Entwicklungszusammenarbeit als Gebot ökonomischer Rationalität
von Katrin Pointner
Wir möchten gerne daran glauben. An die selbstlosen Hilfeleistungen, die Österreich und andere westliche Staaten den so genannten Entwicklungsländern, zukommen lassen, weil ein echtes Interesse an einer Verbesserung der Lebenssituation der Menschen in diesen Ländern besteht. Ja wir möchten gerne an die moralische Integrität dieser Kooperation glauben. Wissen wollen wir es hingegen nicht allzu genau, denn ein Blick in die Geschichte der Nord-Süd-Beziehungen würde uns eine asymmetrische Hierarchie offenbaren, die wenig mit Nächstenliebe und Humanismus zu tun hat, dafür umso mehr mit wirtschaftlichen Interessen und politischer Machtgewinnung.
Nachdem die Zivilisierung der afrikanischen Bevölkerung, im postkolonialen Zeitalter, kein ausreichendes Argument mehr darstellte, um westliche Machtinteressen als humanitäre Anliegen zu tarnen, sahen sich die Staaten des globalen Nordens gezwungen, neue Kontrollinstrumente zu installieren, um den stetigen Fluss der Ressourcen Afrikas in die Hände und Taschen einiger weniger zu gewährleisten. Das Instrument, das ab dem Beginn des 21. Jahrhunderts als Grundlage für die Rechtfertigung wirtschaftlicher Expansion dienen sollte, erhielt den klingenden Namen „Entwicklungshilfe“.
Nach der Unabhängigkeit eines Großteils der afrikanischen Staaten in den 1960er Jahren, wurde das Schema von „Entwicklung“ und „Unterentwicklung“ bemüht, um ausländische Eingriffe, vor allem in die Wirtschaft der nun postkolonialen Länder zu rechtfertigen und um jeden Preis den Verlust etwaiger Einflussmöglichkeiten zu verhindern. Das Phänomen der „Unterentwicklung“, das diesen Staaten und ihren Bürgern zugeschrieben wurde, könne nur mit Hilfe der westlichen Länder beseitigt werden, so der weitgehende Konsens am politischen Parkett der ehemaligen Besatzungsmächte. Wachstum, Modernisierung und nachholende Entwicklung waren wesentliche Schlagworte und Zielvorgaben, die den „unterentwickelten“ Ländern den Weg aus der Armut weisen sollten.
Die Hierarchie zwischen dem so genannten Westen und dem globalen Süden, die diesem Fortschrittsdenken zugrunde liegt, unterscheidet sich nicht wesentlich vom kolonialen Zeitalter. Wir (der Westen) wissen es besser und ihr (Länder des globalen Südens) habt noch einiges zu lernen. Westeuropa und Nordamerika gefallen sich in der Rolle des Lehrers, die ihnen als Legitimation für Eingriffe in die Wirtschaft und die politischen Strukturen in afrikanischen Staaten dienen. Bessere Investitionsmöglichkeiten für nationale Unternehmen, ein rentabler Absatzmarkt und die Machterhaltung in der politischen Sphäre der vom Westen als „unterentwickelt“ gebrandmarkten Länder, sind nur einige Vorteile die sich aus dem Feld der „Entwicklungszusammenarbeit“ für die westlichen Staaten ergeben. „Ich halte es für richtig klarzustellen, dass die Entwicklungszusammenarbeit in erster Linie ein Gebot ökonomischer Rationalität ist“, betonte schon der ehemalige österreichische Außenminister Alois Mock. Doch nicht nur nationale Geberländer profitieren von den gegenwärtigen Machtstrukturen, auch transnationale Akteure gewinnen immer mehr an Bedeutung und hieven die Entwicklungsthematik in neue Dimensionen der Bevormundung und Ungleichheit.
Ab den 1980er Jahren gewannen Institutionen, wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und andere im Zeichen der Entwicklung tätige Organisationen, an Macht und Einfluss in den postkolonialen Staaten. Es kann hier von einer Dritten Kolonisierung gesprochen werden, da Modelle und Entwicklungsweisen vorgegeben wurden, deren Einhaltung beziehungsweise Nichteinhaltung, von den zuvor genannten Institutionen, entweder belohnt oder bestraft wurden.
Wie im Westen so auf Erden, nennt der Publizist und Entwicklungsforscher Wolfgang Sachs diesen Mechanismus polemisch, der genau wie im kolonialen Zeitalter darauf aufbaut, dass der Westen und seine Bürger, die Spitze der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung darstellen und alle anderen dahinter zurückliegen. Diese Machtstrukturen waren bereits im kolonialen System vorhanden und die Praktiken und Herangehensweisen haben sich systemisch zwar gewandelt, ideologisch sind sie jedoch nahezu identisch.
Als Beispiel für die Dritte Kolonisierung können die von der Weltbank initiierten Strukturanpassungsprogramme genannt werden, die zwar makroökonomisch zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage vieler Nationen beigetragen haben, jedoch schwerwiegende negative Folgen, besonders im sozialen Bereich, für weite Teile der Bevölkerung hatten und haben. Statistiken und Messungen zum Pro-Kopf-Einkommen und anderen wirtschaftlichen Größen weisen positive Effekte nach. Dass sich die reale Lebenssituation für die meisten Bürger der postkolonialen Staaten enorm verschlechtert hat, ist auf dem Papier selten zu erkennen, auf den Straßen der Länder, in den Krankenhäusern und Schulen hingegen umso mehr.
Im Rahmen dieser Strukturanpassungsprogramme wurde von den betroffenen Staaten gefordert, ihre Währung abzuwerten, Schutzbestimmungen für den Handel und Subventionen aufzuheben und Einsparungen im staatlichen Betrieb vorzunehmen. Der Markt sollte das bestimmende Moment in der Wirtschaft sein und der Staat soweit dies möglich war, als Kontrollinstrument ausgeschaltet werden. Folglich wurde oft die Hälfte der Staatsbeamten entlassen, während die andere Hälfte mit einschneidenden Lohnkürzungen zu rechnen hatte. Budgets für Sozialleistungen mussten ohne Rücksicht auf die schwerwiegenden Folgen für den Gesundheits- oder den Bildungssektor drastisch gekürzt werden.
Vom Westen gefördert, wurden hingegen alle Arten von wirtschaftlichem Wachstum: Monopolisierung, Erweiterung der Nutz- und Anbauflächen und Erhöhung der Marktproduktion. Profitiert hat von diesem einseitigen, auf den Wirtschaftssektor beschränkten Wachstum, jedoch nicht nur der Westen; vielen afrikanische Staatsoberhäuptern und Regierungsangehörigen erschien überraschenderweise ebenfalls dieser Bereich am förderungswürdigsten und sie setzten alles daran, die vorgegebenen Ziele auch wirklich zu erreichen. Erreicht haben die meisten eine soziale und wirtschaftliche Besserung ihrer eigenen Lebensumstände, während der Rest ihrer Staatsbürger, die Krümel des Kuchens der nachholenden Entwicklung vergeblich in den Schulen und Universitäten oder am Arbeitsmarkt sucht. Was bleibt ist also: Die Wirtschaft als treibende Kraft der Entwicklung. Eigennutz und Konkurrenzdenken als wesentliche Werte. Zurückdrängung sozialer Strukturen und solidarischer Gemeinschaften. Kapitalismus als unumstrittene Lebensform. Wie im Westen so auch auf Erden. Amen.
Fotos: Thomas Kukovec
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