Niemand möchte gerne offen zugeben, wie viel Zeit in die sozialen Medien investiert wird, oder wie viel es für einen bedeutet, die kleinen Errungenschaften des täglichen Lebens zu teilen. Wir möchten gemocht werden und sehnen uns nach der Aufmerksamkeit und Ablenkung, die wir verdienen. Wie viel ergibt ein Detox also Sinn?
Von Oliver Suchanek
Das Internet kann man als eine ambivalente Sache betrachten: Einerseits spart es Unmengen an Zeit, wenn man etwas nachschauen („googeln“) möchte und dank dem mobilen Tool in Sekundenbruchteilen die gewünschten Informationen auf dem Bildschirm erscheinen. Andererseits ist die Tatsache, wie viel es tatsächlich an Zeit frisst, weil es allgegenwärtig ist, erschreckend.
In meinem Umfeld nimmt der Wunsch nach mentaler Entspannung in letzter Zeit immer mehr zu, sodass sich Menschen eine Auszeit vom Internet, genauer: den Sozialen Medien, nehmen wollen. Es werden Challenges/Trends wie „30 Days Social Media Detox“ hochgepriesen, nur um etwas Ruhe im Leben erfahren zu können. In der Hoffnung mehr Momente im Alltag mit starker Reduktion von sensorischen Reizen zu erleben – man müsste meinen, dass eigentlich die Zeit, die mit einem kleinen Spaziergang oder Laufen verbracht wird, eine Auszeit von der Reizüberflutung bietet.
Natürlich nur, wenn beim Laufen kein Podcast gehört und beim Spazieren die Umgebung nicht nur um Content für Instagram willens fotografiert wird. Alleine schon beim Aufwachen ist das Handy oftmals der erste Gegenstand, wonach gegriffen wird und im schlimmsten Falle beeinflusst es bereits hier schon, wie der Tag überhaupt verläuft, bevor der Fuß den Boden berühren konnte. Beim Auswärtsgehen mit Freunden kommt vom Unterbewusstsein die Unruhe einen „Snap“ über die App Snapchat teilen oder ein Foto für die Instagram-Story machen zu müssen, da der Zwang, sich permanent austauschen zu müssen, überwiegt.
Diese Reizüberflutung äußert sich als eine Unlust-Intoleranz und eine Pseudo-Äquivalenz, in der immer mehr verlernt wird, wichtige Informationen von unwichtigen und richtige von falschen zu unterscheiden. Die ständige Ablenkung verstärkt die Prokrastination – das Aufschieben von anstehenden Aufgaben – und nach stundenlangem Scrollen auf vorher genannten Plattformen, sind die Energielevels nur mit Schlaf wieder aufzufüllen: ein Teufelskreis.
Social Media: Freund oder Feind?
Zu meinem Schrecken, jedoch nicht Überraschung, erkannte ich schnell, dass meine Produktivität und Energielevels sehr von diversen Plattformen wie YouTube, Instagram und Twitter beeinflusst wurden. Ich erwischte mich, wie ich manchmal – eigentlich zu oft – meine Tätigkeit, wie eine Dokumentation auf Netflix schauen oder ein Buch lesen unterbrach, indem ich mein Handy zur Hand nahm und eine App nach der anderen ohne eigentlichen Zweck öffnete, nur mit einem merkwürdigen Trost, der durch Ablenkung und das Konsumieren eines zufälligen Informationsstroms entsteht.
Ehe ich mich versah, waren vierzig Minuten vergangen. Jedes Mal, wenn es mir aktiv auffiel, dass ich wieder weitere Stunden mit halbherzigen Durchblättern durch das Newsfeed verschwendete, dachte ich mir, dass ich vielleicht die Social Media Nutzung zu einem großen Grad einschränken sollte. Ich habe es aber nie getan. Viel lieber beschwerte ich mich bei meinen Freunden darüber, wie sehr meine Zeit mit dem endlosen Scrollen der diversen Plattformen draufging und änderte nichts daran. Für 7, 10 oder 30 Tage lang offline zu gehen, schien meines Erachtens einfach sinnlos – würde man nicht unweigerlich in alte Gewohnheiten und Routineverhalten zurückfallen, wenn das Ende des Experiments erreicht ist? Wäre es nicht sinnvoller, die bestehende Online-Zeit im Gesamten auf langfristig zu reduzieren?
Zu viel freie Zeit
Die größte Hürde, die bei einem kompletten Detox schnell auftaucht, ist die plötzliche freigewordene Zeit. Keine Zeit zu haben ist die Ausrede in unserem alltäglichen Leben – wenn jedoch tatsächlich nichts zu tun ist und man sich vor der Langeweile fürchtet, wird Instagram geöffnet. Es ist viel einfacher, zu sehr in einem verankert, im Bett zu liegen oder am Schreibtisch zu sitzen und die „freie“ Zeit mit dem Internet zu füllen, anstatt die persönlichen Projekte anzugehen. Die Prägung, welche über lange Zeit entstand, dass Langeweile bzw. die Suche nach erfüllenden Aufgaben einen gewissen geistigen Schmerz aussendet, wird viel Aufwand benötigen, um überkommen werden zu können. Wenn man sich jedoch alle Projekte, umsetzbare Ideen, Aktivitäten und allgemein den Fortschritt vor Augen führt, der entstehen kann, wenn man diese Prägung aus seinem Leben verbannt, sollte man sofort den immensen Vorteil erkennen können.
Es gibt keine endgültige Lösung, nur wer sich ständig weiterentwickelt und die digitale Welt aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, findet für sein Leben den optimalen Mittelweg für ein produktives und präsentes Leben. Wo willst du im derzeitigen Lebensabschnitt eigentlich hin? Was ist im Alltag wirklich wichtig?
Social Media neu definieren
Das Problem, das Social Media mit sich bringt, ist oftmals der filterlose Strom an Kurzinformationen und schnelle Unterhaltung, die zu einem verkürzten Aufmerksamkeitsspanne führen. Ich erkannte an mir selbst, wie ich eine zeitlang immer weniger Artikel bis zum Ende lesen konnte. Ein Buch in die Hand zu nehmen, was bedeuten würde, dieses ohne ständiges Unterbrechen lesen zu wollen, fühlte sich schwer an. Die Frustration ist groß: Wir können in Tweets und diversen Postings stecken bleiben – jedoch das Lesen hochwertiger Inhalte optimiert die Art und Weise, wie wir unsere Gedanken verarbeiten und mit der Welt interagieren.
Eine Studie aus 2014 auf der Universität von Virginia ergab, dass Menschen, die alleine in einem Raum ohne Telefon oder alternative Ablenkungsmöglichkeiten eingesperrt sind, wahrhaft bevorzugen, sich selbst einen Elektroschock zu geben, als die Zeit mit ihren Gedanken zu verbringen. Zwar ist das ein unbestreitbarer Indikator dafür, wie wir von Ablenkungen abhängig sind – wieso sollte man auch auf diese verzichten, wenn sie so leicht verfügbar sind? – allerdings bewährt sich der Eskapismus für die eigene mentale Gesundheit und Zufriedenheit nicht.
Der Trick besteht darin, sie weise und rational einzusetzen, ohne, dass sie das eigene Leben regiert. Es spricht nichts dagegen, weiterhin diverse Plattformen im Alltagsleben zu nutzen, nichtsdestotrotz geht das anders. Seit ich meinen Instagram-Feed gefiltert habe, lese ich tatsächlich mehr wissenschaftliche Veröffentlichungen und Studien (mit dem erfreulichen Nebeneffekt, dass sich sowohl mein englisches Verständnis als auch Vokabular verbessert).
So gesagt, kann sich optimale und disziplinierte Nutzung der sozialen Medien langfristig eher bewähren, als zu versuchen, dreißig Tage von diesen fern zu bleiben.
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Titelbild von Cristian Dina von Pexels