Wenn von Sozialbetrug die Rede ist, versuchen einige sogleich den Blick Richtung Ausländer zu lenken. Allerdings kommen die „Sozialtouristen“ zum überwiegenden Teil aus dem Inland.
Asylkalender, 7. Dezember 2015.
Das Wort „Sozialtourismus“ wurde 2013 in Deutschland zum Unwort des Jahres gekürt. Neben der Bedeutung für einkommensschwache Schichten der Bevölkerung die Möglichkeit einer Ferienreise zu bieten (sozialer Tourismus), ging es hierbei um die zweite (abwertende) Bedeutung des Wortes, nämlich die „Gesamtheit der Ortswechsel, die die Betreffenden nur vornehmen, um sich in den Genuss bestimmter Sozialleistungen zu bringen“ (Duden).
Dem Unwort „Sozialtourismus“ liegt das Märchen zugrunde, dass Menschen aus ärmeren Ländern in die westlichen Sozialstaaten einwandern, um deren Sozialsysteme auszunutzen, also weitestgehend um Sozialbetrug. Damit „wurde von einigen Politikern und Medien gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer, insbesondere aus Osteuropa, gemacht“, begründete damals die Jury ihre Entscheidung. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hatte den Begriff im Zusammenhang mit dem Beginn der Freizügigkeit für EU-Bürger aus Bulgarien und Rumänien verwendet.
Dass diese Aussagen durch keinerlei Fakten zu begründen sind, beweisen einige Studien. So konnte etwa Friedrich Schneider von der Johann Kepler Universität Linz klar widerlegen, dass Sozialbetrug ein Ausländerproblem sei. Im Gegenteil: „Es sind wahrscheinlich drei Viertel Österreicher, die den Betrug begehen“, so Schneider im Gespräch mit Ö1. Ihnen sei das österreichische Sozialsystem geläufig und sie kennen die Möglichkeiten, es auszunutzen.
Allgemein gelangte Schneider ach zur Erkenntnis, dass es in Österreich gar nicht um so viel Geld geht, wie manche annehmen. So betrug das Ausmaß des Sozialbetrugs von 2011 bis 2013 durchschnittlich 1,1 Milliarden Euro – das sind lediglich 1,3 Prozent der Gesamtausgaben im Sozialbereich. Fast doppelt soviel Schaden richtete die Steuerhinterziehung (1,9 Mrd. Euro oder 2,2% der gesamten Steuereinnahmen) und drei Mal soviel die Schwarzarbeit (rund 3 Mrd. Euro oder 2,4 % der Einnahmen für Steuern und Sozialbeiträge) an. Und auch hier sind es nicht die AusländerInnen, sondern mehrheitlich ÖsterreicherInnen, die derartige Delikte begehen. Die größte Gruppe der ausländischen Sozialbetrüger in Österreich sind übrigens weder RumänInnen noch BulgarInnen, sondern die Deutschen. Sie nutzen den Sprachvorteil aus und kennen ein ähnliches System von zu Hause.
Text: Michael Wögerer
Grafik: Zitat von EU-Sozialkommissar Laszlo Andor (2013), „Die Presse“, Print-Ausgabe, 12.03.2013 ;
Bild: Manfred Koschlig (Herausgeber): Die Schatten der Luise Duttenhofer. Eine Auswahl von 147 Scherenschnitten, Marbach 1968, Abbildung 126. (gemeinfrei)
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