Torte_88Zu den Urteilen im Prozess um den Nazi-Angriff auf das EKH

von Tibor Zenker

In Österreich läuft das also so: 30 Nazi-Hooligans, die bei der Wiener Austria Stadionverbot haben und deshalb nicht zum Derby gegen Rapid gehen können, rotten sich am 27. Oktober 2013 zusammen und beschließen, den angebrochenen Tag anderweitig zu verwerten. Im selben Bezirk wie der Austria-Platz – in Wien-Favoriten – befindet sich das autonom verwaltete „Ernst Kirchweger Haus“ (EKH), benannt nach einem kommunistischen Widerstandsaktivisten gegen den NS-Faschismus, der zwar das Nazi-Regime überlebt hatte, aber 1965 am Rande einer antifaschistischen Kundgebung von Rechtsextremen erschlagen wurde. In diesem EKH befinden sich auch die Räumlichkeiten des türkisch-kurdischen Kulturvereins ATIGF. Dort treffen sich am Wochenende üblicherweise Familien mit Kindern, um gemeinsam zu spielen, im TV Fußball zu schauen, zu musizieren und zu tanzen, zu kochen und zu essen, zu plaudern und zu diskutieren.

Da denken sich die Nazi-Hooligans, diese MigrantInnen wären ein tolles Zielobjekt für einen rassistischen Angriff. Sie bewaffnen sich mit Stöcken und Bierflaschen und verschaffen sich gewaltsam Zutritt zu den ATIGF-Räumlichkeiten. Bereits im Stiegenhaus treffen die mutigen Herrenmenschen auf einen einzelnen Mann, den sie krankenhausreif prügeln. Doch dann haben sie Pech: Im ersten Stock findet gerade eine Konferenz der AK-Fraktion „Kommunistische Gewerkschaftsinitiative – International“ (KOMintern) statt. Der niedergeschlagene Mann kann noch um Hilfe rufen, woraufhin die Konferenzteilnehmer erscheinen. Sie erfassen die Situation, stellen sich den Nazis in den Weg, um die Frauen und Kinder zu beschützen, und sie können die Angreifer wieder aus dem Haus drängen. Damit haben die Nazi-Hooligans eben nicht gerechnet: Dass sie auf KommunistInnen treffen, die erwiesenermaßen die entschiedensten Gegner des Faschismus sind, und die auch bereit sind, sich zur Wehr zu setzen. Angesichts des unerwarteten Widerstandes nehmen die tapferen Fascho-Recken Reißaus. Einige kommunistische Gewerkschafter verfolgen sie, um sie zu stellen und der Polizei zu übergeben. So geschieht es auch teilweise – und, man möchte meinen, so weit, so gut: Es gibt einen Nazi-Angriff, es gibt Widerstand, der dafür sorgt, dass die Frauen und Kinder im EKH unverletzt bleiben und die eintreffende Polizei einiger Hooligans, die ohnedies schon notorisch amtsbekannt sind, habhaft werden kann. Eine wohl klare Angelegenheit: Hausfriedensbruch, Körperverletzung, NS-Wiederbetätigung und – in diesem Fall endlich einmal wirklich – Landfriedensbruch durch die Angreifer, bemerkenswerte Zivilcourage und Bürgerpflicht seitens der Gewerkschafter.

Seit dem nunmehrigen Urteil in der zugehörigen Gerichtsverhandlung wissen wir, dass die österreichische Justiz dies anders sieht. Erstaunlich genug, dass der Staatsanwalt die politische Dimension des Angriffs schlichtweg ignoriert. Noch bemerkenswerter, dass er zwei Gewerkschafter ebenfalls wegen Körperverletzung anklagt. Nur noch bizarr, was nun herauskommt: die meisten Angreifer werden freigesprochen, lediglich einer wegen Hausfriedensbruch und einer wegen leichter Körperverletzung (im Stiegenhaus) verurteilt. Dafür werden die beiden Gewerkschafter wegen schwerer Körperverletzung verurteilt, da sie angeblich, wie einer der Nazis behauptet, diesen außerhalb des EKHs mit einem Wischmob geschlagen hätten.

Was will uns die österreichische Justiz damit sagen? Dass man sich gegen faschistische Angriffe nicht zur Wehr setzen darf? Dass man sich gefälligst zusammenschlagen lassen soll? Das wären die ausreichend bedenklichen Botschaften. Die noch unfassbarere Botschaft liegt aber in der Tatsache, dass die antifaschistischen Verteidiger mit mehr Härte belangt werden als die Nazi-Angreifer.

In wenigen Tagen begeht die Welt den 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges und des NS-Faschismus in Europa. Er wurde militärisch niedergerungen, v.a. durch die Rote Armee der Sowjetunion, in Österreich leisteten v.a. KommunistInnen und slowenische PartisanInnen den massivsten Widerstand gegen den NS-Terror. Ihnen ist es vorrangig zu verdanken, dass es seit 70 Jahren wieder einen unabhängigen, demokratischen österreichischen Staat gibt. Dieser Staat gab sich am 27. April 1945 eine antifaschistische Grundlage, er bekannte sich zur Entnazifizierung und zur Verfolgung neonazistischer Umtriebe.

Aber nun, genau 70 Jahre später, zeigt uns die Justiz dieses Staates, was tatsächlich Sache ist: Antifaschistische Gesetze stehen nur auf dem Papier und eine nachhaltige Entnazifizierung hat es niemals gegeben, dafür nehmen es einige verantwortliche Leute im Staatsapparat den KommunistInnen offenbar bis heute übel, konsequent gegen den Faschismus gekämpft zu haben. Anders ist kaum zu erklären, dass die Neonazis vom EKH-Angriff mit Samthandschuhen behandelt, während die Kommunisten von der vollen Härte einer sonderbaren Gesetzesauslegung getroffen werden.

Da sei mal gefragt: Als die Rote Armee 1941-1945 die NS-Aggressoren nicht nur aus dem eigenen sowjetischen Heimatland wieder vertrieben, sondern die Wehrmacht und Waffen-SS bis nach Berlin verfolgt hat, um sie dort zu stellen und die NS-Hauptverbrecher der Gerichtsbarkeit zu übergeben – war das vielleicht auch „Notwehrüberschreitung“. Ist das das Geschichtsbild, dass die österreichische Justiz der Bevölkerung und v.a. den jungen Menschen in diesem Land vermitteln möchte?

Nun, immerhin der Anlass passt: Just am 20. April 2015 – am 126. Geburtstag Adolf Hitlers, den Neonazis bis heute feiern – erfolgte das Urteil im EKH-Prozess. Nazis weitgehend entlastet, Kommunisten verurteilt. Da kann man nur noch sagen: Happy Birthday, Führer! Gute Nacht, Österreich.

 

Foto: mydadsacommunist.blogspot.co.at

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1 Kommentar

  1. Unsere Justiz wurde leider nicht entnazifiziert, so konnte und kann sich dieser Ungeist munter weiterentwickeln. Im Zuge einer nachträglichen Entnazifizierung müssten die Alten Herren der Burschenschaften und alle F´ler NDPler und und . . . . aus der Exekutive und Justizressort entfernt werden.

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