Warum Marienkäfer Punkte haben oder warum Menschen Menschen hassen?

MarienkäferDie aktuellen Ereignisse veranlassen mich dazu, das erste Mal meine Stimme zu erheben. Ein offener Brief an Heinz-Christian Strache.
Von Thomas Meyer

Ich war bisher noch nie politisch aktiv. Weder als zotteliger, ziegelsteinwerfender Aktivist – noch als vernarbter Seitenscheitel-Burschenschaftler. Somit bin ich mit verantwortlich für die gegenwärtige Situation und erlege mir diesen Brief als Strafe auf.

Ich machte es mir bisher relativ einfach – indem ich, als Zögling einer mittelständischen, finanziell gut situierten und vor allem fürsorglichen Familie, meinen Weg ging. Ich kam in den Genuss einer ausgezeichneten Ausbildung und fand beruflich auch relativ schnell den Anschluss. Ich hatte es nicht schwer – und machte es mir noch einfacher. Selbst im Zuge der Verfassung meiner Diplomarbeit, die sich mit unserem Bildungs- und Geldsystem systemkritisch auseinandersetzte, ging ich nicht in die Offensive – sondern nur auf den freien Arbeitsmarkt. Ich kam, nahm und siegte. Geil!

Nein, denn vorgestern bin ich 30 geworden. Ich bin reflektiert genug, um zu realisieren, dass ich kein Problem mit meinem Alter habe – nein, ich hab ein Problem mit ihnen bzw. ihrer Partei.

Warum jetzt? Warum erhebe ich gerade jetzt meine Stimme und trete aus meiner Deckung hervor? Ich will Vater werden. Ein Kind. Ja, das möchte ich. Ich strebe danach, meiner Berufung als Mensch nachzukommen und sehne mich nach der Gründung einer Familie. Und doch gibt es Zweifel. Ich lebe in einer Welt voll kriegerischer Konflikte, nachhaltiger Umweltzerstörung und wirtschaftlicher Krisen. Ich lebe in einer Welt, in der ich esse bis ich satt bin und mein Nachbar hungert. Ich lebe in einer Welt, in der Kinder sterben – nicht weil sie krank sind, sondern ihr System todkrank ist.
Aber darf ich ehrlich sein? Ich würde dies im Zuge meiner Kinderplanung akzeptieren – denn ich glaube an eines – Zusammenhalt! Familie, Nachbarn, Freunde. Kooperatives, von manchen als kleinkariert abgestempeltes Leben. Ich spreche nicht von Räucherstäbchen-Orgien. Nein, ich spreche von gegenseitiger Hilfe und Fürsorge. Menschen helfen Menschen.

Und dann stelle ich mir vor mit meiner Tochter oder meinem Sohn durch die Stadt zu spazieren und mein Herz erwärmt sich bei der Vorstellung wie ich unserem Kind die Wunder der Welt erkläre. Warum ist der Himmel blau? Was wiegen Wolken oder warum haben Marienkäfer Punkte?
Auch wird es mich fragen, warum der Mann auf der Straße sitzt und was auf dem Schild vor ihm steht. „Ich habe Hunger“ werde ich halblaut vorlesen und meinem Kind erklären warum es arme Menschen gibt. Wir gehen weiter und mein Kind wird mich fragen was auf diesem großen Plakat mit dem Mann mit den blauen Augen steht. Und ich werde zum ersten mal schweigen. Weil ich es selbst nicht verstehe.

Ich werde als Vater versagen, da ich nicht erklären kann, wie man so sein kann. Mein Kind wird irritiert sein. Verwirrt. Weiter nachfragen. Auch Mami wird ihr keine Erklärung geben können. Wir werden dieses Thema totschweigen. Denn wie erklärt man Fremdenhass? Wie erklärt man Dinge, die man selbst nicht versteht? Wie sollte ich verständlich machen, dass Walter gut, Achmed aber böse ist?
Mein Kind wird mich ansehen und fragen: „Warum?“

Ja, genau. Warum? Ich weiß es einfach nicht. Ich werde verlegen lächeln, um meinem Kind Sicherheit und Geborgenheit zu signalisieren – aber nur um Unsicherheit zu vermeiden.

Ich spreche mit diesem Brief nicht nur sie direkt an, Herr Strache, nein, ich spreche all jene an, die dieses System aktiv oder passiv unterstützen. Auch hinterfrage ich das „Warum“ nicht. Es ist mir egal. Mittlerweile. Denn Hass zu schüren kann durch nichts legitimiert werden. Durch rein gar nichts.
Ich möchte Vater werden, Herr Strache. Wirklich. Aber ich kann das nur in einer Welt, die ich verstehe. Hören sie auf, das Gegeneinander zu fördern, sondern fordern sie das absolute Miteinander. Denn das kann man erklären. Und zwar mit einem ehrlichen Lächeln.
Und vergessen sie bitte nicht Herr Strache: Viele lachen nur, um nicht zu weinen.

Thomas Meyer
(zuerst erschienen am 7. Juni auf facebook)

Foto: Jon Sullivan (pdphoto.org/gemeinfrei)

 

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