Stefan Kastél ist seit einer Woche Flüchtlingshelfer im Ferry Dusika Stadion
Irgendwann wird es einem zu blöd nur herumzusitzen und durch diverse Medien hören zu müssen, was alles nicht funktioniert, wenn es um das Thema „Flüchtlinge“ geht. Der Tag, an dem diese Tatenlosigkeit meinerseits ein Ende nahm, war der 20.11.2015.
Es kostet sicher etwas an Überwindung zu sagen: „Ich fahre jetzt in eine Notunterkunft für Flüchtlinge und helfe dort“. Die alltägliche Routine und das Funktionieren in unserer Gesellschaft, blockt einen solchen Satz leider sehr oft ab. Ähnlich wenn es um Themen wie Tod oder Sterben geht.
Bevor man also hilft, sollte man sich mental darauf vorbereiten, dass man als Flüchtlingshelfer auf keinem Kindergeburtstag ist. Ich habe in einer Woche einige Freiwillige gesehen, die nach ihrer Ankunft wieder sehr schnell verschwunden sind, weil sie diese Thematik vollkommen unvorbereitet angegangen sind.
Stellt euch eine große, rechteckige Sporthalle vor, gefüllt mit unzähligen Zelten, fast wie ein eigenes, kleines Dorf. Überall in der Gegend spielen Kinder herum oder schreien nach Spielzeug. Frauen und junge Mädchen besorgen bei unserem Lager Hygieneartikel für die ganze Familie. Im abgetrennten Bereich der Flüchtlingshelfer, werden ständig Speisen für 300 bis 400 Personen zubereitet. Wenn es unser Vorrat zulässt, schneiden wir für das Mittagessen einen Salat.
Jeden Tag kommen Leute und bringen private Spenden. Ohne diese, würde es nicht funktionieren. Ich bin immer ganz überwältigt, wenn ich sehe, wie viel Mühe sich diese Menschen geben. Linsen-Eintopf mit diversen Kräutern, Chicken Curry, Kartoffelgulasch und Suppen so weit das Auge reicht. Neulich bekamen wir sogar selbstgemachten Wackelpudding mit Erdbeeren.
Leider kann man nie sagen, wie viele Helfer oder Helferinnen zur Verfügung stehen. Wer da ist, ist da und es wird gearbeitet. Was man jedoch sagen kann ist, dass die Hilfe weniger wird. Egal ob es dabei um persönlich eingebrachte Zeit oder Sachspenden geht. Und das merkt man leider stark.
Erst gestern ist wieder ein freiwilliger Helfer bewusstlos zusammengebrochen, weil er offensichtlich seit 48 Stunden auf den Beinen war.
Würden die unzähligen Freiwilligen nicht so wunderbar zusammenhalten, wäre diese Notunterkunft schon längst Geschichte. Wir sind hier eine Familie.
Der Satz „Wir reden nicht, wir machen“ mag einen leicht militärischen Anstrich haben, ist jedoch zwingend notwendig, um diese Notunterkunft tagtäglich aufrechtzuerhalten.
Das Programm an diesem Ort ist wirklich faszinierend. Eine von mir sehr geschätzte Kollegin gibt regelmäßig Deutsch-Unterricht für die Flüchtlinge. Dabei vergessen sie sogar auf die Essenszeiten, weil der Geist endlich wieder gefordert wird. Ein großer Teil der Flüchtlinge verharrt hier schon seit Wochen. Die wichtigsten Fixpunkte sind das Essen, die Zigaretten und Schlafen. Da ist der Unterricht oder der Mann mit dem Akkordeon, welcher Mitte der Woche vorbeikam, eine wohltuende Abwechslung. Strahlende Kinderaugen, während sie einem Musiker lauschen, sind etwas wirklich Schönes.
Diese Woche hatte ich übrigens ein Baby in meinen Armen. Zwischen der ganzen Arbeit und dem Tunnelblick, welchen man schon nach den ersten beiden Tagen entwickelt, hat mich der Kontakt mit diesem kleinen Menschen wirklich beruhigt und auf den Boden zurückgebracht.
Wenn man diese junge Erdenbewohnerin auf seinem Oberkörper liegen hat und dann in das lächelnde Gesicht der Mutter blickt, wird einem sehr schnell klar, warum man hier ist.
Meiner Ansicht nach, hatte ich da meine Schwester in den Armen. So sehe ich übrigens auch die Arbeit als Flüchtlingshelfer. In dieser Halle sitzen Familienmitglieder, die gerade eine verdammt schwere Zeit durchmachen und nicht wissen, was das Leben für sie bereithält.
Immer wieder gibt es hier Szenen, die nicht schön sind. Weinende, erschöpfte, frustrierte oder wütende Menschen, gehören leider zum Alltag. Hier entscheidet sich übrigens auch, ob ein Helfer oder eine Helferin noch einmal kommt. Wie gehe ich mit den Lebensschicksalen der Flüchtlinge eigentlich um? Klammere ich diese komplett aus, lasse ich sie in mir arbeiten oder bleibe dieser Arbeit einfach fern und konzentriere mich eher auf Sachspenden? Diese Fragestellungen sind nicht unwichtig.
Noch nie in meinem ganzen Leben, habe ich mich so vervollständigt gefühlt. Diese Arbeit macht einem bewusst, welche Freude man bereits mit Kleinigkeiten erzeugen kann. Eine Buttersemmel mit Honig, eine Flasche Shampoo, ein freundliches Dankeschön, ein Baby in den Armen, das Lächeln von so vielen Menschen, während man bei der Essensausgabe steht.
„Hallo, ich bin hier um zu helfen.“ Das war mein erster Satz. Ein Satz von dem ich jetzt schon behaupten kann, dass er mein Leben verändert hat. Lasst diese sieben Wörter über eure Lippen kommen. Ihr werdet viele spannende Dinge erleben.
Und vielleicht werdet ihr außerdem erfahren, ebenso wie ich, dass ihr seit sehr langer Zeit, etwas absolut Richtiges und Wichtiges tut.
Fotos: Stefan Kastél
HAllo Stefan,
ich mache das jetyt auch seit fast 3 Monaten fast jeden Tag. Ich glaube, wir kennen uns nicht, weil ich immer in der Früh zwischen 7 und 9:30 Uhr da bin (danach muss ich ins Büro). Ich kann jedes deiner Worte bestätigen! Vielen Dank für den Bericht. Gerade jetzt, wo immer öfter Engpässe bei den Helfern auftreten ist es wichtig, diese Erfahrungen zu telein
Liebe Grüße, Martin
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