Was ist Heimat eigentlich? Wie definiert sie sich?
Ein Kommentar von Maria Lodjn Stefanek
„Ich habe eigentlich keine Heimat. In Wien nicht wirklich und wenn ich die Ferien in die Türkei fahre auch nicht, weil ich ja dann irgendwann wieder nach Hause fahren muss, also nach Wien.“
„Wenn wir in die Türkei fahren, dann sagen die Nachbarn im Dorf, dass die Deutschen kommen. Keine Ahnung, wie oft ich ihnen schon gesagt habe, dass wir in Österreich leben. In Wien sind wir die Türken und dort die Deutschen.“
„Ausländer! Ich bin Ausländer, so sind wir eben.“
„Von den Ausländern ist mein Sohn der beste Serbe in der Klasse.“
Diese Aussagen stammen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Sie alle verbindet, dass sie in Wien aufgewachsen sind, zum Teil hier geboren. Der Lebensmittelpunkt ist eindeutig Wien. Wo ihre Heimat ist?
Was ist Heimat eigentlich? Wie definiert sie sich? Johann Gottfried von Herder meinte, dass Heimat der Ort sei, an dem man sich nicht erklären müsse. Würde für mich bedeuten, dass ich, egal wo auf der Welt, mich nur dann zuhause fühlen kann, wenn ich mich nicht verstellen muss, so sein kann, wie ich bin. Wo nicht meine Herkunft im Mittelpunkt steht, sondern ich als Mensch. Wo ich von meinen Mitmenschen in meiner Einzigartigkeit und Besonderheit angenommen werde.
Was passiert mit jenen Menschen, die das für sich nicht behaupten können? Die, sich nicht angenommen fühlen? Die, obwohl sie schon viele, viele Jahre zum Beispiel in Österreich leben, nie angekommen sind? Die bildlich gesehen, ihre Koffer nie ausgepackt haben, immer aus diesen leben? Sie ziehen sich an einen Ort zurück, der ihnen zumindest ein Stück Heimat bietet. Es folgt die Flucht in eine Parallelgesellschaft.
Der Begriff an sich ist trügerisch. Denn, die Parallelgesellschaft ist ein Teil der Gesellschaft. Es handelt sich somit nicht um zwei Gesellschaften, die nebeneinander existieren, sondern um einen Mikrokosmos in einem Makrokosmos. Sie ist ein Teil des Ganzen. Also selbst, wenn sich Menschen der Majoritätsgesellschaft nicht zugehörig fühlen, sind sie Mitglieder dieser.
Meines Erachtens ist der Rückzug in ebenso einen Mikrokosmos einzig und alleine der Angst geschuldet, die wiederum aus einer Vielzahl von negativen Erfahrungen entstanden ist. Jugendliche bekommen keinen Ausbildungsplatz, weil ihre Namen ausländisch klingen. Firmenleitungen berufen sich auf negative Erfahrungen, die sie in der Vergangenheit gemacht haben. Familien werden bei der Wohnungssuche bewusst ob ihrer Herkunft kategorisiert. Sie würden nur laut sein, sich nicht an bestehende Regeln halten. Kindern mit speziellem Migrationshintergrund eilt der Ruf voraus, dass sie angeblich verhaltensschwierig sind.
Fatma hat vielleicht einen perfekten Schulabschluss, ihren Vor- und Nachnamen wird sie trotzdem behalten. In letzter Konsequenz wird sie in einem Betrieb arbeiten, der von Landsleuten geführt wird. Familie Gülcan hat gar keine Lust in einer ghettoähnlichen Umgebung zu leben. Sie werden das aber dennoch machen müssen, weil sie eben nur dort eine Wohnung finden. Wo sie diese finden wird, ist demnach nicht Normalität, sondern Privileg. Frau Sahin würde ihr Kind gerne in einen anderen Kindergarten geben. Was soll sie machen, wenn ihr Kind dort nicht aufgenommen wird?
Wenn sich also Menschen in eine Parallelgesellschaft zurückziehen, dann ist das nie ein einseitiger Prozess. Es ist auch nicht primär der Wunsch nach Abschottung, viel mehr die Sehnsucht endlich irgendwo ankommen zu dürfen. Jugendliche sind auf der nach Suche nach Identität, zur Not schafft der Begriff Ausländer diese. Fremdsein wird zur Stärke gemacht, zur Kompetenz erhoben.
Ich bin nicht auf der Suche nach Schuldigen. Vielmehr geht es mir darum, diese Aspekte nicht aus den Augen zu verlieren. Gerade bei der Integration jener Menschen, die erst seit kurzer Zeit in Österreich leben, könnte man mit der Erfahrung der letzten Jahrzehnte im Rücken Fehler vermeiden. Nein, ich spreche nicht von zweifelhaften Broschüren, die eindeutig ein Machtverhältnis aufzeigen. Es gilt Orte zu schaffen, an denen sich Menschen nicht erklären müssen.
Maria Lodjn Stefanek ist Lehrerin an einer Neuen Mittelschule in Wien, schreibt Geschichten für Kinder und Jugendliche und befasst sich mit Themen rund um Migration, Integration und Deradikalisierung.
Foto: SchülerInnen einer Neuen Mittelschule in Wien (Maria Lodjn Stefanek)