Ich bin eine junge Frau und ich weiß, was falsch läuft in der aufgeklärten, modernen Gesellschaft, in der ich lebe. Ich weiß, dass viele junge Frauen wissen, was falsch läuft. Ich weiß nur nicht, ob wir immer im Stande sind, es genau zu erklären.
Ich beginne deshalb mit einem Songtext. Weil Songtexte, wenn sie richtig gut sind, das Leben manchmal zusammenfassen können auf eine allgemein taugliche 3-Minuten Version der Wirklichkeit.
Der Text stammt von der australischen Rockband The Jezabels. Über die Band und ihr Werk kann an anderer Stelle viel gesagt werden (zum Beispiel, dass sie wirklich großartige Musik machen). Aber hier und jetzt sollen (auszugsweise) die Lyrics stehen, die Frontfrau Hayley Mary in dem Song „Smile“ singt:
Don’t tell me to smile
If you don’t know me, brother
Don’t tell me to smile
Don’t ask why I frown
Don’t tell me to smile
When, for all you know I just buried my mother
Es ist eine Kleinigkeit im Vergleich zu der furchtbaren Unterdrückung, zu den Gräueltaten und Ungerechtigkeiten, die Frauen in vielen anderen Teilen der Welt immer noch täglich widerfahren. Aber es ist ein Symptom für das, was auch in der Welt, in der ich lebe, immer noch täglich passiert. Als Frau sagt dir im Laufe deines Lebens irgendwann ein Mann, dass du doch bitteschön lächeln sollst.
Es ist vielleicht der Chef, der möchte, dass seine Mitarbeiterinnen hübsch und nett aussehen, wenn der Vorstand zum Meeting kommt. Es ist vielleicht der Vater, der mit der Tochter einen guten Eindruck bei der Verwandtschaft hinterlassen will. Vielleicht ist es ein fremder Mann an der Supermarktkasse, der eben einfach gerne hätte, dass du jetzt verdammt nochmal für ihn lächelst und ihm mit deiner grimmigen Miene nicht zur Last fällst.
Jede Frau, die ich kenne, hat das schon mindestens einmal erlebt. Ich auch. Im Job. Privat. Und in der Öffentlichkeit. Gestört hat es mich schon immer. Aber es hat eine Weile gedauert, bis ich angefangen habe, es zu reflektieren.
Liegt es an mir? Sehe ich von außen so böse aus? Bin ich ständig so traurig oder schlecht gelaunt, dass mir das Lächeln schwerfällt? Eigentlich nicht.
Es muss also an der Rolle liegen, die mir von denen zugewiesen wird, die mir sagen, ich solle lächeln. Die Rolle heißt Frau. Nähere Rollenbeschreibung: Hauptsache pflegeleicht. Ist in erster Linie unterstützend tätig. Unterstützt meistens rein optisch. Hat deshalb auf ansprechendes Äußeres zu achten und auf ein erhellendes Gemüt. Wenn sie schon unbedingt mitspielen will, dann soll sie dabei bitte fröhlich sein. Andere emotionale Dimensionen eher unerwünscht. Komplexes Innenleben zwar erlaubt, sollte aber am Gesicht nicht ablesbar sein. Schon gar nicht, wenn das Gesicht dann nicht mehr hübsch aussieht.
Dieses Rollenverständnis von Frauen haben, meiner Erfahrung nach, nicht nur die klassischen mittelalten Alpha-Männer über 50, die klischeehaft Zigarre rauchend in Chefetagen sitzen und sich von der gutmütigen Sekretärin den Kaffee bringen lassen. Es findet sich auch bei vermeintlich emanzipiert-liberalen Millenial-Männern, die sich uninteressiert oder gar verängstigt abwenden, wenn das weibliche Gegenüber auf einmal nicht mehr nur süß und sexy, sondern vielleicht auf einmal ordentlich grantig ist. Erst kürzlich habe ich in die Tipps eines sehr erfolgreichen, britischen Dating-Coachs für Single-Frauen hineingelesen und dabei gelernt: Ganz wichtig bei der Kommunikation mit dem potenziellen Traummann ist es, immer total easy going zu sein. Gib ihm bloß nie das Gefühl, dass irgendetwas für dich ein Problem ist! Werde nicht wütend, sei nicht enttäuscht, und wenn doch, dann lächle trotzdem und bleib weiterhin charmant.
Vielleicht sind es auch Vorgaben wie diese, die dazu führen, dass einige moderne Frauen selbst immer noch freiwillig und ohne viel Reflexion in die oben genannte Rolle fallen.
Muss man darüber jetzt diskutieren? Haben wir in der Welt momentan nicht wichtigere Probleme als Männer von gestern, die Frauen von heute immer noch in ihre gesellschaftlichen Schranken verweisen und sei es nur symbolisch?
Ja, haben wir mit Sicherheit.
Diskutieren kann man darüber trotzdem, finde ich. Oder zumindest mal nachdenken. Denn es handelt sich dabei eben um ein Symptom, um ein pars pro toto gewissermaßen. Dafür, dass unsere Gesellschaft nach wie vor von Männern geführt wird. Dafür, dass Frauen für die gleiche Arbeit immer noch weniger verdienen. Dafür, dass Frauen zwar mittlerweile mitmachen dürfen, sich dabei aber immer noch an männliche Regeln zu halten haben. Dass es Männer in wichtigen Positionen gibt, die laut und deutlich Dinge sagen wie: „Wir geben dir dir den Job, obwohl du eine Frau bist“ oder „Ich arbeite nicht mit Frauen zusammen“. Gläserne Decken im Berufsleben sind keine Erfindung von feministisch motivierten Arbeitsmarktsoziologen, sondern oft eine Realität. Verschiedenste Formen von sexueller Belästigung im Job, in der U-Bahn, in der Öffentlichkeit ebenso. „Du bist zu schwierig“, „Jetzt werde doch nicht gleich so emotional!“, „Hast du deine Tage oder was ist los?“ sind Sätze, die Frauen, die mehr Gefühle haben als ein Gartengerät, regelmäßig zu hören bekommen. Chefs und männliche Kollegen übertrumpfen sich beim Mittagessen mit chauvinistischen Kommentaren über Praktikantinnen.
Ich wünschte, ich würde das alles nur aus der Theorie kennen. Leider ist das Gegenteil der Fall. Und so lange sich das nicht ändert, habe ich manchmal wirklich überhaupt gar keine Lust zu lächeln.
Anna Muhr, geboren 1985. Freie Journalistin in Wien.
www.wienvondrin.wordpress.com
Foto: pixabay.com (Public Domain)
Frauen müssen lächeln, Männer dürfen nicht weinen. Was für ein schreckliches Unglück auf dieser Welt. Und ein paar andere Probleme hätten wir dann schon auch noch. Wenn man wirklich, wirklich nachdenkt, dann kann man als durchschnittlicher Mitteleuropäer legitimerweise nur sagen: Unser Leben ist so schön, dass man gar nicht mehr aufhören sollte, sich täglich kräftig zu freuen!!!!
So lieber G.S., dann geh mal den durchschnittlichen Mitteleuropäer suchen. Nur weils nicht total beschissen ist, ist es noch lange nicht gut.