Solidarity Cities – Lokale Strategien für ein solidarisches Miteinander

Fünfter Teil der siebenteiligen Serie über selbstverwaltete Betriebe in Europa von Christian Kaserer

Antje Dieterich: Solidarity Cities – Lokale Strategien gegen Rassismus und Neoliberalismus (Unrast Verlag)

Die in Berlin lebende politische Aktivistin Antje Dieterich publizierte im Verlag Unrast 2019 ihr Buch »Solidarity Cities. Lokale Strategien gegen Rassismus und Neoliberalismus«. Exemplarisch zeigt sie dabei, wie Städte sich im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten selbst verwalten und solidarisch agieren, auch wenn das staatliche Umfeld dies – gelinde gesagt – nicht fördert.

Sie schrieben ein Buch über solidarische Städte. Fangen wir gleich dort an: Eine solidarische Stadt – was ist das?

Also wichtig war mir, als ich das Buch schrieb, klar zu machen, dass das nichts wirklich Definierbares ist. Städte bieten ja ganz unterschiedliche Voraussetzungen. Der Status als Stadtstaat spielt beispielsweise eine wichtige Rolle. Aber auch, ob der Staat selbst eher ein rechts- oder linksorientierter Staat ist. Also global kann man das nicht beantworten. Der Arbeitsansatz war aber schon zu sagen, dass diese Idee von den Geflüchtetenprotesten her kommt. Die waren anfangs stark selbstorganisiert, es hat sich dann aber eine Unterstützungsstruktur von Menschen mit Staatsbürgerschaft entwickelt. Mobilisierungstechnisch waren die erfolgreich, politisch ein Flopp, weil die Gesetzgebung sich ja de facto verschlechtert hat. Wir haben dann angefangen uns dieses Konzept der solidarischen Stadt als eine Suche nach Subjektivität anzusehen. Also wer wird in einem politischen Projekt eingebunden. Wenn man sagt Geflüchtete, dann ist das eine Kategorie, die sich an Staatsbürgerschaft aufhängt. Da fehlt ein positiver, weiterschauender Bezugspunkt, weil dieser Status als geflüchtete Person ja einer ist, den man überkommen will. Dieser Status des Menschen als Schutzsuchenden, den will man ja nicht für immer erhalten. Die solidarische Stadt ist also ein Versuch, gemeinsam ein Alltagsleben zu gestalten, unabhängig davon, was uns der Staat als Aufenthaltstitel zuschreibt.

In Ihrem Buch nennen Sie Sheffield, Barcelona und Berlin. Wo liegen die Unterschiede in den drei Beispielen?

Die Beispiele habe ich genommen, weil sie meiner Meinung nach im europäischen Kontext eine ganz gute Bandbreite abdecken. Sheffield ist ein NGO-Projekt mit all seinen Pros und Cons, das eher einen karitativ-lebensweltlichen Ansatz hat: Alle sollen genug zum Anziehen haben, versorgt sein, nett zueinander sein. Es ist aber nicht verbunden mit einem gesellschaftspolitischen Transformationsanspruch. Trotzdem ist der Ansatz natürlich ein solidarischer und daher nennen wir es solidarische Stadt. In Barcelona ist das etwas aufgrund der dortigen Stadtregierung etwas völlig anderes – die hatten einen enormen Transformationsanspruch. Es zeigte sich aber mittlerweile, dass die Möglichkeiten stark begrenzt sind. Anspruch und Realität die Stadt von unten zu regieren sind da schnell an ihre Grenzen gestoßen, da die Staatsapparate in denen wir leben nicht darauf ausgerichtet sind, dass Umbrüche schnell stattfinden, sondern auf Stabilität. Das Projekt hat also starke Begrenzung erfahren und an Unterstützung verloren. Das Berlin-Modell ist ein hybrides Modell, weil es sich aus karitativen Organisationen und jenen die gesellschaftspolitischen Anspruch haben zusammensetzt, so wie selbst organisierten Geflüchteten, die meistens auf beiden Ebenen aktiv sind, weil das natürlich ihre Lebensrealität erfordert. Meine Überzeugung ist, dass man eine mehrgleisige Strategie braucht, die sowohl anerkennt, dass die formalpolitische Macht wichtig ist und man da Einfluss nehmen muss, dass das aber alles zu nichts führt, wenn man nicht eine karitative Struktur schafft, die die Lebenssituation verbessert.

Glauben Sie, dass so ein mehrgleisiger Ansatz, einen transformativen Effekt haben könnte?

Ja, das glaube ich schon. Aber die Frage ist und ich glaube da haben wir eben keine Antwort drauf, wie soll das in der Praxis funktionieren? Wir haben ja nicht 500 Vollzeitaktivisten, die sich in den verschiedenen Themenfeldern bewegen und dann auch noch miteinander abstimmen. Das ist als Nebenbei nicht zu leisten. Die Frage ist, wie man so eine Struktur schaffen könnte, die das irgendwie ermöglicht, dass alle Personen nur kleine Teilbereiche übernehmen.

Würden Sie sagen die solidarische Stadt ist ein sich in Europa ausbreitendes Modell oder sind es nur ein paar Städte und das wars?

Also ich glaube, dass es ein Modell ist, das vor allem in Krisenzeiten immer stärkere Verbreitung finden wird. Momentan stagniert es in Zahlen. Es gibt sicher Ansätze in Athen oder Palermo. Das Positive daran ist, dass die Idee scheinbar einen Reiz hat, dass man innerhalb eines urbanen Raums Solidarität füreinander empfindet oder ein Verantwortungsgefühl seinen Nachbarn gegenüber hat. Aber ich glaube nicht, dass das ein Modell ist, das Europa von den Städten aus transformieren wird.

Sie beschreiben in Ihrem Buch auch die Solidarität von oben, namentlich das „Eurocities Solidarity City Forum“. Was sind die Unterschiede zur Solidarität von unten?

Solidarität von oben kann für mich als Begriff ja eigentlich nicht funktionieren, weil Solidarität historisch was damit zu tun hat, dass gleichwertige Menschen sich gegenseitig unterstützen, aber auch aus dem Bedürfnis heraus, sich selbst besser zu stellen. Also ich kämpfe nicht nur dafür, dass jemand mit einem anderen Aufenthaltsstatus besser medizinisch versorgt wird, sondern es geht mir auch darum, dass ich in einem Land lebe, das ein funktionierendes Gesundheitssystem hat, auch wenn ich meinen Job oder meine Wohnung verliere. Also man tut das auch aus egoistischer Motivation heraus. Aber ich finde das kein negatives Element. Solidarität von oben hat immer etwas Karitatives. Das ist keine wirklich Solidarität.

Was bringt uns die lokale Solidarität?

Ich glaube, dass es in der Krise der ersten Hälfte der Zehnerjahre große Ideen gab und es klar war, dass der Neoliberalismus zu einem Ende kommen wird oder sich zumindest in einer tiefen Krise, auch einer Legitimationskrise befindet. Aber letztendlich gab es von Links keine großen Würfe und keine international koordinierten Ideen. Die Mobilisierung hat an vielen Orten aber zu keinen faktischen Verbesserungen geführt. Daher glaube ich, dass aus der lokalen Solidarität viel erwachsen kann, es kann so eine Art Petrischale für Größeres sein. Die lokale Solidarität hat die Fähigkeit relativ schnell wirklich was zu verbessern vor Ort. Also wenn es mir beispielsweise gelingt die Miete zu deckeln, dann macht das für viele Menschen den Unterschied zwischen obdachlos und nicht obdachlos werden aus. Mittelfristig kann ich aber nicht so tun als wäre ich auf einer Insel der Seligen, sondern muss anerkennen, dass ich in größerflächigen Machtstrukturen lebe und es nicht auf lokale Solidarität begrenzt bleiben kann, auch wenn diese ein guter Ausgangspunkt ist.

Antje Dieterich: Solidarity Cities.
Lokale Strategien gegen Rassismus und Neoliberalismus.
Unrast Verlag, Münster 2019.
80 Seiten, 7,80 Euro, ISBN 978-3-89771-146-4

Titelbild: Gennaro Leonardi auf Pixabay

Serie zu selbstverwaltete Betriebe in Europa

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Unsere Zeitung verlost gemeinsam mit dem guernica Verlag zu jedem Teil der Serie jeweils 1 Exemplar des Buches „coop – Selbstverwaltete Betriebe und ihre Auswirkungen auf Arbeit und Gesellschaft“. Schreibe einfach ein E-Mail mit dem Betreff „coop“ und Deiner Anschrift an gewinnspiel@unsere-zeitung.at und mit etwas Glück findest du das Buch bald in Deinem Postkasten.

Teilnahmeschluss ist der 15.09.2020. Die glücklichen Gewinner werden anschließend per Mail verständigt.

Termin-Aviso:

Dienstag, 15. September, 19 Uhr: Buchpräsentation im Cardjin-Haus in Linz (Kapuzinerstraße 49) in Kooperation mit dem guernica Verlag, weltumspannend arbeiten, u.a.

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