Josef Gerl (1912 – 1934) wurde mit 22 Jahren vom austrofaschistischen Staat hingerichtet
Seine Eltern kamen einst in der Donaumonarchie aus Böhmen nach Wien, um sich ein besseres Leben aufzubauen. Die Familienverhältnisse waren trist: Als Josef Gerl am 13. Februar 1912 zur Welt kam, hatte sich sein Vater aus dem Staub gemacht. Die Mutter arbeitete als Wäscherin und verdiente sehr wenig. Josef erlernte den Beruf eines Goldschmieds, wurde jedoch nach der Lehre arbeitslos. Trotz verzweifelter Suche, hat er nie wieder Arbeit gefunden und gehörte – wie viele in dieser Zeit – zu den „Ausgesteuerten“, den Ärmsten der Armen, die ohne Arbeitslosenunterstützung nur noch von der Wohlfahrt leben konnten.
Gerl war kein theoretisch gebildeter, der den Mechanismus der kapitalistischen Wirtschaftsordnung tiefschürfend analysieren konnte, aber er verstand, dass die Krise kein Naturereignis, sondern die Folge kapitalistischer Profitwirtschaft war. Mit jungen Jahren schloss er sich deshalb der Sozialistischen Arbeiterjugend und des Republikanischen Schutzbundes an. Josef Gerl gehörte zu den zehntausenden Wiener Jungsozialisten, die – trotz Verbot – am 30. April 1933 im Wienerwald große Demonstrationen mit brennenden Fackeln veranstalteten. Er beteiligte sich im Goethehof an den Kämpfen im Februar 1934, floh danach in die Tschechoslowakei und kehrte bald darauf wieder nach Österreich zurück, um den Kampf gegen den Austrofaschismus aufzunehmen. Er stand mit mehreren Gruppen im Untergrund in Verbindung, war aber vor allem in der Jugendorganisation der Revolutionären Sozialisten aktiv.
Aber die illegale Arbeit befriedigte ihn nicht, wie wir von seinen Freunden wissen. Er hielt offensive, die Massen mobilisierende Aktionen für notwendig. Vor allem beunruhigte ihn die Aktivität der illegalen Nazis. Als am 15. Juli 1934 zwei sozialistische Jugendfunktionäre bei einer Kundgebung im Wienerwald von Gendarmen und Heimwehrleuten erschossen wurden, entschloss er sich auf eigene Faust ein Zeichen zu setzen.
So unternahm Josef Gerl am 20. Juli 1934 gemeinsam mit Rudolf Anzböck einen Sprengstoffanschlag auf eine Signalanlage der Donauuferbahn. Dabei wurde das Betonfundament der Anlage zerstört, diese selbst allerdings nur leicht beschädigt. Als die beiden Männer einige Stunden später im Keplerpark von einem Polizisten angehalten wurden, zog Gerl eine Pistole und verletzte den Beamten mit zwei Schüssen schwer.
In einem Schnellverfahren am 24. Juli wurden Gerl und Anzböck zum Tode verurteilt, und das Urteil gegen Gerl noch am selben Tag vollstreckt (Anzböck wurde später zu lebenslangem Kerker begnadigt). In der Hauptverhandlung stellte der Staatsanwalt Josef Gerl die Frage, ob er sich als junger Mensch gar keine Gedanken über sein Schicksal gemacht habe. Seine Antwort lautete: „Ich habe das Leben in dieser Art nicht mehr ertragen. Es ist unwürdig, in einem solchen Staat zu leben, wo man unterdrückt wird.“ Der Verteidiger fragte ihn: „Wussten Sie, dass auf solche Verbrechen der Tod steht?“ Gerl antwortete mit einem klaren Ja. Und als er weiter gefragt wird: „Wie konnten Sie sich trotzdem entschließen, Ihr Leben zu riskieren?“, entgegnet er: „Ich hatte es mir trotzdem in den Kopf gesetzt. Und mein Ideal stand mir höher als mein Leben.“
Engelbert Dollfuß lehnte eine Begnadigung des 22-jährigen ab und verteidigte die erste Anwendung des Sprengstoffgesetzes. Nach Gerls Hinrichtung durch den Strang sagte er: „Wir können Gott danken, dass es ein Roter und kein Nazi war, gegen den wir das neue Gesetz zuerst anwenden mussten.“
Mehr zur Geschichte von Josef Gerl in „So starb ein junger Sozialist“ von Josef Hindels (pdf)