Corona und die Versicherheitlichung des Zivilen
Start der Friedenskolumne von Thomas Roithner
Ende August rückte das Bundesheer wieder aus. Vierzig Armee-Logistiker wurden in Tirol im Lebensmittelhandel angefordert. Der Deal erscheint einfach: Hilfe gegen Bezahlung. Es geht schließlich um die Sicherheit der Lebensmittelversorgung. Aber wo sind die Grenzen für den Einsatz des Militärs?
Versicherheitlichung
Sicherheit wird in den letzten Jahren großgeschrieben. Eigentlich nicht nur Sicherheit, sondern „Versicherheitlichung“. Herausforderungen werden dabei als besondere Gefährdungen deklariert, die Maßnahmen außerhalb des gewohnten Instrumentenkastens erfordern würden.
Alle möglichen und unmöglichen Politikbereiche durch die Sicherheitsbrille zu betrachten heißt, dass zivile, polizeiliche oder justizielle Aufgaben zumindest zeitweise in Richtung Armee abwandern. Alles rechtlich gedeckt. An die Armee an der Grenze ist die Öffentlichkeit längst gewöhnt. Soldaten gegen Schlepper, Soldaten gegen Bedrohungen von Botschaften, Soldaten gegen Ganoven im Internet, Armeeflugzeuge nehmen Abschiebungen vor, Militärfahrzeuge übernehmen Häftlingstransporte und die Armee jagte ganz gewöhnliche Kriminelle.
Assistenzleistungen im Lebensmittelhandel und Gesundheitsbereich hatte das Bundesheer in den letzten Wochen ebenso im Köcher. Militär gegen alles, was man für eine ungewöhnliche Bedrohung hält. Zivile Ansätze geraten immer mehr auf das Abstellgleis. Was im österreichischen Biotop ablesbar ist, hat einen europäischen Trend: auf den uneindeutig gewordenen Terrorismus gehört nun die noch schwerer fassbare „hybride Bedrohung“ zum militärischen Aufgabenfeld.
Sicherheitsnebel
Nicht nur dem Frieden willen, sondern auch wegen der Demokratie sollen Soldaten nicht als Polizisten gehen. Auch weil der Zweck nicht alle Mittel heiligt. Wenn die Polizei Botschaften nicht bewachen kann oder Kriminelle nicht ohne Zugriff auf Soldaten findet, so ist über Ressourcenverteilung zu diskutieren. Denn Soldaten sind keine Polizisten.
Seit Jahren stochern wir uns durch einen Sicherheitsnebel. Ursachen, Instrumente, Ressentiments und Lösungsansätze werden – bewusst wie unbewusst – vermischt. Augenmaß bei Sicherheit heißt auch: Der gefladerte Regenschirm im Wirtshaus ist keine Mittelstreckenrakete. Nicht alles ist zum Fürchten und vieles auch ohne Muskeln und ohne Militär lösbar.
Militär = Polizei = Militär?
Bunte Tageszeitungen mochten hie und da den Eindruck erwecken, als wäre eine Sicherheitsdoktrin und nicht ein Regierungsprogramm das leitende Dokument. Die schwarz-blaue Bundesregierung hat’s auf die Spitze getrieben und das Wort „Sicherheit“ kam im damaligen Regierungsprogramm satte 172 Mal vor. Auf vielem klebt das Etikett der Sicherheit. Bei der Geschwindigkeit, mit der in Österreich die Formel “Militär ist Polizei ist Militär” durchkalkuliert wurde, sind politische Rechenfehler fast ein Naturgesetz.
Schwer fassbar werden Herausforderungen und Bedrohungen auch dann, wenn diese in einer schier endlosen Wurst aufgezählt werden. Diese weder mit zu bearbeitenden Instrumenten noch zuständigen Institutionen in Beziehung zu setzen, mag eine Strategie sein, aber kaum eine zur Lösung. Die aktuelle Österreichische Sicherheitsstrategie listet für Österreich und die EU auf: cyber attacks, Wirtschaftskriminalität, nicht gelingende Integration, Ressourcenknappheit, Klimawandel, Bedrohung der Verkehrswege oder die sicherheitspolitischen Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Ein gerüttelt Maß ziviler Probleme wird versicherheitlicht.
Militärbudget steigt
Nicht nur die Aufgaben des Militärs erweitern sich zeitweise, auch das Budget steigt an. Das renommierte Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI weist mit offiziellen Zahlen der Republik von 2015 bis 2019 eine Budgetsteigerung von 20,3 Prozent nach. Die European Defence Agency stützt sich in ihren hochoffiziellen Statistiken ebenfalls auf diese Daten. Von 2019 auf 2020 wird gemäß dem Budgetausschuss im Nationalrat eine Budgetsteigerung von 9,9 Prozent in Aussicht genommen. Das EU-Institut für Sicherheitsstudien belegt – mit Rückgriff auf Daten des International Institute for Strategic Studies (IISS) – einen beachtlichen Aufwärtstrend bei Militärausgaben, nämlich um 17,2 Prozent von 2016 bis 2018. Nur das Heer selbst redet sich budgetär krank und kränker.
Thomas Roithner, Friedensforscher und Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien, www.thomasroithner.at
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Titelbild: Bundesheer/Pusch (Quelle: bundesheer.at – Bilder zu den Maßnahmen und Auswirkungen des Coronavirus)