Über ein gelungenes Manöver mit einem hohen Preis – und über den Maulwurf der Geschichte
Ein Gastkommentar von Franz Stephan Parteder
Die Parlamentswahl in Griechenland führt das Manöver, welches Ministerpräsident Tsipras zur Absicherung seiner Position vollzogen hat, zu einem für ihn erfolgreichen Ende.
Der Preis dafür ist sehr hoch. Das zeigt schon der Vergleich der beiden Wahlabende. Am 25. Jänner war der Sieg von Syriza ein Signal der Hoffnung. Es schien möglich, dem Kurs der EU-Spitze die Kraft der Bevölkerung entgegenzusetzen, die den Kurs auf Sozial- und Demokratieabbau in Griechenland und in der gesamten EU ablehnt.
Nach der Unterschrift von Tsipras unter das dritte EU-Diktat ist die Stimmabgabe für Syriza ein Zeichen der Angst vieler Menschen, dass eine andere Regierung noch stärkere Belastungen bringen würde. Wie stark die Resignation schon fortgeschritten ist, zeigt die auf 56 Prozent gesunkene Wahlbeteiligung.
Eine linke Alternative zu Tsipras hat sich nicht als massenwirksam erwiesen. Die Syriza-Abspaltung Volkseinheit scheitert knapp an der 3-Prozent-Grenze. Und die Kommunistische Partei (KKE) stagniert bei 5,5 Prozent, was bedeutet, dass sie in absoluten Zahlen Stimmen verloren hat – wahrscheinlich an die Nichtwähler. (Gemeinsam hätten beide aber mehr Stimmen als die neofaschistische Goldene Morgenröte und wären drittstärkste Kraft im Parlament).
In Brüssel wird das Wahlergebnis positiv aufgenommen. Die linke (sozialdemokratische) Regierung bleibt im Schraubstock der „Institutionen“, die Opposition gegen den Sozialabbau wird daher schwächer sein als bei einer von den Rechten dominierten Regierung. Wer glaubt,
dass von diesem Ergebnis positive Auswirkungen auf eine Reform der EU und auf einen Kurswechsel ausgehen werden, der lebt in einer Welt der Illusionen. Schon bei der ersten Überprüfung der Umsetzung dessen, was am 13. Juli beschlossen wurde, im Oktober wird sich das zeigen. Die EU-Spitze wird diese Gelegenheit auch nützen, um eine Warnung an die spanische Bevölkerung zu senden, dass eine Stimmabgabe für Podemos nichts zum Positiven verändern wird.
Enttäuschte Hoffnungen
Wer in dieser Situation von einem Ausnützen der Handlungsspielräume spricht oder sich – wie Tsipras selbst in einem Interview mit der französischen Tageszeitung Humanite – auf die Schrift Lenins vom „Linken Radikalismus als Kinderkrankheit des Kommunismus“ beruft, der hat entweder den Ernst der Lage nicht begriffen oder verbreitet bewusst neue Illusionen.
Der Kompromiss mit der EU, von dem Tsipras spricht, ähnelt nämlich in einem wichtigen Punkt nicht dem Frieden von Brest-Litowsk. Lenin machte einem mächtigen Feind Konzessionen, behielt aber völlige Handlungsfreiheit und die politische Macht im eigenen Land. Griechenland hat sich mit der Kapitulation vom 13. Juli den „Institutionen“ auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Etwas anderes ist aber noch viel wichtiger. Der Wahlsieg von Syriza am 25. Jänner hat große Hoffnungen bei Massen von Menschen in allen Ländern Europas ausgelöst. Diese Hoffnungen sind brutal und bewusst von den Entscheidungsträgern in der EU enttäuscht worden. Auch nach dem wiederholten Wahlerfolg in Athen kann diese Hoffnung nicht aufleben. Auf diesem Weg ist es nicht möglich, eine Tür zu sozialem und demokratischem Fortschritt in der EU zu öffnen. Und was noch schlimmer ist: Alexis Tsipras ist zur Leitfigur der Eurolinken geworden. Deshalb passt man dort die eigene Strategie an die Vorgaben von Tsipras an. Dass Tsipras indes auf dem Weg vom Jungkommunisten zum charismatischen Sozialdemokraten vom Typ Andreas Papandreou schon weit fortgeschritten ist, wird dabei gnädig übersehen. Dabei sollte das Lob von Francois Hollande und Martin Schulz für Tsipras nach dem Wahlerfolg alle fortschrittlichen Menschen aufhorchen lassen. War bei der Gründung der EU-Linkspartei vor 11 Jahren noch davon die Rede gewesen, dass damit ein neues Subjekt der revolutionären Veränderung in Europa entstünde, redet man jetzt immer deutlicher wie eine Sozialdemokratie, solange sie in Opposition ist. Das ist ein qualitativer Sprung, der die geduldige Basisarbeit für den Aufbau einer sozialen Alternative noch schwieriger macht.
Selbständig und bündnisfähig
Kommunistinnen und Kommunisten dürfen dabei nicht verschweigen, dass in dieser Situation auch das Abschneiden der Kommunistischen Partei (KKE) einige Fragen aufwirft. Diese Partei war bis vor einigen Jahren deutlich stärker als Syriza. Warum ist es ihr nicht gelungen, den Widerstand gegen die EU zu bündeln? Warum konnte Syriza einige Jahre lang als realistische Alternative erscheinen? Warum konnte nach der Kapitulation vom 13. Juli kein Lernprozess in der Bevölkerung eingeleitet werden und warum konnte man der Apathie vieler Menschen nicht entgegensteuern?
Die Antwort auf diese Fragen müssen unsere GenossInnen in Griechenland selbst finden.
Für uns gilt, dass wir weiter daran arbeiten müssen, unsere Partei als selbständige und bündnisfähige Kraft aufzubauen, die sich auf unsere Weltanschauung stützt und unsere theoretischen Grundlagen durch die gesellschaftliche Praxis erweitert.
Ausgehend von dieser Analyse muss es jetzt darum gehen, im eigenen Land alle Angriffe auf die sozialen und demokratischen Rechte der Bevölkerung abzuwehren und konkrete Formen der Solidarität mit den Menschen in den anderen Mitgliedsstaaten der EU zu finden. Dabei darf auch der Austritt aus der EU kein Tabu sein.
Wir werden weiter an der Seite der Griechinnen und Griechen stehen, die für eine soziale, friedliche und demokratische Entwicklung ihres Landes eintreten. Das bedeutet Solidarität mit der KKE und allen progressiven politischen Kräften, die das Diktat der EU weiterhin ablehnen und dagegen ankämpfen wollen. In dieser Auseinandersetzung dürfen wir uns nicht abkapseln. Es hilft wenig, wenn wir im kleinen Kreis feststellen, dass wir mit unseren Analysen Recht haben. Es geht darum, in Bewegungen aktiv zu sein und dort einen Lernprozess über die grundlegenden Widersprüche in unserer Gesellschaft einzuleiten. Dabei sind die Positionen, die wir uns in den letzten Jahren erkämpft haben, von großer Bedeutung.
Die Zeiten werden nämlich härter. Wir wissen nicht, wie sich die verschiedenen Krisen in den nächsten Monaten und Jahren entwickeln werden. Weil wir aber in der Steiermark mit unserer Arbeit schon weit gekommen sind, vertrauen uns Tausende von Menschen und hören auch auf das, was wir sagen.
Alexis Tsipras mag am Wahlabend zufrieden sein, dass sein Manöver gelungen ist. Auch die Spitze der EU wird das Wahlergebnis gelassen zur Kenntnis nehmen. Die gesellschaftlichen Widersprüche bleiben aber bestehen und der Maulwurf der Geschichte ist deshalb weiterhin am Werk.
Franz Stephan Parteder konnte als langjähriger Vorsitzender der KPÖ Steiermark (1991-2011) viele Insidereinsichten über die österreichische und internationale Politik gewinnen. Obiger Beitrag ist der erste von hoffentlich weiteren, die der nunmehrige Pensionist UZ zur Verfügung gestellt hat.
Foto: kpoe-steiermark.at
Drei Anmerkungen zu diesem Text von Franz Stefan Parteder, dem ich im großen und ganze beipflichten kann:
1) Zu erwähnen ist noch, dass die Wahlbeteiligung unter 60% lag.
2) Dass die KKE ja bewusst durch das Aufstellen vermeintlich „linker“ Alternativen wie Syriza und neuerdings deren Linksabspaltung kleingehalten wird, und es angesichts dessen gut ist, dass sie ihren Stimmenanteil verteidigen konnte. Ich sehe jedoch auch, dass die KKE eine andere Auffassung von Aktionseinheits- und Bündnispolitik vertritt, als wir von der PdA sie etwa mit der antimonopolistischen Orientierung (Bündelung aller Kräfte gegen das Monopolkapital als Schritt zur Überwindung der kapitalistischen Ordnung) anstreben.
3) Wenn Parteder von „unserer Partei“ spricht, kann er in Österreich wohl nur die steirische Landesorganisation der KPÖ meinen, denn die Gesamt-KPÖ ist weder bündnisfähig, noch hat sie eine weltanschauliche Grundlage, sie ergeht sich gerade in einem vollkommen lächerlichen „Andas“-Zirkus.