Ein Kommentar von Tibor Zenker
Wer dieser Tage eine „Zielpunkt“-Filiale betritt, kann Gespenstisches erleben. Viele Regale sind bereits leer und werden auch nicht mehr aufgefüllt, denn es gibt keine Lieferungen mehr. „Mangelwirtschaft“, könnte einem einfallen, aber ums Eck beim „Billa“ und beim „Penny“ ist das Sortiment durchaus umfassend. Trotzdem hat’s was von Endzeitstimmung. Ungeachtet der vermutlich ausbleibenden Apokalypse sind Hamsterkäufe zu beobachten. Schließlich gilt ab sofort -10% auf alle Waren, sogar -50% bei den „Wühltischwaren“. Immerhin, damit lockt „Zielpunkt“ schlagartig ein große Zahl neuer Kunden an. Zu spät halt.
Bei den Angstellten weichen Empörung, Enttäuschung und Verzweilfung, die sich seit der Insolvenzankündigung breit gemacht hatten, bereits dem Galgenhumor. Seitens der Kundinnen und Kunden gibt es gegenüber den Angestellten viel emotionalen Zuspruch, außergewöhnliche Freundlichkeit und sogar Anflüge von Solidarität – die braucht es auch: Bei der Kassa ist am Beginn des Förderbandes eine Spendenbox aus Karton aufgestellt: „Weihnachtsgeld für die Angestellten“, steht darauf geschrieben.
Von den 3.000 „Zielpunkt“-Angestellten blicken wohl die meisten der Arbeitslosigkeit entgegen – nur wenige, die besonders engagiert, aufopferungsbereit und flexibel sind, werden an manchen Standorten von neuen Betreibern übernommen werden. Mittelbar werden auch Zulieferer betroffen sein, zumindest bei Schirnhofer ist ebenfalls bereits die Insolvenz angekündigt. Die Gewerkschaft, die das Kämpfen schon vor langer Zeit verlernt oder vielmehr aufgegeben hat, steht hilflos in der Szenerie und beteiligt sich mit juristischen Ratschlägen an der Abwicklung. Der AK-Präsident tritt im Fernsehen vor weihnachtlichem Background mit einer Rentierkrawatte auf. Rudolf heißt er auch noch. Merry Xmas, merry crisis.
Dass die „Zielpunkt“-Eigentümerfamilie Pfeiffer auf einem Privatvermögen von rund 770 Millionen Euro sitzt, hat sich herumgesprochen. Die Verluste werden dennoch vergesellschaftet, die Novembergehälter müssen von staatlicher Seite übernommen werden. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat Pfeiffer wenige Stunden vor Bekanntgabe der Insolvenz zudem noch schnell ein Immobilienpaket gekauft, das lukrativere Standorte einiger „Zielpunkt“-Filialen inkludiert. Diese können nun für „Unimarkt“ oder „M-Preis“ verwendet werden – oder auch weiterverkauft werden. Offenkundig kam die Insolvenz für Pfeiffer keineswegs überraschend, vielmehr sieht’s nach Planung von langer Hand aus. Dummkopf ist Herr Pfeiffer keiner, aber ein Arsch.
Gleich die Gegendarstellung: Nein, Pfeiffer ist natürlich kein Arsch, sondern nur ein ganz normaler Kapitalist. 770 Millionen Euro häuft man nicht an, weil man um ein derartig Vielfaches fleißiger ist als z.B. eine „Zielpunkt“-Kassierin. Zu einem solchen Vermögen kommt man über die maximale und rücksichtslose Ausbeutung seiner Angestellten und Arbeiter, über dubiose, aber rechtlich gedeckte Finanzdeals sowie über legale Steuerhinterziehung. Eine ordentliche Portion Zynismus und Heuchelei kann auch nicht schaden.
Der Lebensmitteleinzelhandel in Österreich ist hoch monopolisiert. Große Konzerne bekämpfen einander um Marktanteile, Quoten und Übernahmen. Bei sonstiger Strafe des eigenen Untergangs – den finanziert dann aber eh der Staat – muss jeder Kapitalist hier mitspielen: Ausgaben minimieren, Einnahmen maximieren. Zu einem gewissen Resultat führt der „freie Wettbewerb im freien Markt“ aber keineswegs, auch wenn uns das die bürgerlich-kapitalistische „Wirtschaftswissenschaft“ so gerne einreden will: Zu niedrigen Preisen für die Kunden. Im Gegenteil, je höher der Monopolisierungsgrad, desto höher die Preise. Und der Monopolisierungsgrad hat sich durch die „Zielpunkt“-Pleite gerade wieder erhöht.
Es nützt nun natürlich nichts, an die unternehmerische Moral zu appellieren, an Verantwortung gegenüber den Angestellten oder dergleichen – das bringt nichts. Es ist unsere Wirtschaftsform, die plan- und gesetzmäßig zu Ausbeutung, Arbeitslosigkeit und Teuerung führt; in der 90% der Menschen gezwungen sind, ihre Arbeitskraft an Kapitalisten zu verkaufen, die natürlich möglichst geringe Löhne und Gehälter zahlen möchten, und dies an möglichst wenige Angestellte; die unweigerlich dazu führt, dass eine Minderheit immer reicher wird, während der Masse der Menschen nur die nötigen Mittel zum Überleben zugestanden werden; da ihr einziges Ziel nun mal nicht Wohlstand für alle, sondern Profit für wenige ist. Diese Wirtschaft heißt Kapitalismus – und der ist richtig scheiße und als Gesamtsystem reif für den Konkurs.
Fotos: Protestaktion der Kommunistischen Jugend Wien (KJÖ Wien) vor einer Zielpunkt-Filiale in 1150 Wien.