Nachdem die ungarische Regierung es den Flüchtlingen per Gesetz praktisch unmöglich gemacht hat über das Land nach Westeuropa zu reisen, und der Zaun an der serbischen Grenze undurchlässig geworden ist, wollten wir in Erfahrung bringen, wie die ungarische Gesellschaft zu diesen Ereignissen steht.
Der Einfluss der überwiegend aus den Nachrichten der staatlichen Presseagentur gespeisten Medien ist enorm groß. Diese stellen die Flüchtlingssituation als einen Angriff auf Ungarn und die Reaktion der Regierung als erfolgreichen Kampf gegen den Terrorismus dar. Die seit Monaten fortgesetzte derartige Manipulation scheint zu wirken: in den Alltagsgesprächen kommen die in diesen Nachrichten transportierten „Gefahren“ immer wieder vor. „Die fressen uns auf!“, „Die verbreiten tödliche Krankheiten!“, „ Die nehmen uns die Arbeit weg!“.
Die von der Regierung aus einer Umfrage (Nationale Konsultation) abgeleitete Erkenntnis und daraufhin verordnete landesweite Plakatierung mit dem Text „Die Menschen haben entschieden: Das Land muss verteidigt werden.“ (Bild rechts) verstärkt diese Stimmung. In einigen Fällen spitzt sich das ganz brutal zu: manche wünschen sich, dass die Flüchtlinge direkt an der Grenze erschossen oder zumindest richtig verprügelt worden wären, damit sie wissen, wo es in Ungarn langgeht. Die jüngsten Maßnahmen der Regierung – mit Schutzwaffen ausgerüstete Soldaten zur Grenze zu schicken – deuten darauf hin, dass die „Wünsche des Volkes“ bald in Erfüllung gehen könnten.
Natürlich denkt nicht jeder Ungar so radikal. In der Nacht kann man in Budapest Jugendliche beobachten, die die obigen Plakate aus voller Wut entfernen und dafür satte Bußgelder riskieren. Andere Mutige helfen aktiv mit und verteilen Getränke und Essen am Ostbahnhof oder helfen den Flüchtlingen sich zurechtzufinden. Bei Gesprächen mit diesen Menschen bekommt man den Eindruck, dass sie zwar nicht ohne Vorbehalte für die Flüchtlingssituation sind, aber sie versuchen es kooperierend und auf jeden Fall menschlich zu lösen.
Viele im Ausland lebende Ungarn, die zur Zeit meines Besuches ihren Urlaub in der Heimat verbrachten, haben sich beschwert, dass die Beurteilung des Landes seit der Flüchtlingskrise deutlich schlechter geworden ist. Früher stand Ungarn als wichtiger Kämpfer der osteuropäischen Wiedervereinigung im Rampenlicht, aber heutzutage geht diese positive Beurteilung rasch verloren. Das Land wird mit einem dem Eisernen Vorgang ähnelnden Zaun in Verbindung gebracht und dafür kritisiert, dass es wenn es ihm schlecht geht, sofort nach Hilfe schreit, aber wenn andere in Not sind die Augen zumacht.
Das Ende dieser Krise ist unabsehbar und niemand ist in der Lage die langfristigen Auswirkungen der Flüchtlingsströme einzuschätzen. Zwar liefert die andauernde Zögerung des Westens auch keine Lösung, aber die komplett ablehnende Vorgehensweise des Ostens ist völlig inakzeptabel. Man bekommt langsam den Eindruck als hätten diese Länder vergessen, dass sie ohne den Westen heute bestimmt nicht dort stehen würden, wo sie gerade sind.
Fotos: Grenzzaun zu Serbien in Ungarn (Délmagyarország/Schmidt Andrea; Lizenz: CC BY-SA 3.0); Kampagne der ungarischen Regierung: „Die Menschen haben entschieden: Das Land muss verteidigt werden.“
Autor der Redaktion bekannt.