Die isländischen Ambient Rocker Sigur Rós gastierten in Linz und zogen das Publikum mit sphärischen Klängen und einer bewusstseinserweiternden Bühnenshow in ihren Bann. Eine Konzertkritik von Anna Muhr
Dass es wie aus Kübeln schüttet und das gesamte Publikum bis auf die Knochen nass ist, stört schon nach dem ersten Song wirklich keinen mehr. Denn die Musik von Sigur Rós bringt einen eh ganz woanders hin. Der Sound der Isländer ist so faszinierend, wie ihr Heimatland selbst. Wer schon einmal die Steinwüsten, die schwarzen Strände und glitzernden Eisberge, die wuchtigen Vulkane von Island aus der Nähe gesehen hat, versteht, dass die sphärischen Klänge der Ambient Rocker eigentlich nur aus einem derart mystischen Land kommen können.
Ihre Energie funktioniert aber überall auf der Welt. Auch beim eintägigen Ahoi! Festival an der Linzer Donaulände im strömendem Regen, wo Sigur Rós am vergangenen Dienstag den Headliner gaben.
Es ist lange her, dass die Superstars aus dem Norden – nach Björk mit Sicherheit der bekannteste isländische Musik-Export – in Österreich waren. Überhaupt ist es lange her, dass man die Band rund um Frontmann Jón Þór „Jónsi“ Birgisson irgendwo live zu sehen bekam. Ihr bis dato letztes Studioalbum „Kveikur“ ist im Jahr 2013 erschienen, kurz davor hatte Keyboarder Kjartan Sveinsson die Band als Trio zurückgelassen, Konzerte gab es seither kaum.
Umso erfreulicher dann die Nachricht, die vergangenen Herbst auf der Website zu vernehmen war: Es soll neues Material geben. Und eine lange Tour durch Europa und Nordamerika, auf der selbiges live vorgestellt wird, noch bevor man es im Studio auf Platte verewigt. So sollen sich die neuen Lieder im Beisein des Publikums weiterentwickeln.
Das Klangkunstwerk von Sigur Rós an einzelnen Songs festzumachen, scheint allerdings fast sinnlos. Klar, ein Song ist zu Ende, wenn alle klatschen. Aber eigentlich geht er immer weiter. Er atmet nur kurz durch, wird manchmal leiser, sanfter, wehmütiger und bäumt sich dann wieder auf. Mal hängt Jónsis ätherische Falsettstimme wie eine Nebelschwade über dem Publikum, dann schweigt sie und er lässt in einem plötzlichen Anfall von Post-Rock seine mit einem Bogen gespielte Gitarre kreischen, während das Schlagzeug bedrohlich donnert. Es ist die akustische Entsprechung einer isländischen Landschaft. Rau, wunderschön und in allen Farben.
Letzteres wortwörtlich. Zu einer Show von Sigur Rós gehört nämlich auch die visuelle Kunst. Jede Stimmung, jede Melodie hat farblich ihr eigenes Setting. Die riesige Leinwand, hinter der die Band sich zu Beginn des Konzerts noch verborgen hat, wird mit unterschiedlichen Visuals bespielt, die alles zeigen, was man darin erkennen möchte: Einen Vulkanausbruch, eine galaktische Explosion, Gesichter, Figuren, das Skelett einer nordischen Holzhütte und immer wieder dieser Rauch aus purem Licht.
Im Hintergrund strahlt auch die Linzer Ars Elektronica in wechselnden und teilweise passenden Farben und fast hat man das Gefühl, das sei so abgemacht gewesen. Wie übrigens auch die Tatsache, dass es nach ein paar Liedern endlich aufgehört hat, zu regnen. Viele haben das wahrscheinlich erst gemerkt, nachdem an diesem Abend der letzte Ton verklungen ist und sie wieder in der Realität angekommen waren.
Am Ende eines Sigur Rós Konzerts fühlt man sich ein bisschen wie nach einer musikalischen Therapiesitzung. Irgendwie aufgeweicht im Inneren. Entspannt und dabei gleichzeitig ganz durchgewühlt, wie geschüttelt und neu zusammengesetzt. Wenn die Band auf ihrer Homepage angekündigt hat: „we are playing festivals (…) in the spirit of adventure“, dann hat sie damit Recht behalten. Denn es ist schon ein emotionales Abenteuer, sich auf Sigur Rós einzulassen.
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