Fortschreitende Prekarisierung in Corona-Zeiten
Von Katharina Hammer & Mara Verlič (Abteilung Kommunalpolitik der Arbeiterkammer Wien)
Die Kunst- und Kulturszene wurde vom Corona-Shutdown besonders hart getroffen. Veranstaltungen mussten abgesagt werden, Kinos und Theater waren geschlossen, Museen menschenleer. Es kam zu finanziellen Totalausfällen und Publikumsverlust. Die vagen Regelungen führten zu Verunsicherung und fehlenden Planungsmöglichkeiten. Die Existenzgrundlage von Kunst- und Kulturschaffenden war und ist massiv bedroht.
Museen, Theater und Konzerthäuser in Bedrängnis
Für Museen, Theater und Konzerthäuser bedeuteten die strikten Corona-Vorgaben ökonomische Ausfälle und Publikumsverlust. Auch das derzeitige Wiederhochfahren des Betriebes vieler Einrichtungen ist nicht unproblematisch. In Museen etwa lässt sich ein eingeschränkter Publikumsbetrieb mit Abstandsregeln in realistischer Weise umsetzen. In den Theater- und Konzerthäusern sieht es hingegen düsterer aus: Proben können unter Einhaltung der Abstandsregeln meist nicht stattfinden, und ein stark ausgedünnter Publikumsbetrieb ist für viele Häuser finanziell nicht umsetzbar. Besonders schlecht steht es um Musikclubs und Konzert-Locations.
Prekäre Verhältnisse in der freien Szene
Die freie Szene, also kleine Institutionen, freischaffende KünstlerInnen, SchauspielerInnen und AutorInnen, wurde von der Corona-Krise mit voller Härte getroffen. Schon vor Corona war die Arbeitsrealität häufig von prekären Verhältnissen geprägt. Leben von Engagement zu Engagement, unregelmäßige schwer planbare Einkommen, Mehrfachbeschäftigungen, Selbstständigkeit und fragmentierte prekäre Erwerbsverläufe gehörten zum Alltag. In einer durch das Bundesministerium für Kunst und Kultur 2013 veröffentlichten Studie zu vorwiegend kleinen Kulturinitiativen und -vereinen in Österreich zeigt sich ein prekäres Bild der rund 1.100 Beschäftigten in etwa 200 befragten Vereinen. Zum einen basiert der gesamte Bereich zu mindestens der Hälfte auf freiwilliger, unbezahlter Arbeit, zum anderen kennzeichnen atypische Beschäftigungsverhältnisse die Strukturen. Dies spiegelt sich in geringen Einkommen wider: Drei Viertel der Beschäftigten verdienen unter 10.000 Euro im Jahr, und über die Hälfte der Einkommen liegt gar unter 5.000 Euro jährlich. Es zeigt sich aber auch die hohe Abhängigkeit vieler Kulturinitiativen und -vereine von öffentlichen Geldern: Etwa 70 Prozent der Einnahmen der Kulturinitiativen und -vereine stammen aus Förderungen von öffentlicher Seite.
Existenzminimum und Überlebensangst
In dieser auch in normalen Zeiten sehr angespannten Situation der freien Szene bedeutet der Totalausfall durch Corona für viele das Existenzminimum und Überlebensangst. Das Instrument der Kurzarbeit war zwar ein Rettungsanker, im Kunst- und Kulturbereich greift er aber nur bedingt. Während Freischaffende Kurzarbeit gar nicht nützen können, ist es auch für die vielen Werkvertragsbeschäftigten keine Hilfe.
Digitale Räume als Ausweg?
Während Corona wurden auch im Kunst- und Kulturbereich neue digitale Räume erschlossen, und Museen, Theater und Freischaffende versuchten sich im Internet entlang neuer Formate. Einerseits liegt hier für die Zukunft die Chance auf eine teilweise digitale Wende im Kunst- und Kulturbereich: Reichweiten könnten so erhöht, Barrieren abgebaut und neue Formate erschlossen werden. Gleichzeitig bedeutet die Fokussierung auf digitale Räume auch oft erschwerte Arbeits- und Produktionsbedingungen sowie den Verlust des direkten Publikumskontakts. Auch spricht vieles dagegen, dass sich jede Produktion und Erfahrung gerade im Kunst- und Kulturbereich in den digitalen Raum übertragen lässt.
Begegnung in Kunst- und Kulturräumen
Theater, Museen, Performance und Konzerte leben von der direkten Begegnung – der Moment des Live-Erlebens lässt sich nur bedingt in den digitalen Raum übersetzen. Neben Räumen für Sport, Bewegung, Kommunikation und Austausch brauchen wir auch geistige und kulturelle Denk- und Erfahrungsräume. Kunst- und Kulturräume ermöglichen unersetzlichen sozialen Austausch und spezifische Erfahrungen.
Hilfestellungen und Auswege
Die Perspektive ist weiterhin unklar, es sind zwar schrittweise Lockerungen der Einschränkungen des Publikumsbetriebs bei Veranstaltungen über den Sommer angekündigt, die Regeln des Abstandhaltens und die Pflicht zu zugewiesenen Plätzen steht jedoch dem (Normal-)Betrieb vieler Häuser stark im Weg. Alternativprogramme wie der Kultursommer 2020 der Stadt Wien bieten mit ihrem ambitionierten, dichten Open-Air-Programm eine Fülle von Möglichkeiten für Kunst- und Kulturinteressierte im Sommer. Sie sind aber natürlich keine langfristige Strategie zur Absicherung der KünstlerInnen. Zusätzliche Planungsunsicherheit liegt durch die Angst vor einer zweiten Corona-Welle in der Luft.
Öffentliche Förderungen
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Weiterbestand von Kulturinstitutionen und -räumen ist die fortlaufende Bezahlung von öffentlichen Förderungen. Während diese bei den meisten großen Institutionen über die Corona-Krise gesichert waren, herrschte bei den zahlreichen Projektförderungen, die oft an einzelne Gruppen oder Personen vergeben werden, zunächst große Ungewissheit über deren weitere Auszahlung. Zumindest für Wien konnten diese Sorgen jedoch ausgeräumt werden.
Härtefallfonds
Ein weiteres wichtiges Instrument zur Überbrückung der Krise sind die Härtefallfonds mit direkten Zahlungen an KünstlerInnen, um die Einkommensausfälle abzufedern. Sowohl der WKÖ-Härtefallfonds als auch der COVID-19-Fonds des Künstler-Sozialversicherungsfonds haben Betroffenen Hilfestellungen bieten können, jedoch waren diese in vielen Fällen zu gering und zu spät in der Auszahlung. Gleiches gilt auch für die max. 3.000 Euro Arbeitsstipendien der Stadt Wien, die als Soforthilfe an viele freischaffende KünstlerInnen ausbezahlt werden. Ein positives Gegenbeispiel war hier etwa Berlin, wo innerhalb weniger Werktage eine Soforthilfe von 5.000 Euro an viele Soloselbstständige und Freischaffende ergangen ist (inzwischen musste das Programm jedoch eingestellt werden).
In Österreich gibt es nun die Zusage für einen Überbrückungsfonds von 90 Millionen Euro, der freischaffenden KünstlerInnen 1.000 Euro im Monat für ein halbes Jahr auszahlen soll. Problematisch ist, dass durch die vielen Teilzeitanstellungen im Kulturbereich und das häufige Patchwork an Einkommensquellen nicht alle, die es bräuchten, abgedeckt sind.
Perspektive schaffen
Neben der Notwendigkeit von umfassender, rascher und unbürokratischer Soforthilfe für betroffene KünstlerInnen und der Wichtigkeit des Fortbestands von zugesagten Förderungen für alle Kultur- und Kunstvereine muss auch eine langfristige Verbesserung der Arbeits- und Einkommenssituation im Kunst- und Kulturbereich angestrebt werden. Dazu gehört unter anderem die Umsetzung von fairen Gehalts- und Honorarstandards, wie sie etwa in der Fair-Pay-Kampagne der IG Kultur Österreich gefordert und konkret vorgeschlagen werden.
Langfristiger Schutzschirm
Auch muss man erkennen, dass die Folgen von Corona nachwirken werden und den Kunst- und Kulturbereich bedrohen. Es braucht einen umfassenden Schutzschirm, der alle Freischaffenden umfasst, wie auch den nicht-subventionierten Bereich und den Laienbereich. Zur Absicherung und Perspektive gehören Regelungen, die Planbarkeit und Umsetzung von Produktionen und Vorstellungsbesuche erlauben. Die Budgets für Kunst und Kultur müssen angehoben und speziell zur Absicherung prekarisierter Bereiche eingesetzt werden. Weiters sollte ein verlässlicher und gut funktionierender Hilfsfonds für außergewöhnliche Zeiten wie Pandemien eingerichtet werden.
Keinesfalls darf die Devise heute lauten: Koste es, was es wolle! Und morgen bezahlen wir mit unersetzlichen Kunst- und Kulturräumen.