Fußball, das Kapital und der Widerstand der Fans

rinderwahnSV Austria Salzburg, Phoenix Clubs und das „Familienevent“ – Teil 4 der 6-teiligen Serie von Noah Krügl

Nachdem der Zweite Weltkrieg beendet war und der Fußball ab spätestens Mitte der 1950er-Jahre wieder zu einem gesellschaftlichem Ereignis wurde, das jahrzehntelang sowohl bürgerliche Kreise wie auch Arbeiterklasse zu begeistern wusste, können wir spätestens ab den 1980er-Jahren zwei Entwicklungen im Fußball beobachten, die sich diametraler nicht entgegen stehen könnten.

Die eine Entwicklung zeigt die zunehmende und von vielen Fans als solche verstandene Kommerzialisierung des Sports, wobei hier finanzkräftige Investoren Vereine aufkaufen, um mit diesen – als Betrieb bzw. Aktiengesellschaft geführt – vorrangig Gewinn für den oder die Besitzer abzuwerfen, während die andere Entwicklung die ebenfalls immer stärker zu beobachtende Organisierung und Gründung von mitgliedergetragenen bzw. selbstverwalteten Vereinen durch traditionsbewusste aber von den kapital- und konsumorientierten Entwicklungen der jeweiligen Klubs enttäuschte Fans. Bekannteste Beispiele hierfür sind wohl, die in Großbritannien als Phoenix Clubs bezeichneten Vereine, FC United of Manchester, AFC Wimbledon oder hierzulande der SV Austria Salzburg. Letztere gilt geradezu als international wahrgenommenes Paradebeispiel für die Kommerzialisierung eines Vereins:

Nach der Übernahme des 1933 gegründeten österreichischen Traditionsvereins durch den global umsatzstärksten Hersteller von Energydrinks im Jahr 2005, welche zu Beginn von einigen Fans noch als willkommene Investition erachtet wurde, wechselte der neue Besitzer binnen weniger Monate den Vereinsnamen in den Firmennamen, distanzierte sich nachdrücklich von der Vereinsgeschichte, änderte die seit der Gründung währenden Vereinsfarben in jene des Konzerns um und ließ das Vereinslogo durch jenes der Firma ersetzen. In weiterer Folge wurden unter anderem ein Maskottchen – das „Wappentier“ des Konzerns – erschaffen, Name und Logo des Stadions gekauft – „Wappentier“ und Markenname – und beispielsweise Discolichter im Stadion installiert, die den Eventcharakter des Stadionbesuchs erhöhen sollen. All dies soll bisher an Fußball uninteressierte Menschen durch die Inszenierung eines Spektakels – über das eigentliche Fußballerlebnis selbst hinausgehend – in die Arena locken, um so die Zuschauerzahlen und letztlich Einnahmen und Gewinn zu erhöhen. Der Fan wird zum konsumierenden – im besten Falle zahlungskräftigen – Kunden; zum Statisten in der an ihn selbst gerichteten Werbeveranstaltung und der Besitzer verhehlt diese Vorhaben auch gar nicht. Fußball dient hier ausschließlich als Werbeplattform für das Produkt des Eigentümers, als Mittel zum Zweck. Und der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel.

Zahlreiche Fans von Austria Salzburg wollten diese Entwicklungen, welche den Verein zum bloßen Werbeträger degradierten, nicht akzeptieren und gründeten die „Faninitiative Violett-Weiß“, um vorerst kollektiv für die Erhaltung und Wahrung von Vereinsfarben und Klubgeschichte einzutreten. Als dementsprechende Verhandlungen mit dem neuen Eigentümer scheiterten, zahlreiche Fans mit Hausverboten belegt wurden und die Stehplatztribüne in einen Sitzplatzsektor umgebaut wurde, formierte sich, koordiniert durch die „Initiative Violett-Weiß“, Widerstand in breiten Kreisen der Anhängerschaft. So wurde bei einem Freundschaftsspiel der Platz vor dem Anpfiff friedlich gestürmt und anschließend besetzt, wie die Fans auch regelmäßig ihre kritischen Positionen mittels Spruchbändern und Choreographien Kund taten. Die Qualität, mit der der neue Eigentümer über jegliche Interessen und Forderungen der Fans hinweg sein ausschließliches Interesse an der Profitmaximierung zeigte, was in dieser offensichtlichen Art und Weise bisher nirgends zu beobachten war, sorgte dafür, dass sich Fangruppen zahlreicher Vereine im In- und Ausland mit den Anliegen der Austria-Fans solidarisierten. So gab es unterstützende Protestaktionen unter anderem in Deutschland, Italien, England und den USA und die internationalen Medien berichteten ausführlich über diesen fangetragenen Widerstand.

Nachdem alle Proteste und Verhandlungen mit der Vereinsführung über die Erhaltung des Klubnamens, der Vereinsgeschichte und der Klubfarben scheiterten sah sich die Initiative gezwungen, im Namen der alten Tradition einen neuen Verein zu gründen: SV Austria Salzburg. Da dieser Name rechtlich nicht geschützt war, ließen die Fans den Namen am 7. Oktober 2005 im Vereinsregister eintragen und verankerten sowohl die Klubfarben als auch das Mitbestimmungsrecht der Vereinsmitglieder in den Statuten. Nachdem eine Spielgemeinschaft der neu gegründeten Austria mit dem PSV Salzburg in der 1. Landesliga nach einem halben Jahr scheiterte, trat die Austria mit dem Start der Saison 2006/07 in der siebten und letzten Spielklasse Salzburgs zur Meisterschaft an; Spieler und FunktionärInnen wurden hierfür aus der eigenen Fanszene gecastet und rekrutiert. In den darauf folgenden vier Jahren konnte Austria Salzburg jeweils Meisterschaft und Aufstieg für sich entscheiden und letztlich wurde im 300. Pflichtspiel nach der Gründung mit einem Auswärtssieg gegen den FC Kitzbühl im vorletzten Spiel der Saison 2014/15 der Aufstieg in die Erste Liga und somit die Rückkehr in den Profibereich besiegelt. Die Austria ist somit eines der international erfolgreichsten Fanprojekte, welches im Kampf gegen Windmühlen und Goliath letztlich zu überzeugen wusste und aufzeigt, wie erfolgreich selbstorganisierter Widerstand gegen das ausschließlich an Profit interessierte Fußballestablishment sein kann.

Ähnliche, von ehemaligen Fans initiierte, Vereinsgründungen als Ergebnis des Widerstands traditionsbewusster Fans lassen sich mittlerweile in zahlreichen Ländern beobachten, wobei die Entstehungsgeschichte des AFC Wimbledon hier noch kurz und exemplarisch beleuchtet werden soll:

Pete Winkelmann, ein aus Milton Keyes stammender, britischer Musikproduzent und Immobilieninvestor, begann in den 1990er-Jahren eine Profiklub zu suchen, welchen er aufkaufen und in seine Heimatstadt übersiedeln konnte. Hintergrund für dieses bereits aus den US-Sportarten bekannte Franchisemodell war die lange geplant Errichtung eines Einkaufszentrums und Gewerbeparks samt eines FIFA-tauglichen Stadionkomplexes in Debingh North durch die Investorengruppe Inter MK Lmtd., in welcher Winkelman den Direktorsposten bekleidete. Mithilfe der Ansiedlung eines einigermaßen erfolgreichen Fußballvereins sollte ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden, zahlende Kunden zu lukrieren um diese in das Shoppingcenter zu locken. Nachdem bereits zahlreiche krisengebeutelte Traditionsklubs in England (u.a. die Queens Park Rangers und Luton Town) dem Vorhaben eines Verkaufs samt anschließender Übersiedlung eine Abfuhr erteilten, wurde Winkelman bei der Vereinsführung des FC Wimbledon zu Beginn der 2000er-Jahre fündig. Das Management des hochverschuldeten Vereins stimmte den Plänen Winkelmans zu und leitete so die Übersiedlung ein. Am 28. Mai 2002 stimmte der englische Ligaverband Football Association trotz breiter Proteste in Öffentlichkeit und Fanszene der Verlegung des Klubs zu und zeigte somit den Fußballinteressierten deutlich auf, dass finanzielle Interessen über jenen der Öffentlichkeit stehen. Die Dons, so der Spitzname von FC Wimbledon, übersiedelten von London ins 60 Kilometer entfernte Milton Keyes, der Klubname wurde, einer Farce gleich, in Milton Keyes Dons umbenannt und die Vereinsfarben wurden geändert.
Noch am selben Tag gründeten Fans des ehemaligen FC Wimbledon den AFC Wimbledon, welcher, nach einem medial viel beachteten Spieler- und Funktionärscasting unter den Fans, mit der Saison 2003/04 in die neunte Leistungsstufe Englands, die Combined Counties Footbal League, ein. Seither konnte sich der nun ausschließlich von Mitgliedern verwaltete AFC Wimbledon bis in die vierte Leistungsstufe hochkämpfen (3).

Der Ursprung des „Widerstands von unten“ in den Stadien fand allerdings schon um einiges früher statt. Erste handfeste Zeichen einer Kommerzialisierung und dem fangeleiteten Protest dagegen lassen sich bereits in den 1960ern beginnend in Italien feststellen. Wie sich die sogenannten all-seater-Stadien, TV-Exklusivrechte und Anstoßzeiten auf den Protest der Fans auswirkten und warum ultras mehr als nur Randalierer sind, wird der nächste Teil dieser Serie zu erklären versuchen.

Noah Krügl ist politischer Aktivist, jahrelanger Fußballfan und Gründungsmitglied einer linken Ultragruppierung in Österreich.

Fotos: Gegen den modernen Fußball (Blockstars Lev, youtube.com) ; Titelbild: Fußball und Kommerz (pixabay.com; CC0 Public Domain)

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