Die Balkanisierung des Irak. Eine Rezension.

tymatitel

Im Frühjahr 2003 marschieren die USA und ihre Verbündeten in den Irak ein. Der Vorwand: eine globale Katastrophe verhindern. Die wahren Motive sind profaner. US-Konzerne schielen schon lange auf die großen Öl- und Gasreserven, die im irakischen Erdreich schlummern. Es ist ein Land, dessen westliche Grenzen nach dem Ersten Weltkrieg entlang von Pipelines gezeichnet wurden. Weltweit demonstrieren Millionen besorgte Menschen für Frieden. Dem Sturz des Diktators Saddam Hussein folgt ein blutiger Krieg, der gut 150.000 Menschen das Leben kostet.

Das Land erodiert indes weiter: zehntausende werden in die Hände religiöser Fanatiker und kurdischer Separatisten getrieben. Erstere – Vorläufer der marodierenden IS-Banden – träumen von einer mittelalterlichen Theokratie. Letztere wollen um jeden Preis ein freies Kurdistan. Der Irak erhält einen US-Statthalter, der beginnt, den Staat nach neoliberalen Vorstellungen umzugestalten.

Die Autonome Region Kurdistan, dominiert von den Regionalparteien KDP und PUK, erhofft sich dadurch große Profite aus dem Verkauf der in dieser Gegend vorhandenen Rohstoffe. Damit möglichst viel an Bagdad vorbeigehen kann, unterstützten die bewaffneten Verbände dieser Parteien – die berüchtigten Peschmergas – von Anfang an die US-Invasion und Besatzung.

Die Tatsache, dass man versucht hat, vor allem auch die Wirtschaft so weit wie möglich zu liberalisieren, ist auch ein wichtiger Streitpunkt zwischen Bagdad und der Autonomen Region Kurdistan.“, erzählt die Wiener Publizistin Tyma Kraitt. Deutlich werde das etwa beim Thema föderales Erdölgesetz: „Das führt natürlich zu Konkurrenzkämpfen, wenn die Ressourcen des Landes nicht staatlich oder zentral kontrolliert werden. Da wurde eigentlich schon der Keim für die aktuelle Entwicklung gelegt, aber – und das ist auch sehr wichtig – Politik wurde nurmehr unter den Vorzeichen der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit gemacht.“

Die in Bagdad geborene Kraitt spürt diesen und anderen Konfliktlinien in einem neuen Buch zum Irak nach. Die Anthologie zeichnet ein sehr differenziertes Bild. Man fühlt sich an die britische Punkrocklegende Attila The Stockbroker erinnert, welche singt: „This is Baghdad ska – this is Baghdad’s scar – this is Baghdad ska – this is Baghdad’s scar.“

Tyma Kraitt fährt fort: „Man muss sich vor allem am Anfang bewusst sein, dass man kein eindeutiges Bild haben kann. Das Buch ist nach wie vor nicht vollständig. Es wurden hier auch sehr, sehr viele Themen ausgeklammert, die durchaus wichtig wären.“ Dennoch komme man nicht darum herum, viele Entwicklungen der jüngsten Geschichte zu betrachten, um zu verstehen, wie der Irak in die heutige Krise, den Verfall schlittern konnte. Die Publizistin geht dabei nicht nur auf die Golfkriege ein. Gemeinsam mit anderen ausgewiesenen Irakexpertinnen und -experten beschreibt sie die Entwicklung des Irak seit spätestens 1918. Behandelt werden etwa die Rolle der Frau, der Irak als Spielball saudischer und iranischer Interessen oder das fehlgeschlagene Oil for Food-Programm, welches die Sanktionen gegen das Baath-Regime humanitär erträglich machen sollte. Zu diesem Thema steuerte der ehemalige UN-Diplomat Hans-Christof von Sponeck einen Artikel bei. Er schließt mit der Forderung nach einer Neuordnung der Sicherheitsarchitektur der UN.

Die bereits gestreifte Öl- und Kurdenfrage zieht sich durch mehrere Beiträge. Darunter ist einer aus der Feder der renommierten Nahostexpertin Karin Kneissl. Auch FM4-Redakteur Ali Cem Deniz hat ein paar Seiten in Kraitts Sammelband verfasst: er beleuchtet darin die türkischen Interessen im Irak. Zu Kurdistan kann man etwa lesen, dass das auf Dauer innerkurdisch sehr wohl zu Konflikten führen wird, dass eben die Autonome Region Kurdistan in dieser Frage bevorzugt wird, denen könnte man sogar einen eigenen Staat zugestehen, aber der Mehrheit der Kurden, die nunmal in der Türkei lebt, gesteht man eigentlich nichts dergleichen zu.“

Kraitt und ihrem Team ist ein Werk gelungen, welches Laien wie Fortgeschrittenen interessante Einblicke in den Irak bietet. Das Buch ist wahrlich kein Reiseführer, und gerade der erste Beitrag mit seiner Überblicksdarstellung der Ethnien, Konfessionen und sozialen Zusammensetzung im Irak liest sich recht trocken. Ist man damit aber einmal durch, belohnen zahlreiche tiefgehende Artikel alle Interessierten.

Tyma Kraitt und Karin Kneissl stellen das Buch übrigens am Mittwoch, den 22. April 2015, um 19 Uhr vor. Sie und der Friedensforscher Werner Ruf laden dazu in die Hauptbücherei Wien, Urban Loritz-Platz 2a (U6 Burggasse).

Tyma Kraitt (Hg.): IRAK. Ein Staat zerfällt. Hintergründe, Analysen, Berichte. Promedia, Wien 2015. 224 Seiten, 17,90 €.

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