Kapital schlagen mit Gerfried Tschinkel
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage. So hat Goethe schon umschrieben was wir heute wieder erleben. Menschen sollen später in Pension gehen, während die Jugendlichen keine Arbeit haben. Psychisch und schwer Kranken wird die befristete Berufsunfähigkeitspension entzogen, damit sie arbeiten gehen dürfen, weil sie sich ja nichts sehnlicher wünschen, während wir in Österreich die höchste Arbeitslosenquote seit sechzig Jahren haben und es schon für Gesunde schwer genug ist, einen Job zu kriegen. Den Ärmsten soll das Elendseinkommen gekürzt werden, damit sie mehr Anreize haben, keine Arbeit zu finden und alle sollen sich ein Leben lang weiterbilden, damit man sich die wenigen Arbeitsplätze die übrig bleiben, auch noch streitig machen kann. Was läuft hier schief?
Die gegenwärtige Krise, die nicht enden will, wurde nicht nur durch ein zu viel an Kapital auf den Finanzmärkten hervorgerufen, sondern auch durch ein zu viel an Kapital in der Produktion. Wie sonst sind die starken Einbrüche in der Produktion in den Jahren 2008 und 2009 zu erklären? Nicht weil zu wenig produziert wurde, sondern zu viel, wird jetzt zu wenig produziert. (Die meisten Krisenländer der EU haben immer noch nicht das wirtschaftliche Niveau der Vorkrisenzeit erreicht.) Kurz, die Arbeiter erzeugten in kürzerer Zeit immer mehr Produkte, weil sie aber nicht alles selber verbrauchen was sie produzieren, ihr Lohn nämlich nur die notwendigsten Ausgaben deckt, während sie ein weit größeres Angebot schaffen, sind die Produkte irgendwann nicht mehr zu den gehabten Preisen absetzbar (Deflationswirkung). Man komme mir jetzt bitte nicht damit, dass dann eben der Lohn zu niedrig ist und man ihn steigern solle um die Krise aus der Welt zu schaffen. Der Lohn ist eben deshalb ein Lohn, weil er nur zur Konsumtion der notwendigen Lebensmittel bestimmt ist. Die Krise tritt ein, weil zu viele Waren produziert wurden. Aber diese Waren stellen Kapital vor, das sich verwerten muss um einen Profit abzuwerfen.
Was macht man also, dass der Unternehmer wieder einen höheren Profit einfährt, damit er Anreiz habe zu produzieren? Man lasse die Menschen lieber länger arbeiten als kürzer, denn wenn sie länger arbeiten aber nicht unbedingt mehr dafür erhalten, sondern besser noch weniger, so wächst dadurch der Gewinn des Unternehmens. Man schicke die Menschen zum Beispiel später in Pension. Zudem intensiviere man die Arbeit, sodass in derselben Zeit mehr produziert werde. Was hat man am Ende? Alle sagen sie, die Krise sei dann weg, die neoliberalen Ärzte am Sterbebett des Kapitalismus, die die Löhne drücken und die Arbeitszeit verlängern wollen. Andere wiederum befürchten zu Recht, die hohe Arbeitslosigkeit könnte zu einem Dauerzustand werden. Denn der scheinbare Ausweg aus der Krise verschärft die Situation nur weiter. Der IWF sieht zudem schon die neue Gefahr für die Finanzmärkte der kapitalistischen Zentren heraufziehen, angetrieben von „negativen Übertragungseffekten schwächelnder Volkswirtschaften der Entwicklungsländer“. Der Aufschwung lässt nicht nur auf sich warten, die Zukunft verdunkelt sich mehr und mehr.
Die Dauerkrise ist Ausdruck eines ungeheuren Reichtums und eines ungeheuren Fortschritts der Produktivität. Wenn in immer kürzerer Zeit immer mehr geschaffen werden kann, so zeugt die Krise eben davon, dass der Kapitalismus nicht fähig ist, mit diesem Reichtum und der Produktivität umzugehen, sodass dieser Reichtum entsprechend verteilt werde. Er wird, anstatt die Not zu lindern und Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, privat angehäuft. Die Tatsache, dass man immer weniger Menschen braucht, um immer mehr zu erzeugen, drückt sich heute aus in Elend, Stockung, Arbeitslosigkeit. Dabei wäre es leicht möglich, weit weniger zu arbeiten, und die Arbeit die es gibt, planvoll auf die zu verteilen, die arbeiten können und wollen. Diese lange Krise des Kapitalismus könnte auch seine letzte sein. Aber wie sagt schon der gute Peter Hacks – um wiederum mit einem Klassiker abzurunden -, man muss ihn auch treten. „Ohne dass man ihn tritt, stürzt er nicht. Tritt man ihn, stürzt er.“
Gerfried Tschinkel ist Ökonom und lebt in Kottingbrunn.
Bisher in „Kapital schlagen“:
Foto: The hand that will rule the world, Industrial Workers of the World journal „Solidarity“ (gemeinfrei); Titelbild: Dominoeffekt (Pokipsy76~commonswiki; Lizenz: CC BY-SA 3.0)