Schlechte Arbeitsbedingungen machen krank – körperlich und psychisch. Die Folgen sind viel menschliches Leid für Betroffene und deren Familien, aber auch hohe Kosten für die Wirtschaft und das Gesundheits- und Sozialsystem.
Von Johanna Klösch (A&W-Blog)
Nun beziffert das Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFO) erstmalig – konkret für Österreich – die Kosten von arbeitsbedingten Unfällen und Erkrankungen. Methodisch knüpft die neue WIFO-Studie an ein vor Kurzem abgeschlossenes Forschungsprojekt der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz (EU-OSHA) an. Spannend: Der OSHA-Ansatz deckt hier auch unsichtbare Kostenkomponenten auf, die öffentlich meist nicht oder wenig thematisiert werden. Die Studienergebnisse bestätigen die langjährigen Forderungen von Arbeiterkammern und Gewerkschaften.
Vier Fünftel der Kosten durch arbeitsbedingte Erkrankungen
Die WIFO-Studie spricht Klartext: Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen verursachten in Österreich im Jahr 2015 Gesamtkosten von rund 9,9 Mrd. Euro – das sind rund 2.400 Euro pro erwerbstätiger Person. Der Löwenanteil dieser Kosten (82 Prozent bzw. 8,1 Mrd. Euro) wird durch arbeitsbedingte Erkrankungen verursacht. Die Arbeitsunfälle machen mit 1,8 Mrd. nur einen verhältnismäßig kleinen Anteil an den Gesamtkosten aus.
Dies zeigt eindrücklich: Prävention wirkt – seit der Einführung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes im Jahr 1995 hat die Anzahl der Arbeitsunfälle um rund ein Drittel abgenommen.
Verborgene Kosten – jetzt endlich sichtbar
Die Kosten der Behandlung der Krankheitsfälle (inkl. Verwaltungskosten) – die sogenannten direkten Kosten – stellen mit 0,9 Mrd. Euro eine vergleichsweise kleine Kostenposition dar.
Der Großteil – nämlich rund 9 Mrd. Euro – sind „unsichtbare“ Kosten. Hierzu zählen etwa indirekte Kosten durch den gesundheitlich bedingten Ausfall von Arbeitskräften, verminderte Produktivität oder die Einschränkung bei der Verrichtung von Haushaltstätigkeiten. Auch die Kosten durch immaterielle Schäden aufgrund des Verlustes an Lebenszeit und Lebensqualität (Kosten für Leid und Tod) fallen in diese Kategorie.
Beschäftigte zur Kasse gebeten
Besonders sauer stößt auf: Die Beschäftigten bezahlen für ihre schlechten Arbeitsbedingungen nicht nur mit der eigenen Gesundheit, sondern auch mit ihrem eigenen Geld. 59 Prozent der Kosten für Erkrankungen durch die Arbeit und Arbeitsunfälle stemmen die Beschäftigten – über ihr Leben hinweg müssen diese nämlich Einkommenseinbußen und Kosten in Form von privaten medizinischen Aufwendungen und informeller Pflege tragen. Zusätzlich treffen sie allein die negativen Folgen bei der Haushaltsproduktion (z. B. Einschränkungen bei der Verrichtung von Haushaltstätigkeiten) und die Kosten für Leid und Tod.
Das Sozialsystem fängt knapp ein Viertel der Kosten (24 Prozent) ab. Vergleichsweise „billig“ steigt jedoch jene Gruppe aus, die für die Arbeitsbedingungen verantwortlich ist – die ArbeitgeberInnen mit rund 17 Prozent.
Gesunde Arbeit braucht Prävention
Viele Forderungen von Arbeiterkammern und Gewerkschaften zur Verbesserung von krankmachenden Arbeitsbedingungen erweisen sich im Lichte der Studienergebnisse als aktueller und dringender denn je.
- Wir wissen: Prävention wirkt und ist der Schlüssel zu gesunden Arbeitsbedingungen. Die Erweiterung der Präventionskompetenz der AUVA auf arbeitsbezogene Gesundheitsgefahren bzw. die Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen ist dringend erforderlich.
- Wir wissen auch: Um mit Präventionsmaßnahmen die Kosten für arbeitsbedingte Unfälle und Erkrankungen nachhaltig abzusenken, braucht unser Sozialversicherungssystem entsprechende Mittel. Die immer wieder ins Spiel gebrachte Senkung der AUVA-Beiträge ist kontraproduktiv – wir brauchen mehr Mittel für Prävention, nicht weniger.
Zum Schutz vor krankmachenden Arbeitsbedingungen braucht es natürlich eine durchschlagskräftige Arbeitsinspektion: Schutzgesetze brauchen Kontrolle. Das Aushungern der Arbeitsinspektion ist zu beenden – mehr finanzielle und personelle Ressourcen sind hoch an der Zeit.
Mehr Schutz am Arbeitsplatz
Arbeitsbedingten Erkrankungen – wie etwa Krebs durch gesundheitsschädigende Arbeitsstoffe, Muskel-Skelett-Erkrankungen durch schwere körperliche Arbeit oder auch psychische Beschwerden, hervorgerufen durch hohen Arbeitsdruck – muss durch gezielte Prävention der Kampf angesagt werden.
So gehört etwa das Arbeiten mit schweren Lasten zum beruflichen Alltag vieler ArbeitnehmerInnen – Gesundheitsschäden sind oft die Folge. Unter Heranziehung neuer arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse (z. B. deutsche Leitmerkmalmethoden) braucht es endlich verbindliche Obergrenzen für das Bewegen von Lasten.
Ebenso wichtig ist auch die rasche Einführung wissenschaftlich aktueller, risikobasierter Grenzwerte für gesundheitsschädigende Arbeitsstoffe. Eine Vielzahl der österreichischen Grenzwerte ist noch immer deutlich höher als etwa in Deutschland und garantiert nicht mehr den Gesundheitsschutz der ArbeitnehmerInnen.
Darüber hinaus braucht es endlich einen wirksamen Ausgleich für die ArbeitnehmerInnen: „Höher – schneller – weiter – mehr“ ist heute oft die krankmachende Devise der Arbeitswelt. Eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden (bei vollem Lohn- und Personalausgleich) ist überfällig. Auch die 6. Urlaubswoche muss endlich für alle Beschäftigten, unter fairen Bedingungen, zugänglich sein.
Last, but not least muss klar sein: Arbeit darf nicht krank machen! Fakt ist: Gesunde Arbeitsbedingungen sind kein Weihnachtsgeschenk an die ArbeitnehmerInnen – jede und jeder von uns hat das Recht, nach getaner Arbeit ebenso gesund wieder in sein Zuhause zurückzukehren, wie er es verlassen hat. Dafür kämpfen Arbeiterkammern und Gewerkschaften – damit wir nicht am gesundheitlichen Glatteis ausrutschen oder sogar vorzeitig „die Engel singen hören“.
Titelbild: Unsere Zeitung/Moritz Ettlinger