Bericht von einer Buchpräsentation im Aktionsradius
von Helmut Swoboda
„Ihr tötet uns in Syrien, wir töten euch hier“, schrie einer der Attentäter beim Anschlag auf die Konzerthalle Bataclan in Paris. Am Montag fand im Aktionsradius Wien eine Besprechung des hochaktuellen Buches „Syrien – Ein Land im Krieg“, herausgegeben von Fritz Edlinger und Tyma Kraitt, erschienen im ProMedia Verlag, statt. Hannes Hofbauer moderierte die Veranstaltung. Als Gäste kamen Fritz Edlinger, der Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen (GÖAB) und Norman Paech, an der Freien Universität Hamburg, dessen Spezialgebiet das Völkerrecht ist.
Im Buch gibt es mehrere Beiträge von verschiedenen Autoren zu den Themen Religion, die alawitische Militärdiktatur, das Verhältnis zwischen Syrien und den Irak, die Regime der beiden Assads, Russlands Interesse an Syrien, das Scheitern der Türkei in Syrien, die Kurden und die Selbstverwaltung in Rojava, Bankrott des Bathismus, die Beziehungen der EU zu Syrien und Revolution und Konterrevolution in Nahost. Dies sind Beiträge zur Geschichte, der Kultur und der politischen Landeskunde von Syrien, die unverzichtbar sind, wenn man den Überblick über das Geschehen im Lande verstehen möchte.
Fritz Edlinger meint, der Aufstand entwickelte sich zu einem Krieg, in dem sich alle vergangenen und aktuellen Konflikte des Nahen Ostens widerspiegeln. Es ist ein Stellvertreterkrieg, in dem die Erzfeinde Iran und Saudi Arabien, aber auch USA und Russland eine Rolle spielen. Neben den genannten Staaten sind auch noch Frankreich, die ehemalige Kolonialmacht, die für die Grenzziehungen verantwortlich ist, Israel, die Türkei, der Irak, Großbritannien und die Golfstaaten involviert.
Jeder der Staaten verfolgt seine eigenen Interessen. Die USA behaupten, sie stünden im Kampf gegen den Terror, verfolgen aber das Ziel, in allen Nachbarstaaten des Iran militärisch präsent zu sein. Ein Wunsch, mit dem der Iran aber nicht einverstanden ist. Russland steht auf dem Standpunkt, sie unterstützen den legalen, von der UNO anerkannten Herrscher und die Türkei will mit ihrer Syrien-Politik hauptsächlich die dort lebenden Kurden unter Kontrolle halten.
Wer sich für die Biographie der Familie Assad informieren möchte, dem sei das Buch von Patrick Seale: „The Struggle for Syria“, IB, Tauris London 1988 empfohlen. Leider nur in englischer Sprache vorhanden.
In Syrien gibt es keine dominante Ethnie, sondern viele, kleine verschiedene Ethnien bilden den Staat. Die früher zur Unterschicht gehörenden Alawiten konnten durch Karriere im Militär zur Macht aufsteigen. Sie übernahmen in der Kolonialzeit die Rolle des Hilfssheriffs für Frankreich. Auch verschiedene muslimische, christliche und jüdische Religionsgemeinschaften sind in diesem Land beheimatet.
Norman Paech erklärte die Interpretation des Völkerrechts durch die USA. Marc Weller, ein Professor für Internationales Recht, ist der Ansicht, das Regime in Syrien sei legal, ein völkerrechtlicher Begriff, aber nicht legitim, ein Begriff, der im Völkerrecht nicht vorkommt. Seine Interpretation des Artikels 42 der UN-Charta lautet, ein Staat darf in einen anderen Staat einmarschieren, wenn es zum Schutz eines anderen Staates dient. Die USA sind der Meinung, sie haben eine Bitte um Unterstützung der Regierung des Iraks, sie im Kampf gegen den Daesch, arabischer Name für den IS, zu unterstützen. Der Völkerrechtler sprach auch über die von Obama definierte rote Linie, die er mit einem angeblichen Einsatz von Giftgas durch die Truppen von Assad am 26. September 2013 zog. Diese Aussage nahm der Präsident der USA erst zurück, als der anerkannte investigative Journalist Seymour Hersh am 19. 12. 2013 in der englischen Zeitschrift London Review of Book die Wahrheit über den Einsatz von Giftgas am 10. September 2013 in der Stadt Ghuta aufdeckte. Der Journalist besitzt beste Beziehungen zu Geheimdiensten und deckte während des Vietnamkrieges das Kriegsverbrechen von My Lai auf. Er ermittelte, das eingesetzte Sarin war nicht russischer Provenienz, sondern hatte eine Zusammensetzung, die leicht herzustellen war. Möglicherweise von der Al-Nusra-Front, die dort stationier war, erzeugt und eingesetzt wurde. Diese Ansicht bestätigten auch am 23. Oktober 2015 zwei türkische Abgeordnete von der CHP. Paech sah auch kritisch auf die UNO, die Friedenstruppen, bestehend aus Soldaten einer ehemaligen Kolonialmacht, einsetzt.
Die Beurteilung über die Syrien-Friedenskonferenz in Wien war von beiden Gästen negativ. Sie stellten die Frage, wie soll es in sechs Monaten zu einem Frieden kommen und in 18 Monaten eine neue Verfassung ausgearbeitet werden, wenn die Hauptkontrahenten nicht einmal persönlich miteinander kommunizieren. Eine Verfassung würde wahrscheinlich von Juristen aus dem Westen aufgesetzt werden, die hauptsächlich den Interessen der Industriestaaten dient.
Fritz Edlinger meinte auch, die USA werden in Syrien genau so scheitern wie in Vietnam. Er sieht die elf Punkte, die McNamara in seinem Buch über den Vietnamkrieg formulierte, warum die USA dort scheiterten, voll auf den jetzigen Konflikt zutreffend. Er ist der Ansicht, der Staat wird in seinen jetzigen Grenzen nicht zu halten sein – er wird zerfallen. Etwas weniger pessimistisch beurteilte Norman Paech die Situation. Er meinte, es gäbe noch eine Chance, wenn es zuerst zu einem Waffenstillstand kommt und sämtliche Waffenlieferungen in das Land unterbunden werden können.
Es war ein sehr interessanter Abend. Hatte Papst Franziskus I vielleicht doch Recht, als er am 6. Juni 2015 bei seinem Besuch in Sarajevo von einer Art Dritten Weltkrieg sprach? Er meinte damit die vielen bewaffneten Konflikte, die es in dieser Zeit gibt.
Fritz Edlinger/Tyma Kraitt (Hg.) – SYRIEN
Ein Land im Krieg. Hintergründe, Analysen, Berichte
ISBN 978-3-85371-398-3, br., Landkarten, Zeittafel, 224 Seiten, 17,90 Euro
Titelbild: Im Laufe des Krieges zerstörtes Gebäude in Homs (Bo yaser ; Lizenz: CC BY-SA 3.0)