Schulstart für alle

KindergartenVor einem Jahr kamen zahlreiche Schutzsuchende nach Österreich. Von Beginn an war klar, dass alle Kinder und Jugendliche, die der Unterrichts- und Ausbildungspflicht unterliegen, die Schule und andere Bildungsstätten vor eine Anzahl an Herausforderungen stellen werden. Nun zieht das Bildungsministerium Bilanz.
Eine Analyse von Maria Lodjn Stefanek

In wenigen Tagen beginnt für alle schulpflichtigen Kinder in Wien, Niederösterreich und Burgenland genau das, was Erwachsene gerne als den Ernst des Lebens bezeichnen. Schluss mit Ausschlafen, den Tag im Park oder im Bad verbringen und so lange aufbleiben, bis die Augen von selbst zufallen. Schluss mit in den Tag hineinleben, Zeit totschlagen und sich langweilen. Die Sommerferien und alle Erlebnisse rund um diese werden dann Geschichte sein.

Für alle Kinder, die sich dauerhaft in Österreich aufhalten und bis zum 31. August des jeweiligen Schuljahres ihren sechsten Geburtstag gefeiert haben, besteht Unterrichtspflicht. Unterrichtspflicht und nicht Schulpflicht, weil Kinder auch zu Hause oder in Schulen ohne Öffentlichkeitsrecht unterrichtet werden können.

Jene Kinder und Jugendliche, die im Laufe des letzten Jahres mit ihren Eltern oder alleine nach Österreich geflüchtet sind, müssen demnach ihrem Alter und Fähigkeiten entsprechend, am Unterricht teilhaben können. Es muss von Seiten des Gesetzgebers ein Schul – bzw. Ausbildungsplatz, da in Österreich die Ausbildungspflicht bis zum Erreichen des 18. Lebensjahres gilt, zur Verfügung gestellt werden.

„Seit 1. Jänner 2015 wurden österreichweit 14.233 geflüchtete Kinder und Jugendliche an den heimischen Schulen aufgenommen. 2015 wurden 9.815 Flüchtlinge aufgenommen (Stichtag: 7. Jänner 2016), 2016 waren es bis zum Schulschluss (30. Juni 2016) 4.418 SchülerInnen.“, informiert die Medienservice-Stelle Neue Österreicher/innen (MSNÖ).

Schule schafft Alltag und Normalität 

Gerade für Kinder, geprägt durch Krieg und Flucht, ist der Besuch einer Schule und die damit verbundene Teilnahme am Unterricht unerlässlich, um in der ihnen oft sehr fremden Welt anzukommen.

„Pause?“ Es war einer der ersten Worte, die Roshda fehlerfrei aussprechen konnte, dessen Bedeutung sie sehr schnell begriffen hat. Zu Beginn saß sie in dieser für SchülerInnen so kostbaren Zeit auf ihrem Platz, um das hektische Treiben von dort zu verfolgen. Erst Wochen später traute sie sich vor das Klassenzimmer und erlebte eine neue Facette des Begriffs Pause. Das erste Wort führte dann zu ihrer ersten Frage: „Ist schon Pause?“

Vor fast zwei Jahren kam Roshda mit ihrem Bruder zu uns an die Schule. Mit ihren Eltern waren sie  zuerst aus Syrien und dann aus einem Flüchtlingslager in der Türkei geflohen. Der Vater, in Syrien ein angesehener Geschäftsmann, hat nur in der Flucht Chancen für seine Kinder gesehen. Beide hatten seit vier Jahren keine Schule mehr besucht. Als wir die Geschichte der beiden in der Klasse thematisieren, entkommt Emre das Wort „geil“. Vier Jahre keine Schule, was für ein Leben. „Nicht lustig“, wirft Roshda an dieser Stelle ein. Zum Glück versteht sie den Jungen. Ihr Bruder und sie haben in der Zeit, die sie im Flüchtlingslager in der Türkei verbracht haben, türkisch gelernt. Schule spielt für beide eine wichtige Rolle, denn sie schafft den Alltag, den sie jahrelang nicht mehr hatten. Auch, wenn Roshda an manchen Tagen durchhängt, nahezu teilnahmslos in der Klasse sitzt, sie geht gerne in die Schule. Zum ersten Mal seit vielen Jahren scheint ein bisschen Ruhe in ihr Leben eingekehrt zu sein. Vergessen wird sie die Erlebnisse der Flucht lange nicht, aber vielleicht lernt sie damit zu leben.

Hilfestellung für PädagogInnen

Selbst für geübte, erfahrene PädagogInnen ist der Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen nahezu Neuland. Keiner von uns weiß, was diese auf ihrer Flucht tatsächlich erlebt haben. Wir können es erahnen, vielleicht nachempfinden und aufgrund dessen helfen. Um LehrerInnen in dieser schwierigen Situation nicht sich selbst zu überlassen, wurde ein spezielles Maßnahmenpacket geschnürt.

Dazu heißt es im MSNÖ-Bericht zum Thema Flucht und Schule:

„Insgesamt stehen dem Bildungsministerium für 2016 63,75 Millionen Euro für Integrationsmaßnahmen zur Verfügung. 23,75 Millionen Euro stammen dabei aus dem Integrationstopf. Dem Großteil davon ist mit 15 Millionen Sprachkursen gewidmet. Weitere 3,2 Millionen fließen in den Bereich Kommunikation und Konfliktlösung, zwei Millionen in die Kompetenzermittlung und 3,6 Millionen in die Erwachsenenbildung. 2017 sind laut Bildungsministerium weitere 80 Millionen für Integrationsmaßnahmen vorgesehen (derzeit laufen die Verhandlungen).“

Und weiter:

„Neben den bereits oben genannten Umsetzungen werden die Planstellen für Sprachförder-LehrerInnen von 208 auf 650 angehoben sowie weitere 250 SchulsozialarbeiterInnen angestellt und etwa 1.200 Plätze für Alphabetisierungskurse in der Erwachsenenbildung geschaffen. Zudem werden Sprachstartkurse in Schulen sowie „Mobile interkulturelle Teams“ finanziert. Die Sprachstartkurse sollen SchülerInnen, deren Deutsch für den Unterricht nicht ausreichend ist, zusätzlich im Erlernen der Sprache unterstützen. Bei den allgemeinbildenden Pflichtschulen sollen die Kurse mindestens 3.200 SchülerInnen erreichen, im Bereich der AHS und BMHS mindestens 1.000 SchülerInnen.“

Hinzu kommt die Schaffung von sogenannten „Mobilen Interkulturellen Teams“, die PädagogInnen in der Arbeit mit den Flüchtlingskindern und deren Eltern bzw. Bezugspersonen direkt vor Ort, also im Klassenverband unterstützen.

Jugendliche, die keinen Anspruch mehr auf einen Schulplatz haben – ein besonderes Problem

Sobald Jugendliche älter als 15 Jahre sind, haben sie keinen Anspruch mehr auf einen Schulplatz. Das stellt gerade im Fall der unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge ein großes Problem dar. Zwar haben diese das Recht auf Deutschkurse und Fördermaßnahmen, aber weitere Bildungsmöglichkeiten fehlen. Sie sind, so wie es aussieht, sich größtenteils selbst überlassen, sehen wir von privaten Initiativen, unterstützt von Freiwilligen, ab.

Für einige, wenige gibt es die Möglichkeit in Berufsbildenden Höheren oder Mittleren Schulen an speziellen Lehrgängen teilzunehmen. Deutschkurse und Vertiefung der Allgemeinbildung stehen hier im Vordergrund. Kompliziert gestaltet sich die Vermittlung von Bildungsangeboten dann, wenn keine oder nur eine geringe Alphabetisierung in der Muttersprache stattgefunden hat. Hier fehlt es immer noch an niedrigschwelligen Angeboten, die den Jugendlichen auf einfachem Weg Zugang zu Bildung und Ausbildung verschaffen.

Ungleichgewicht der Verteilung

Fakt ist, dass bei der Verteilung der schul- und ausbildungspflichtigen Kinder und Jugendlichen ein starkes Ungleichgewicht in Bezug auf die Bundesländer besteht. Während in Wien und Niederösterreich jeweils ca. 3.400 Kinder beschult werden, sind es im Burgenland zum Beispiel nur 399.

Das mag zum einen der Größe des Bundeslandes geschuldet sein, aber zum anderen liegt es mit Sicherheit an der regionalen Politik wie der Umgang mit der Problematik rund um Flucht und Asyl erfolgt. Da ab 1.Juli in Oberösterreich die Mindestsicherung für Flüchtlinge um 400 Euro im Monat gekürzt wurde, besteht zu Recht die Befürchtung, dass viele der Betroffenen versuchen werden in der Bundeshauptstadt unterzukommen. Ein neuerlicher Anstieg der zu beschulenden Kinder könnte die Folge sein. Die Landesregierung in Oberösterreich macht mit diesem Schritt deutlich, dass es unterschiedliche Wege gibt, sich aus der Verantwortung um das Problem Asyl zu ziehen.

Flüchtlingsklassen

Wider jeden Integrationsgedanken wurden einer Not gehorchend in Wien eigene, sogenannte Flüchtlingsklassen geschaffen. Dass es diese gibt, liegt, wie oben erwähnt, an der nicht gerechten Verteilung der zu beschulenden Kinder. Bei einer Klassenschülerhöchstzahl von maximal 26 Kindern war es nicht mehr möglich alle Kinder mit Fluchthintergrund in bestehenden Klassenverbänden unterzubringen. Geführt werden diese Klassen als sogenannte Mehrstufenklassen, der Schwerpunkt liegt auf dem Erlernen der Basics der Sprache, dem Vermitteln von Grundkenntnissen in Mathematik und das Kennenlernen des Alltags in Österreich. Unterstützt werden die LehrerInnen dieser Klassen von SprachförderlehrerInnen, die mit der Muttersprach der Kinder vertraut sind.

Bei allem Verständnis für die allgemeine Situation erinnert die Einführung dieser speziellen Klassen an einen uralten Vorschlag der FPÖ und ÖVP. Nämlich Kinder und Jugendliche so lange vom Regelunterricht auszuschließen, bis sie die Unterrichtssprache im Ansatz beherrschen. Versprochen wurde und wird, dass jene Klassen mit dem Beginn des Schuljahres 2016/17 aufgelöst werden. Es gilt zu hoffen, dass das tatsächlich passieren wird.

Maria Lodjn Stefanek ist Lehrerin an einer Neuen Mittelschule in Wien, schreibt Geschichten für Kinder und Jugendliche und befasst sich mit Themen rund um Migration, Integration und Deradikalisierung.

Foto: commons.wikimedia.org (public domain), Titelbild: pixabay.com (public domain)

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