Am Sonntag stimmen die Bürger Italiens über ein Verfassungsreferendum ab. Es gibt gute Gründe, dagegen zu sein. Gespräch mit Adelmo Cervi
Interview: Gernot Trausmuth
Am Sonntag findet in Italien ein Referendum über die von der Regierung gewünschten Verfassungsänderungen statt. Sie unterstützen die Kampagne für ein „Nein“. Warum?
Diese „Reform“ ist ein zentrales Projekt der Regierung Matteo Renzi, aber alles andere als ein Fortschritt. Die geplanten Änderungen deuten alle in dieselbe Richtung: Es geht um die Ausweitung der Machtbefugnisse der Regierung und eine Einschränkung der Rechte des Parlaments. Dessen zweite Kammer, der Senat, soll nicht mehr demokratisch gewählt werden. Auch das von Renzi vielbeschworene Kostenargument zieht nicht. Der finanzielle Aufwand für das politische System wird durch die vorgesehenen Maßnahmen nicht spürbar sinken, wie die Regierung verspricht. Es geht den Mächtigen vielmehr darum, dass die Regierung notwendige Veränderungen, das heißt Angriffe auf unsere Rechte, schneller umsetzen kann.
Die US-Großbank JP Morgan schrieb bereits 2013, dass die Verfassungen in Südeuropa „einem starken Einfluss sozialistischer Ideen unterliegen“, was es angeblich schwerer mache, einen Ausweg aus der Krise zu finden. Wo liegen die Wurzeln der italienischen Verfassung?
Die Verfassung der italienischen Republik entstand aus der Resistenza, der Widerstandsbewegung gegen den Faschismus. Sie wurde nach der Befreiung im April 1945 von allen antifaschistischen Parteien ausgearbeitet. Da die Kommunistische Partei den größten Beitrag zur Resistenza geleistet hatte, konnte sie auch die neue Verfassung stark beeinflussen, was erklärt, warum darin viele soziale und politische Rechte verankert sind.
Ihr Vater, Aldo Cervi, war kommunistischer Partisan und musste wie seine sechs Brüder im Kampf gegen den Faschismus sein Leben lassen. War der Kampf von ihm und seinen Genossinnen und Genossen aus heutiger Sicht umsonst?
Mein Vater wäre mit der Gesellschaft, wie sie heute ist, nicht zufrieden. Fakt ist, dass die damals verabschiedete Verfassung nie umgesetzt wurde, die darin verbrieften Versprechen nach Gleichheit und Freiheit wurden von Anfang an negiert. Demokratie und die Freiheiten, die die Resistenza erkämpft hat, ermöglichen es uns aber, diesen Kampf unter günstigeren Bedingungen zu führen als mein Vater und die Tausenden Männer und Frauen, die damals als Partisanen in die Berge gingen. Diese Errungenschaften müssen wir heute verteidigen.
In Ihrem Buch schreiben Sie, Resistenza heißt vor allem „nein“ zu sagen. Was bedeutet das heute?
Ja, das stimmt. Die sieben Brüder Cervi haben dies unter damaligen Bedingungen umgesetzt und wurden so zu einem Symbol des Widerstands. In diesem Sinne sage ich am Sonntag auch nein zu dieser Verfassungsreform. Aber das reicht nicht. Ich will, dass die Linke auch für etwas kämpft. Die in der Verfassung verankerten Rechte auf Arbeit, auf Bildung, auf Gesundheitsversorgung und auf politische Teilhabe könnten eine programmatische Plattform bilden, auf die sich die ganze Linke verständigen kann. Diese Rechte knüpfen an den unmittelbaren Bedürfnissen der einfachen Leute an. Mit ihnen will ich weiterhin als Kommunist für eine gerechtere, eine bessere Welt kämpfen.
Wie stehen Sie zur Regierungsbeteiligung linker Parteien?
Es ergibt keinen Sinn, wenn Linke in eine Regierung gehen, solange die wirkliche Macht bei den Banken und Konzernen liegt. In Italien hat die Arbeiterbewegung in harten Kämpfen viele soziale und demokratische Rechte durchgesetzt, obwohl sie in der Opposition war. Sobald die Linke aber auf die herrschenden Institutionen orientiert und mitregieren will, gerät sie in Widerspruch zu ihren eigentlichen Zielen. Das ist der wahre Grund für die heutige Schwäche der Linken.
Adelmo Cervi (Jahrgang 1943) hat in seinem Buch „Meine sieben Väter“ die Geschichte der Resistenza am Beispiel der Brüder Cervi neu erzählt. Er ist in der Kampagne für ein „Nein“ beim Verfassungsreferendum aktiv und hat dieser Tage in der BRD bei einer Veranstaltungstour sein Buch vorgestellt. Das Interview erschien am 2. Dezember in der Tageszeitung junge Welt. Mit freundlicher Genehmigung von Gernot Trausmuth.
- Matteo Renzis Schicksalswahl (Gerhard Feldbauer/junge Welt)
- Italien: Verfassungsreform und autoritäre Wende (Gernot Trausmuth/UZ)
Foto: Adelmo Cervi (ligsalz8.de); Titelbild: Referendum in Italien, 2011 (Niccolò Caranti ; Lizenz: CC BY-SA 3.0)