Der Militärkompass der EU

Kompass in der EU-Flagge

Warum die EU schon wieder ein neues militärisches Strategiedokument will.

Von Thomas Roithner

Thomas Roithner: Kolumnist für „Unsere Zeitung – DIE DEMOKRATISCHE.“ (Foto: privat)

Die Krux gleich zu Beginn: in wichtigen Fragen fehlt es der EU an gemeinsamen Ansätzen in der Außenpolitik. Der Umgang mit Menschen, die vor Krieg und Armut davonlaufen, ist aktuell nur der augenscheinlichste Aspekt. Dazu kommen Konfliktlösung in Syrien und Libyen, Chinas Seidenstraße, Atomwaffen oder die Anerkennung Palästinas. Das Gemeinsame in der Gemeinsamen Außenpolitik ist nicht selten ein schlechter Witz.

Nicht unproblematisch und nicht ungefährlich ist der erneute Versuch, außenpolitische Differenzen mit Muskeln – Truppen und Rüstung – zu überpinseln. Die vergangenen Jahre der Entwicklung der EU – die Kritik spricht von der EU-Militarisierung – sind reich an Beispielen, außenpolitische Differenzen zur Seite zu wischen und diese durch besondere Geschäftigkeit bei den militärischen Instrumenten zu kompensieren. Mit einer einheitlichen Integrationsstrategie alle EU-Mitglieder mitzunehmen war gestern. Heute ist die regelkonforme Abkoppelung von EU-Staaten bei Rüstung und Militär ein Normalfall.

Bremsklotz abschütteln

Der EU-Sicherheitsstrategie des Jahres 2003 merkte man an, dass die Strategie von Uncle Sam als Vorlage diente. Europäisches Rüsten und Marschieren ja, aber bitte schon mit US-Erlaubnis. Das änderte sich gravierend. Das Nachfolgedokument ist die EU-Globalstrategie des Jahres 2016. Das Tempo machte nicht diese Strategie, sondern das britische Referendum über den EU-Austritt 5 Tage vorher. London torpedierte in der EU, was nicht in Washingtons Interesse lag. Frankreich und Deutschland konnten ab nun – ohne Bremsklotz und Veto aus London – das Konzept der strategischen Autonomie der EU voranbringen. Des Pudels Kern sind die EU-Rüstungsindustrie und die EU-Militäreinsätze.

Autonomie – der Weg zum Kompass

Die EU-Globalstrategie 2016 schreibt fest: Es „benötigen die Mitgliedstaaten bei den militärischen Spitzenfähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen (…). Dies bedeutet, dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeseitigen Fähigkeiten (…) zur Verfügung stehen muss“. Es geht u.a. um Drohnen, Marine oder die Militarisierung des Weltraums. Wichtig dabei: so wenig USA wie irgendwie möglich. Das militärische Kerneuropa, militärisches Schengen, militärisches EU-Hauptquartier und der EU-Rüstungsfonds nehmen Fahrt auf. Die EU-Kommissionspräsidentin und vormalige deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen erklärte, die EU müsse die „Sprache der Macht“ erlernen. Dem französischen EU-Kommissar für Industrie und Rüstung, Thierry Breton, gefällt’s. Mit dem Jahr 2016 hat die EU ihren Charakter verändert.

Strategischer Kompass

Das jüngste Projekt für eine EU-Militärpolitik ist der Strategische Kompass. Eine deutsche Idee im Umfeld der EU-Ratspräsidentschaft, die 2022 unter der französischen Ratspräsidentschaft finalisiert werden soll. Das folgt einer Systematik der EU-Militär- und Rüstungspolitik: Man spricht viel Deutsch und Frankreich hat das letzte entscheidende Wort.

Der Kompass soll – so Detlef Wächter vom deutschen Verteidigungsministerium – „eine wichtige Arbeitsgrundlage für das Militär und seine Planer“ sein. Erster Schritt ist eine Bedrohungsanalyse. Und hier zurück zur anfänglichen Krux: ein Zusammensammeln von Bedrohungen der 27 EU-Staaten hat in der Vergangenheit nicht zur Schaffung einer gemeinsamen Position, sondern – gemeinsamer Nenner – zur Schaffung militärischer Kapazitäten und zur Versicherheitlichung ziviler Herausforderungen geführt.

Morgenluft für Nachrichtendienste

Im Prozess zum Strategischen Kompass wurde gegen die außenpolitische Uneinigkeit der EU-Staaten ein Ansatz entwickelt, der seinesgleichen sucht. Kleiner Rückblick: Militär- und Rüstungsprojekte der EU wurden bislang von den militärisch Fähigen und politisch Willigen entwickelt und durchgeführt. Der Rest bleibt regelkonform vor der Türe (PESCO). Die zweite Möglichkeit sind bi- und trilaterale Rüstungsprojekte außerhalb des EU-Rahmens (neues Kampfflugzeugsystem, neues Kampfpanzersystem) mit Frankreich und Deutschland im Zentrum.

Der Strategische Kompass entsteht anders. „Die Bedrohungsanalyse ist ein Dokument der Nachrichtendienste, kein politisches Papier“, so Wächter aus dem Berliner Verteidigungsministerium. Die Schlapphüte bauen die Basis für den EU-Kompass. Die neue Qualität: „Die EU-Mitgliedstaaten liefern Input, stimmen aber nicht über das finale Dokument ab“, so Sonja Momberg auf der Seite des Bundesministeriums der Verteidigung. Innerhalb der Debatte über Demokratie in der EU nahm jene über die Militär- und Rüstungspolitik schon bislang eine besonders Stellung ein.

Bedrohungsdebatte

Die EU fühlt sich vielgestaltig bedroht. Dass „die Welt in Unordnung geraten“ sei, ist auch eine Begründung für den Kompass. Diese Unordnung reicht von Trump bis Putin, von Migration bis zum Krieg aus dem Internet. China tut das Übrige und nach dem Hohen Vertreter der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, wird erklärt „Gesundheit ist jetzt ein Sicherheitsproblem“. Um für Corona-ähnliche Krisen ausgerüstet zu sein, benötige es das militärische Kerneuropa und den EU-Rüstungsfonds zur Hilfe. Die französischen und deutschen Rüstungskonzerne jubeln, aber es geht nach ihrem Geschmack alles viel zu langsam. Und rasch erlangen Soldatinnen und Soldaten für alle möglichen und unmöglichen Aufgaben Zuständigkeiten.

Der Strategische Kompass der EU verdeutlicht, dass im geopolitischen und geoökonomischen Ringen um Macht und Sicherheit ursachenorientierte Methoden zur Bearbeitung von Konflikten unter ihren Möglichkeiten gehandelt werden. Auch die eingesetzten zivilen personellen Kapazitäten der EU haben sich in den letzten 10 Jahren kontinuierlich rückläufig entwickelt. Das Beispiel des Atomwaffenverbotsvertrages zeigt jedoch, dass sich die Politik der neutralen und paktungebundenen EU-Staaten unterscheiden kann. Warum nicht auch bei der zivilen Krisenprävention gemeinsam einen Gang zulegen?

Thomas Roithner ist Friedensforscher, Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Mitarbeiter im Internationalen Versöhnungsbund – Österreichischer Zweig. Sein Buch „Flinte, Faust und Friedensmacht. Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik Österreichs und der EU“ ist im Herbst 2020 bei myMorawa erschienen.

 

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Titelbild: Collage/Unsere Zeitung/ Elionas2 und OpenClipart-Vectors auf Pixabay 

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