut-Down und m.o.w. restriktive Quarantänemaßnahmen könnten laut Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) – vorsichtig geschätzt – rund 25 Millionen Arbeitsplätze vernichten. Für Afrika liegen die Prognosen der Vereinten Nationen (UN) noch deutlich höher: Rund die Hälfte aller Arbeitsplätze könnten verloren gehen – und Frauen sind dadurch besonders betroffen, denn sie sind häufiger prekär beschäftigt und schlechter bezahlt als Männer.
„Wenn wir die Städte schließen, werden wir die Menschen an einem Ende vor Corona retten, aber am Anderen werden sie an Hunger sterben“, fasst Pakistans Prämierminister Imran Khan die Situation in vielen Entwicklungsländern treffend zusammen.
Es wird prognostiziert, dass Arbeitnehmer global bis zu 3,4 Billionen US-Dollar an Einkommen verlieren werden, was zu einem Einkommensrückgang der Haushalte um 20 Prozent führt und dies würde laut einer Analyse des UN University World Institute für entwicklungsökonomische Forschung weitere 548 Millionen Menschen oder bis zu rund 8% der Weltbevölkerung zusätzlich unter die Armutsschwelle von 5,5 Dollar pro Tag treiben. Dies wäre eine Umkehrung der weltweiten Fortschritte bei der Verringerung der Armut und würde sie um ein gutes Jahrzehnt, bzw. im Falle des Nahen Ostens und einigen Regionen Afrikas sogar um bis zu 30 Jahre zurückwerfen.
Würde statt Elend
„Alle Regierungen müssen jetzt handeln, um ihre Bevölkerung vor Armut zu schützen“, so der Warnruf von Oxfam. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie werden vor allem in armen Ländern verheerend sein, wenn G20, IWF und Weltbank nicht schnell ein Rettungspaket für alle auf den Weg bringen.
Die UN beziffern den Finanzbedarf für ein solches Rettungspaket in Entwicklungsländern auf 2,5 Billionen US-Dollar. Die reichen Länder müssten dazu ihre Etats für die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) um rund 500 Milliarden Euro erhöhen. Was auch ohne Corona schön längst überfällig wäre, denn das international vereinbarte Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens der teilnehmenden Länder für die EZA aufzuwenden, würde seit Jahren von Vielen verfehlt. Eine weitere Billion wäre laut UN durch Schuldenerlass aufzubringen und eine Zusätzliche durch IWF Sonderhilfen und so genannte Sonderziehungsrechte.
Doch gehe es laut Oxfam nicht nur um Geldverteilung. Es bräuchte vielmehr eine Art neuen Gesellschaftsvertrages zwischen Menschen, Regierungen und dem Markt, welcher radikale Verringerung der Ungleichheit und eine „menschlichere“ Wirtschaft gewährleisten kann. „Die jetzt getroffenen Entscheidungen werden tiefgreifende Auswirkungen auf unsere kollektive Zukunft haben. Sie können den Grundstein für eine gleichberechtigte, feministischere und nachhaltigere Welt legen oder Ungleichheit und Umweltzerstörung weiterhin beschleunigen.“