Seit Wochen sind Flüchtlinge und AsylwerberInnen das bestimmende Thema in den Medien und auch während der letzten Wahlkämpfe im Burgenland und der Steiermark war sich so manche Partei nicht zu schade, politisches Kleingeld aus dem Schüren von Ängsten zu schlagen. Fakt jedenfalls ist: Momentan sind weltweit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht und manche von ihnen suchen auch hier bei uns in Österreich nach Schutz. Mit den höheren Flüchtlingszahlen steigen aber auch die Gerüchte und Vorurteile gegenüber AsylwerberInnen. Genau deshalb haben wir es uns nicht nehmen lassen, uns von der momentanen Lage ein eigenes Bild zu machen und die Flüchtlinge, die im Europacamp am Attersee untergebracht sind, ein paar Tage zu besuchen.
Nach unserer Ankunft im Camp sind wir rasch zu einer Erkenntnis gekommen: Nein, niemand bekommt ein iPhone geschenkt, sie tragen keine Markenklamotten und wir wurden auch nicht mit Essen beworfen. Ganz im Gegenteil, wir wurden herzlichst empfangen und hatten die Chance einen kleinen Einblick in ihre Situation und ihre Lebensgeschichten zu bekommen.
Nun aber der Reihe nach. Im Camp waren zu dieser Zeit 26 unbegleitete minderjährige Burschen von 14 bis 17 Jahren und 30 erwachsene Männer untergebracht. Wie beim Lesen des Artikels bald auffallen wird, möchten wir die Namen der Flüchtlinge hier nicht öffentlich machen. Dies hat mehrere Gründe, einer davon ist, dass ihre Geschichten stellvertretend für viele tausende Menschen stehen, die in unserem Land um Asyl ansuchen, und da ist es ganz egal, ob die Person Salim oder vielleicht doch Franz heißt.
Erster Tag
Nachdem wir in Weißenbach am Attersee angekommen waren, dauerte die „Eingewöhnungszeit“ nicht lange an. Das Eis wurde schnell bei einer Partie Volleyball gebrochen und im Laufe des Tages kamen wir langsam mit den Flüchtlingen ins Gespräch. Einige erzählten von ihrem Leben, ihrem Beruf oder ihrer Familie, welche sie sehr vermissen. Unter ihnen waren angehende Juristen, Ökonomen, Softwareentwickler und Hobbyfotographen. Von den Jüngsten lebten manche auf der Straße, andere gingen noch zur Schule und wiederum andere Kinder mussten bereits hart arbeiten. Eines wurde uns aber sehr schnell klar, sie nahmen vieles auf sich, um vor Armut, Krieg, Zerstörung und Tod zu flüchten.
Der 15-jährige Karl erzählte uns beispielsweise, wie er mit Schleppern aus der Türkei nach Griechenland gelang und von dort aus 60 Tage entlang von Bahngleisen zu Fuß bis nach Budapest ging. Als er von seiner Schwester zu erzählen begann, musste er mit den Tränen kämpfen.
Michael, 16 Jahre alt, verlor seine Mutter bereits als Kleinkind, sein Vater und auch sein Bruder wurden wenige Jahre später vor seinen Augen auf offener Straße erschossen. Nach Jahren als Straßenjunge in Afghanistan flüchtete Michael mit drei weiteren Straßenkindern in die Türkei. Mit Gelegenheitsjobs hielt er sich am Leben, irgendwann trat er dann den langen Fußmarsch nach Österreich an.
Aber natürlich unterhielten wir uns nicht nur über ihre Fluchtgeschichten, am Abend spielten wir Uno und Tischfußball und tanzten bis spät in die Nacht…
Zweiter Tag
Nach dem gemeinsamen Frühstück war wandern mit den Jugendlichen angesagt. Die Wanderung erwies sich aber als keine leichte, da wir mit den fitten Jungs kaum Schritt halten konnten. So kam es, dass einige von uns schon vorzeitig den Rückweg antreten mussten. Doch die Jungs zeigten Mitgefühl und boten uns an, die Rucksäcke zu tragen und gaben sich besonders große Mühe uns doch noch zu motivieren, um nicht aufzugeben. Dabei verspürten wir deutlich die innere Stärke der Burschen. Am Ende wurden unsere Mühen mit einer wundervollen Aussicht auf den Attersee belohnt.
Beim Abstieg versuchten wir uns gegenseitig Arabisch und Deutsch zu lehren und zurück im Camp ging es mit dem Deutschkurs noch lange weiter. Das Interesse der Jugendlichen daran war sehr groß.
Aufgrund des verregneten Nachmittags wurden die Aktivitäten nach Innen verlegt. Auch diese Zeit nutzten wir, um die Flüchtlinge besser kennenzulernen. Sie zeigten uns Fotos von ihren Familien und erzählten von ihrem Leben vor der Flucht. Martin, ein 15-jähriger Junge, schloss die Augen und küsste liebevoll das Foto seiner Mutter bevor er es uns zeigte. „Ist sie nicht wunderschön? Ich bete jeden Tag für sie“, sagte er leise, „Die Angst, ihr könne etwas zustoßen, ist unerträglich. Ich möchte sie wenigstens in meinen Träumen sehen. Ich vermisse sie so!“ Diesmal mussten wir gegen die Tränen ankämpfen.
Dritter Tag
Langsam hatten wir das Gefühl die Flüchtlinge schon jahrelang zu kennen. Ihre Offenheit, der liebevolle und aufmerksame Umgang mit uns, die Freude und Selbstlosigkeit, die sie uns – trotz all dem, was sie erlebten – entgegenbrachten, war schlichtweg bewundernswert.
Für den letzten gemeinsamen Tag planten wir noch eine gemeinsame Wanderung, diesmal sollte es zum nahegelegenen Wasserfall gehen. Eine Wanderung ist an sich schon ein aufregendes Ereignis, mit den Jungs allerdings wurde es zu einem unvergesslichen Abenteuer. Es ist faszinierend wie viel Energie die Burschen haben. Sie springen über Steine, singen, tanzen, lachen und haben keine Scheu ins eiskalte Wasser zu gehen.
Den ganzen Weg über wiederholten sie stolz die deutschen Wörter, die sie am Vortag gelernt hatten und fragten uns fast alle zehn Minuten, ob sie nicht doch unsere Rucksäcke tragen sollen. Es war unmöglich sich von ihrer Euphorie nicht anstecken zu lassen, so erwischten wir uns gegenseitig, wie auch wir über Steine sprangen und ins eiskalte Wasser hüpften. Und natürlich wiederholten auch wir die arabischen Wörter, die sie uns am Vortag gelernt hatten. Allerdings müssen wir zugeben, dass wir nicht einmal halb so gut waren wie die Jungs.
Am Rückweg kam es wieder zu allerhand spannenden Gesprächen über die Lage in ihren Herkunftsländern. Tobias, 16 Jahre alt, erzählte einem von uns, dass es schon sehr schwer geworden ist, in seiner Heimat, dem Irak, von einer Stadt in die andere zu gelangen, ohne dabei verletzt oder gar getötet zu werden. Die Flucht trat er mit seinem Cousin aus Perspektivlosigkeit an. „Einen ganzen Monat habe ich auf der Straße in Belgrad geschlafen, weil ich meinen Cousin verloren hatte. Die Haube auf meinem Kopf ist das einzige, was ich noch von ihm habe“, erzählte er mit zittriger Stimme und glasigen Augen.
Am späten Nachmittag wurden wir von den erwachsenen Flüchtlingen mit einer unvorstellbaren Großzügigkeit überrascht. Einige der Männer kauften – mit dem wenigen Geld, das sie besitzen – Nahrungsmittel ein, um gemeinsam mit uns zu grillen. Sie luden uns zum Essen ein, wollten uns bedienen und unterhalten. Es war für uns sehr beeindruckend und herzergreifend, wie diese Menschen das Wenige, das sie besitzen, mit uns teilten.
Nun war es leider an der Zeit, sich von unseren neuen Freunden zu verabschieden. Einigen kullerten Tränen über die Wangen und andere wurden plötzlich ganz ruhig und zurückhaltend. Es war offensichtlich, der Abschied fiel keinem von uns leicht. Um die Stimmung anzuheben, begann einer der Flüchtlinge ein heiteres Lied zu singen, wir klatschten alle dazu. Nach vielen Umarmungen mussten wir schlussendlich schweren Herzens aufbrechen.
Es waren wohl nicht nur für uns sehr bewegende Tage. Für das was wir an diesem Wochenende erlebt haben und was wir erzählt bekommen haben, ist es schwer, die richtigen Worte zu finden. Doch auch wenn die gemeinsame Zeit sehr bald wieder zu Ende war, werden wir die Jungs nicht mehr so schnell vergessen. Wir wurden von den Flüchtlingen als FreundInnen empfangen und als solche haben wir sie auch in unsere Herzen geschlossen.
Abschließend möchten wir uns aber auch für das Engagement der Volkshilfe-BetreuerInnen bedanken, die mit wenig Personal Tag für Tag Großartiges leisten und den Flüchtlingen das bieten, was sie auch verdienen, nämlich ein Leben in Würde und ein menschengerechtes Dasein.
Hanni, Hasan und Robert
AktivistInnen der KJÖ Linz