Ein Gastkommentar von Ilse Kleinschuster
„Was brauchen Menschen unbedingt?“, so der Titel einer Veranstaltung im Rahmen einer neuen Diskussionsreihe „future ethics. Diskursraum der offenen Gesellschaft“, zu der die „Wiener Zeitung“ und die Diakonie Österreich kürzlich ins Albert Schweitzer Haus einluden. Am Podium waren Daniel Häni, der Schweizer Unternehmer und Mitinitiator der Volksabstimmung zum Grundeinkommen in der Schweiz und Birgit Sauer, Professorin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Moderiert wurde die Diskussion von Walter Hämmerle, stv. Chefredakteur, Wiener Zeitung.
Gesellschaftelementare Erkenntnisse sind wesentliche Voraussetzung, wollen wir ernsthaft gesellschaftlich virulente, ethische Fragen aufgreifen und offen diskutieren. Diesem Anspruch entsprach sowohl das gut besetzte Podium als auch das zum Mitdiskutieren eingeladene Publikum. Von einem aufgeklärten Publikum wie diesem war zu erwarten, dass man sich mehrheitlich einigte, primär darin, dass ohne lokales Handeln globales Denken folgenlos bleiben wird und, dass ohne globales Denken lokales Handeln ohne Orientierung bleibt.
In diesem Kontext kam es schnell zur Frage eines universellen Grundeinkommens, wie es ja aufgrund der aktuellen Abstimmungsdebatten zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) in der Schweiz naheliegend war. Jede lokale Initiative sollte dementsprechend von globalem Denken begleitet sein. Eine Meinung aus dem Publikum, die bei mir auf fruchtbaren Boden fiel. Weltweit verstärkt sich die Kluft zwischen Reichen und Armen, zwischen Macht und Ohnmacht. Warum? Finanzprobleme vernebeln das eigentliche Problem: das Machtproblem. Es geht zunehmend um Aufrüstung, aber auch um die Zerstörung der Öko-Sphäre, insbesondere aufgrund der Produktions- und Konsummaschinerie der Industrieländer, eines ökonomischen ‚Expansionismus‘. Aktuelle Hungerkatastrophen in vielen Ländern der Dritten Welt – wachsendes Elend wird auch in den reichen Ländern des Nordens zunehmend sichtbar. Großtechnische Systeme sind nicht geeignet, dem Wunsch, allen Menschen ein ‚gutes Leben‘ zu ermöglichen, nachzukommen. Sie erhöhen eher die Gefahr der Bildung von lebensfeindlichen Machtpotentialen und das Risiko menschlichen Aneignungs- und Bemächtigungsdrangs. Die Menschen geraten zunehmend in seelisch bedrohliche Zustände.
Die Grenzen der Belastbarkeit unseres Planeten
Die Mechanismen eines kapitalistischen Weltmarkts sind offensichtlich nicht geeignet all jenen Unterprivilegierten, die auch essen und sinnvoll tätig sein wollen, die auch menschengerecht wohnen und sich bilden und medizinisch versorgt sein wollen, dies zu ermöglichen, – es sei denn, durch massive Steigerung des quantitativen Wachstums in diesen Ländern. Hier stoßen wir jedoch auf die Frage der begrenzten Belastbarkeit unseres Planeten. Eine Frage, die in Anbetracht der wachsenden Erdbevölkerung, der Zuwachsraten der Vernutzung von fruchtbaren Böden, von Rohstoffen, von Energie kaum zu beantworten ist. Die Frage muss also lauten: Gestehen wir dem Rest der Erdbevölkerung menschenwürdige Lebensbedingungen zu? Wenn wir dies nicht tun, heißt das, dass wir sie mit Gewalt an der Nachahmung unserer Wirtschafts- und Lebensweise hindern müssten? Tun wir dies nicht, dann würde dies bedeuten, dem quantitativen Wachstumsprozess weltweit freien Lauf zu lassen. Im Sog eines wissenschaftlich-technischen und industriellen Wachstums vollzieht sich ja bereits eine Vielfalt von unkontrollierten, in sich verzahnten Wachstumsprozessen: das Wachstum der Zerstörungsgewalt durch Waffen, das Wachstum der Umweltzerstörung, das Wachstum des Rohstoff- und Energieverbrauchs, das Wachstum der Müllhalden und der Abfalldeponien, das Wachstum der Ballungsräume und der Gefährdung durch großtechnische Systeme, das Wachstum der psychischen und sozialen Belastungen einer Weltbevölkerung. Diesem Megawachstumsprozess keine Grenzen zu setzen, würde mit Sicherheit zur Zerstörung der biologischen Grundlagen der Menschheit führen, zu einer Zerstörung der Öko-Sphäre.
Wollen wir das?
Was diesbezüglich erregt (mehr erregen sollte) ist die Tatsache, dass wir immer weniger in der Lage sind, ökologische, ökonomische und technische Prozesse zu steuern. Regierungen aller Staaten reagieren mit nachträglichen Grenzziehungen und Schadensminimierung im Sinne des Kurierens von Symptomen. Durch internationale Entwicklungen werden dem einzelnen Staat immer mehr an Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten entzogen. Der Ablauf der Ereignisse wird zu einem großen Teil bestimmt durch die Macht verketteter Teilsysteme der Innovationen in der Wissenschaft, Technologie und Ökonomie.
Es fehlt der politische Rahmen dies zu steuern.
Die Selbstzerstörung der Weltgesellschaft wird nicht gewollt von irgendwelchen ‚bösen Mächtigen‘; das vorherrschende Handeln aller führt systemrelevant zu dieser wachsenden Zunahme der Zerstörung. Das individuelle Handeln ist durch die herrschenden gesellschaftlichen Steuerungsmechanismen bedingt. Individuelles Nutzenkalkül basiert auf planerischem Überlegen im Sinne eines Zweck-Mittel-Denkens. Es geht jedem Einzelnen um seine (Macht-)Behauptung mit allen Mitteln, wobei oft ethische Überlegungen nicht ausgeschlossen sind.
Eine der chancenreichsten Antworten auf die vielen aktuellen Probleme sehen wir in der Bildung von Strukturreformallianzen.
Ein kultureller Wandel der erwerbsarbeit-zentrierten Gesellschaft könnte durch die Einführung eines Grundeinkommens mit der Perspektive eines sozial-ökologischen Umbaus hilfreich sein. Ein Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens mit emanzipatorisch-humanistischem Charakter wäre geeignet einen qualitativen Wandel der gesellschaftlichen Strukturen herbeizuführen. Zusammen mit der Tendenz zu mehr Selbstbesinnung und Widerstandskraft vieler Menschen, könnte es zu einer Veränderung nicht nur des menschlichen Verhaltens, sondern auch der gesellschaftlichen Verhältnisse kommen. Zunehmende Kommunikation könnte dazu führen, dass Konflikte nicht länger verdrängt werden, sondern auf rechtsstaatlicher Ebene ausgetragen werden. Konfliktdynamik in Gang zu setzen, in der nicht nur klargestellt wird, für wen, sondern auch gegen wen Position zu beziehen ist, und welche Strukturen geändert werden müssen – dabei immer und überall den Anspruch ethischen Engagements im Auge zu behalten – , das wäre eine primäre Voraussetzung zum Wandel, zur großen Transformation.
Die Wirtschaft muss sich der Ökologie unterwerfen
Die Fragen, welche Kategorien für ein ethisches Denken und Handeln, dessen Paradigma der öko-soziale Umbau ist, Vorrang haben sollen, ermöglichen es, Wahlmöglichkeiten präziser und entschiedener wahrzunehmen: Wo ist unser Platz in der jeweiligen Entscheidungssituation? Was gilt es zu verändern? Wer ist für uns, wer ist gegen uns, welche Einwände haben wir zu erwarten? Ein derartiges Unterfangen sollte zumindest eine gesellschaftliche Dynamik von unten her, gepaart mit öffentlicher Verbindlichkeit einer demokratisch legitimierten Macht, entwickeln. Eine verbesserte Version des Instruments der Europäischen Bürgerinitiative könnte dies ermöglichen.
Wollen wir einen öko-sozialen Umbau beschleunigen, dann müssten wir bedenken, dass Menschen, die dank einer teilweisen Entlastung von der Erwerbsarbeit ihr Leben stärker auf Eigenarbeit und im primären Sozialsystem ausrichten – und somit oft mehr Fähigkeits- und/oder Sinnzuwachs ihres Lebens erfahren als solche, die aus dem ‚Laufrad‘ nicht hinausfinden. Solche Menschen werden dann im Bereich des sekundären Sozialsystems (Markt, Großindustrie, Verbände, Staat) eine andere Rolle spielen können. Sie werden aufgrund ihrer Selbstständigkeit, ihrer Fähigkeit Verantwortung zu übernehmen, auch ihrer Fähigkeit zur Zusammenarbeit, zur Lern- und Konfliktlösungsbereitschaft, vielleicht eher Möglichkeiten zu menschengerechteren Konfliktlösungen finden. So gesehen wäre eine Verzahnung der beiden Bereiche für das Gelingen eines öko-sozialen Umbaus von großer Bedeutung. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte hier stark zu Flexibilisierung beitragen; statt Warten auf Subventionen oder auf sonstige Ansprüche von ‚Vater‘ Staat, könnte es Mut und Spaß freisetzen, um unternehmerisch und/oder frei-gewerblich tätig zu werden – ja, es könnte auch stärker zu einem ‚Wettbewerb‘ um alternative Lösungen und Wege führen. Darüber hinaus würde die Anhebung der Einkommen durch das Grundeinkommen (in den untersten und unteren Mittelschichten) zu einer veränderten Nachfrage führen, vor allem an Gütern des elementaren Lebensbedarfs. Es bestünde auch die Chance, dass Produkte nachgefragt werden, die als Produktionsmittel im Bereich der Eigenarbeit wie der primären Sozialsysteme nützlich sind. Dies könnte dann auf die Qualität der Güterproduktion in den sekundären Sozialsystemen positiven Einfluss ausüben.
Fazit: Wer sich für ein Grundeinkommen engagiert, über Bewusstseinsveränderung und Kulturinitiativen hinaus, wird Bündnisse anstreben müssen – über das Grundeinkommen hinaus. Ein Grundeinkommen kann nicht nur materielle Unabhängigkeit bedeuten, sondern helfen, Angst vor sozialer Armut und gesellschaftlicher Stigmatisierung abzubauen, es könnte aber auch den Druck vom Arbeitsmarkt nehmen, den Zwang, sich irgendwelchen Instanzen der Herrschaft unterwerfen zu müssen, es könnte Mut zu neuen Lebensentwürfen und Experimenten geben und – last not least – für den Aufbau der primären und den Wandel der sekundären Sozialsysteme Energien freisetzen.
Somit kann das BGE als ein Bauelement zur Sicherung einer, über bloße Existenzfristung hinausreichenden kulturellen Teilhabe gesehen werden, sowie als Chance zu flexibleren Gestaltung der Erwerbsarbeit. Es sollte aber nicht als das einzige Bauelement gesehen werden, sondern hier wären auch eine ‚vernünftige‘ Steuerreform, primär im Sinne der Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung, in Erwägung zu ziehen. Allein die bloße Einführung des Grundeinkommens kann noch nicht der Beginn eines öko-sozialen Umbaus sein. Erst wenn die mächtigsten Gruppen sich auch davon etwas versprechen und erst, wenn dem Volk ‚ehrlich‘ zugetraut wird, dass es den ‚richtigen‘ Weg finden und gehen kann, wird es zu diesem Umbau kommen können.
Dieser Weg wird nicht ohne Kampf zu Ende gegangen werden. Ein Grundeinkommen kann die Umstände dafür verbessern, es könnte auch eine Bewegung verstärken, die auf neue mikroökonomische Bündnisse zielt. Diese Bündnisse gibt es teilweise schon als zivilgesellschaftliche Bewegungen – sie alle setzen statt auf Konkurrenz auf gleichberechtigte Zusammenarbeit. Es sollen die primären Sozialsysteme ausgebaut, soziale Netze aufgebaut, Stadtkerne erneuert und wiederbelebt, aber auch vernachlässigten Regionen, wie deren Gemeinde-, Vereins- und Nachbarschaftsaktivitäten wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. In diesem Sinne wäre die Einführung eines Grundeinkommens ein Moment einer auf Fähigkeitsentwicklung und Solidarität orientierten Gesellschaft, in der die Entfaltung neuer Werte und Sinnziele nicht Privileg einiger Weniger, sondern das ‚Gute Leben für Alle‘ ermöglichen könnte.
Natürlich liegt es letztlich in der Verantwortung der Grundeinkommensbezieher zu erkennen, was sie auf jeden Fall zum Leben brauchen und ob (warum) es ihnen bedingungslos zusteht. Dazu sind gesellschaftselementare Erkenntnisse wohl wesentliche Voraussetzung – wozu es auch seriöser Berichterstattung in den Medien bedarf.
Ilse Kleinschuster engagiert sich für die Initiative Zivilgesellschaft
Fotos: Ilse Kleinschuster (fb); Titelbild: Demonstration für ein Bedingungsloses Grundeinkommen am 14. September 2013 in Berlin (stanjourdan; Lizenz: CC BY-SA 2.0)