Bgm. Rainer Handlfinger (Obergrafendorf/SPÖ), Mitinitiator des Volksbegehrens gegen TTIP, CETA und TiSA über die Gründe warum CETA ein kompletter Murks ist, Jean-Claude Juncker EU-Kompetenzen falsch eingeschätzt hatte und Christian Kern mit seinem österreichischen „Klamauk“ mehr erreicht hat, als alle annahmen. Ein kurzer Abriss über die Geschehnisse rund um den Freihandelsvertrag mit dem durchaus sympathischen Land Kanada.
Es war im Sommer 2016, als die Wogen hochgingen. CETA, das Freihandelsabkommen, das die EU mit Kanada bereits fertig ausverhandelt hatte, soll doch noch einmal in einigen Punkten diskutiert werden. Der damals amtsfrische Kanzler Christian Kern machte sich kurz nach seiner Angelobung bei den EU-Granden unbeliebt. Denn der österreichische Bundeskanzler hatte durch eine SPÖ-Mitgliederumfrage mit über 20.000 Beteiligten, die CETA zu 90 Prozent eine Abfuhr erteilten, einen klaren Auftrag der Mitglieder und der Zivilgesellschaft erhalten. Christian Kern verhandelte also mit der EU-Spitze ohne einen zweiten Regierungschef als Bündnispartner gegen CETA gewinnen zu können. Bulgarien und Rumänien würden mit der Visafreiheit in Kanada geködert, die Wallonie solle mit einer zu bauenden Autobahnumfahrung besänftigt werden und Ungarn möchte nicht nochmals schlecht in der EU auffallen nach der unsäglichen und vielgescholtenen Flüchtlingspolitik, hieß es damals laut Insiderinformationen.
Die kritische Vorgehensweise Österreichs rief den Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker auf den Plan der gekonnt über die Kritikpunkte Österreichs an CETA witzelte. Der österreichische „Klamauk“, wie ihn Juncker titulierte, solle abgestellt werden. Die EU werde den Handelsvertrag mit Kanada im EU-Parlament abstimmen lassen, ohne ihn nochmals aufzuschnüren.
Jean-Claude Juncker musste sich nach kurzer Zeit aber doch auf den österreichischen Klamauk einlassen. Ein Beipackzettel, der die Bedenken Österreichs gegenüber CETA abmildern sollte wurde verfasst und CETA beigelegt. Eine Unterschrift des kanadischen Gegenübers gibt es darunter allerdings nicht. Unter anderem auch deswegen wurde öfters in Frage gestellt, ob dieser von Juncker gebilligte Beipackzettel überhaupt rechtlich bindend wäre. Daran zweifelt aktuell auch eine von den EU-Abgeordneten in Auftrag gegebene Rechtsstudie.
Es ist jedoch nicht der Beipackzettel, der ja in den Medien groß diskutiert wurde, der CETA tatsächlich hindern könnte, in seinem vollen Umfang in Kraft zu treten. Es ist vielmehr ein medial beinahe unbemerkter Standpunkt Österreichs, der CETA einen heftigen Dämpfer verpassen könnte. Kern bestand darauf, dass CETA als gemischtes Abkommen deklariert wird. Die Konsequenz ist mannigfaltig. Nicht nur, dass dadurch der gewünschte Effekt eintritt, die Investitionsschiedsgerichte aus der vorläufigen Anwendung zu verbannen. Trotz der CETA-Beschlussfassung im EU-Parlament werden somit die Investorstaatsklagen erst realisiert wenn alle Mitgliedsstaaten CETA ratifiziert haben.
Das eigentliche Match um CETA hat damit gerade erst begonnen. Denn CETA muss 39 zu NULL gewinnen. Nicht 37:2 und auch nicht 38:1. CETA hat Mitte Februar im EU-Parlament die erste Abstimmung geschafft. Somit steht’s 1:0 für CETA und nur die Teile von CETA die tatsächlich in die EU-Kompetenz fallen können vorläufig angewendet werden. Die 38 kommenden Abstimmungen in den regionalen und nationalen Parlamenten*, werden ungleich schwieriger für CETA. Diese benötigt das Abkommen jedoch, um in vollem Umfang in Kraft treten zu können.
Kerns Beharrlichkeit für ein gemischtes Abkommen zeigt aber auch, dass der gesamte Werdungsprozess CETAs mit all seiner Intransparenz ein unglaublicher Murks der EU ist, die nicht nur ihre Kompetenzen falsch eingeschätzt hatte, sondern dadurch die EU an den Rand der Regierbarkeit bringt. Schließlich kann nun ein regionales Parlament wie Wallonien einen Freihandelsdeal mit Kanada in Gefahr bringen oder gar komplett stoppen. Eine weitere Killerapplikation für CETA lauert in Form des deutschen Bundesverfassungsgerichtes. Mehrere Beschwerdeführer haben Verfassungsklagen eingereicht, dass einige Teile CETAs verfassungswidrig seien. Ein dementsprechendes Urteil könnte Deutschland untersagen, CETA – in der vom EU-Parlament beschlossenen Form – im Ratifizierungsprozess zuzustimmen. CETA hat also noch mehr Hürden zu nehmen als den Proponenten lieb wäre.
Der Widerstand gegen CETA kehrt nun nach dem Beschluss im EU-Parlament von der EU-Ebene wieder zurück, woher er gekommen ist und am effizientesten funktioniert. Auf die regionale und lokale Ebene. Unzählige Initiativen haben sich gegründet, 450 Gemeinden haben Resolutionen verabschiedet, KMUS, Landwirte, NGOs und Gewerkschaften haben sich organisiert und Netzwerke gebildet, die vielversprechend sind um Ungerechtigkeiten der Zukunft zielsicher attackieren zu können. Vor allem aber haben die gegründeten Plattformen im gemeinsamen Vorgehen gegen TTIP, CETA und TiSA das gelernt und weiterentwickelt, womit die Parteien im dritten Jahrtausend ihre Schwierigkeiten haben. Zu mobilisieren, zu kampanisieren, mit der Bevölkerung zu arbeiten und vor allem eine konstruktiv, kritische Bewegung zu sein. Ein Danke möchte ich allen Bündnispartnern sagen, die geholfen haben das Volksbegehren so erfolgreich zu machen. Es war unglaublich schön zu erleben, wie viel Wissen, Engagement und Bewegung in einer unglaublich positiven Weise eingebracht wurde.
Abschließend möchte ich nach meiner anfänglichen schweren Enttäuschung über Christian Kerns Zustimmung zu CETA nun zugestehen, dass er gerade mit seiner damaligen Strategie, auf ein gemischtes Verfahren zu insistieren und die Schiedsgerichte aus der vorläufigen Anwendung heraus zu reklamieren, realpolitisch mehr gegen CETA unternommen hatte, als vordergründig erkennbar war. In der Tat könnte er damit zumindest die Schiedsgerichte, wenn nicht sogar ganz CETA zu Fall bringen, ohne in den Medien selbst der CETA-Killer zu sein. Denn die Chancen, dass ein anderes EU-Land oder auch Österreich die Investorstaatsklagen in der vorliegenden Form so nicht ratifizieren wird, sind aussichtsreich. Auch wenn man bedenkt, dass die Abgeordneten aus Irland, Griechenland, Italien, Frankreich und Österreich im EU-Parlament mehrheitlich gegen CETA gestimmt haben. In diesen Ländern wird die Ratifizierung in den Nationalparlamenten ebenfalls spannend. Wenn dies so kommen sollte, könnte sich ein Zeitfenster öffnen, in dem man, gerade mit einem so sympathischen Partner wie Kanada, über ein faires und gerechtes Handelsabkommen diskutieren könnte, dass den Plan A Christian Kerns nicht in dieser Weise konterkarieren würde, wie es CETA in der aktuellen Form tut. Für diesen Fall: Chapeau, Herr Bundeskanzler, unsere 562.552 UnterstützerInnen des Volksbegehrens stehen hinter ihnen.
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*Nach dem Austritt Großbritanniens nur noch 37
Foto: Rainer Handlfinger (fb); Titelbild: Gegen TTIP, CETA & TISA (Bearbeitung durch Unsere Zeitung)