Zum 80. Todestag von Max Winter
Von Rudi Gabriel
Auf dem Grabstein seines Ehrengrabs am evangelischen Matzleinsdorfer Friedhof wird das Leben und Wirken von Max Winter (1870-1937) in wenigen Zeilen zusammengefasst:
Der Kinderfreund
Sozialistischer Journalist
Vizebürgermeister von Wien
Obmann der Kinderfreunde in Österreich
Sein Wort sprach für Freiheit und Recht,
Seine Feder diente den Verkannten und Enterbten,
Sein Herz aber schlug für die Kinder.
Diese Beschreibung des Sozialreformers und des Begründers der Sozialreportage soll auch heute noch, 80 Jahre nach seinem Tod, dazu einladen, an Max Winters bewegte Lebensgeschichte zu erinnern.
Anfänge
Geboren im ungarischen Tárnok bei Budapest übersiedelte Max Winter mit seiner Familie 1873 nach Wien. Nach Abschluss der Pflichtschule absolvierte er eine Kaufmannslehre und begann an der Universität Wien Nationalökonomie, Geschichte und Philosophie zu studieren. 1895 holte ihn Victor Adler zur Arbeiter-Zeitung, dort war er vorerst als Gerichtsreporter tätig. Seine Berichte und Reportagen waren geprägt von politischer Ambition und dem Wunsch nach Verbesserung der Lebensbedingungen von Arbeitern und sozial geächteten Personen. Um beispielsweise über das Leben von Strafgefangenen zu berichten, ließ er sich, als Obdachloser verkleidet, ins Gefängnis werfen. Um im Untergrund nur schwer zu findenden Menschen auf die Spur zu kommen, verkleidete er sich als Strotter, mit Hut und ärmlicher Kleidung. Bereits 1904 erschien eine Auswahl seiner Reportagen, 1905 veröffentlichte Max Winter sein erstes Buch: „Im unterirdischen Wien“. Aufgrund seines sozialen und politischen Engagements wurde Max Winter Mitglied der damaligen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs (SDAP).
Insgesamt verfasste Max Winter rund 1.500 Reportagen. Zu einem seiner größten journalistischen Erfolge wurde „Der Fall Hofrichter“ aus dem Jahr 1910. Darin deckte er Missstände und Willkür der Militärgerichtsbarkeit so überzeugend auf, dass diese in der Folge reformiert werden musste. Sein in zwei Bänden erschienenes Werk „Der österreichisch-ungarische Krieg in Feldpostbriefen“ ist eine herausragende Dokumentation.
Kinderfreund und Politiker
Von 1914 bis 1918 war Winter Chefredakteur der AZ am Abend, von 1911 bis 1918 war er Abgeordneter zum Reichsrat, dem gesamtstaatlichen Parlament Altösterreichs. Max Winter begründete 1917 auf Basis der seit 1908 regional bestehenden „Kinderfreunde-Bewegung“ den Reichsverein und war dessen Obmann bis 1930. Im August 1919 requirierte er für die Kinderfreunde Räumlichkeiten im Hauptgebäude des Schlosses Schönbrunn. Am 4. Mai 1919 wurde er auf der sozialdemokratischen Liste in den Wiener Gemeinderat gewählt. 1919 bis 1923 war er einer von drei Vizebürgermeister von Wien. Als Experte für das Wohlfahrtswesen erreichte er im Stadtrat Beschlüsse zu den Grundlagen für jene Sozialpolitik, nach denen Julius Tandler später das auch heute noch beachtete Fürsorgesystem der Stadt schuf. Dem Bundesrat gehörte Winter, vom Wiener Landtag gewählt, als einer von zwölf Wiener Vertretern von 1920 bis 1930 an. 1930 legte er alle seine politischen Funktionen nieder. 1923 unterstützte Winter die Gründung einer Frauenzeitschrift und schlug den Titel „Die Unzufriedene“ vor. Die äußerst erfolgreiche Zeitung erreichte 1930 eine Auflage von 160.000 Exemplaren und wurde erst im Februar 1934 eingestellt.
1926 stellte der Franziskanerpater Zyrill Fischer, ein vehementer Kritiker des Sozialismus, einem Pamphlet „Sozialistische Erziehung“ das Bibelwort voran: „Wer aber einem dieser Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, dem wäre es besser, es würde ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er in die Tiefen des Meeres versenkt.“ In einem Hirtenbrief des Wiener Kardinal Piffl wurde das Bibelwort propagandistisch abgewandelt und sinnbildlich gefordert, den Kinderfreunden möge ein Mühlstein um den Hals gehängt werden.
Max Winter, Mitbegründer der Kinderfreunde und deren langjähriger Bundesobmann konterte, indem er erfolgreich den Sager vom Mühlstein umdeutete und mit einer von ihm initiierten „Mühlsteinaktion“ Spenden sammelte. Mit diesem Geld gelang es ihm schließlich, in ganz Österreich Mühlstein-Kinderbibliotheken zu errichten.
Im Exil gestorben
Für Mitte Februar 1934 hatte Max Winter eine Reise in die Vereinigten Staaten geplant. Er hatte eine Einladung zu einer Vortragsreise erhalten und fuhr über Zürich, Paris und London. In diesen Vorträgen war die politische Situation in Österreich ein zentrales Thema, wobei er Engelbert Dollfuß einen „Arbeitermörder“ nannte. Daraufhin wurde ihm wegen „österreichfeindlichen Verhaltens im Ausland“ von der austrofaschistischen Regierung die Staatsbürgerschaft entzogen. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits in Hollywood. Seine Drehbücher, die er an Max Reinhardt und Charlie Chaplin schickte, hatten keinen Erfolg. Er bot sich auch als Märchenerzähler in Kindergärten an. Schließlich verstarb Max Winter am 11. Juli 1937 in Hollywood völlig verarmt an einem Blinddarmleiden. Für die Beisetzung seiner Urne am Matzleinsdorfer Friedhof im September 1937 wurde ein Versammlungsverbot erlassen, dennoch versammelten sich – beobachtet von einem riesigen Polizeiaufgebot – Hunderte Menschen, um „dem Kinderfreund“ zu gedenken.
Der Beitrag erschien zuerst im „Volksstimme-Blog“.
Linktipp: Texte von Max Winter
Titelbild: Max-Winter-Park in Wien Leopoldstadt, Max-Winter-Denkmal (public domain)