DAZIBAO X: Brian bekommt ein neues Brain

brainIm illegalen Organhandel sollte man vielleicht darauf aufpassen, keine Leber von einem Alkoholkranken oder eine Lunge von einem Kettenraucher zu erstehen. Ein antikapitalistisches Märchen.

Für ihn war es nur ein Geschäft wie jedes andere gewesen.
Wieso er gerade in diesem Moment über Moral nachdachte, das konnte er nicht sagen.
Das Tuch der Feuchtigkeit des Schlages Wasser, den er sich in sein Gesicht gespritzt hatte, war noch zu spüren. Einzelne Tropfen fielen von seinem spitz zulaufenden Kinn. Die Tropfen schienen in dem Takt der Zeit zu fallen.
Brian war einer von diesen Menschen, wie die meisten Menschen, die über etwas nachdachten, wenn es ihnen selber passierte. Er war jung, sportlich und voller Ehrgeiz. Grenzen waren für ihn nur Hindernisse, die es zu überwinden galt. Er wollte immer mehr, denn stehen zu bleiben war für ihn wie tot sein. Jedes Jahr ein neues Auto, eine neue Geliebte, eine neue Herausforderung. Er begann mit dem Bergsteigen, nur um die Berge bezwingen zu können.
Keuchend hatte er sich in ihre Höhen geschleppt, nur um den Riesen zu zeigen, wer auf ihrer Stirn herumtanzen konnte. Er hatte sich ein Schloss gebaut in einer Bucht, die auch sein Besitz war.
Vielleicht hätte er auf der Mondoberfläche sein Porträt mit einem extra starken Laser einritzen lassen. Das hätten nicht einmal die Pharaonen geschafft. Aber es kam anders.

„Meeting“ leuchtete auf dem Display seines Handys hartnäckig auf. Brian war sowieso zu früh, doch drängte sein in ihm bewohnender Instinkt dazu pünktlicher zu sein als andere.
Er trocknete sich ab und verließ die Toilette Richtung Konferenzzimmer. Mit dem Geldverdienen hatte er schon ziemlich früh angefangen und diesen Anfang auch schon wieder vergessen. Die Schritte hinter sich wischte er davon. Es gab für ihn nur die Zukunft. Damals, als sich alles verändern sollte, war ihm die Zeit aufgefallen. In der Gestalt eines zu Ende gehenden Korridors.
An seinem Ende war was?
Er setzte sich auf einen Bürostuhl und drehte sich zurückgelehnt im Kreis. Korea, das brachte ihn  gedanklich nach Asien und nach China.
Aber vorher stellte er sich ein nüchternes Arztzimmer vor, dann ein merkwürdiges Büro.
Der Arzt war mittleren Alters gewesen, ein Veteran und doch freundlich.
Als er Brian die Worte sagte, die sein Herz kalt zum stehen brachte, war sein Lächeln warm gewesen. „Wie lange?“, war die erste Frage. Der Arzt hatte daraufhin geschnauft und die Hände auf der Akte gefaltet. Es war eine seltene Gehirnkrankheit, die kaum erforscht war.
Er wusste es nicht, gestand er. Das wusste niemand zu sagen.
Das erste, was Brain mit dem Rest seines Lebens machte, war, er strich seinen Urlaub.
Er rief seinen Personal-Trainer an, gab Anweisungen, dass er sich mit seinem Arzt auf ein Spezialtraining absprechen sollte. Denn er wollte seinen Traumkörper nicht verlieren.
Seine Amphetamine musste er dann wohl auch sein lassen, mit denen er sich nächtens wach gehalten hatte zum Arbeiten. Da war ihm zum ersten Mal der Korridor erschienen, als er begann, sein Leben wegen seiner Krankheit umzustellen. Darin waren die  Erinnerungen seines Lebens vorbeigerauscht. Sogar die Dinge, die von ihm vergessen worden waren.Viel zu schnell.

Brian schaute auf die Skyline von Manhatten. Einige Fenster spiegelten sich im Licht.
Er konnte das Rauschen des Geldes hören, das aus den Hochhäusern floss.
Und wieder zurück, der Kreislauf des Kapitalismus. Es war nur ein Geschäft gewesen. Geld gegen Ware, Ware gegen Geld.
Er war gut darin. Er hatte das Spiel nicht erfunden. Er konnte es nur gut spielen.

Der Fahrstuhl war überaus lange in die Tiefe gefahren. Die attraktive Empfangsdame war sein Geleit gewesen, kaum dass er im Gebäude war. Ihre Begrüßung war an seinen Ohren vorbeigerauscht. Nicht aber ihre Figur. Sein Blick klebte an ihren Brüsten. An ihrem Hintern, der den grauen Rock angenehm wölbte.
Sie führte ihn in ein stilles und steriles Büro. Passend dazu war auch der Mann, der plötzlich aus  der Wand zu kommen schien.
Alles schien auf einen Menschenautomaten hinzuweisen, der nur Freundlichkeit imitieren konnte, um die Transaktion fehlerfrei abzuwickeln. Brian sah in zwei graue Kugeln, die wie eine Lackierung die Spur von Menschlichkeit trugen.
Ein kaltes Lächeln spaltete sein Gesicht. Die Formalitäten waren schnell erledigt und der Mann  kam zum Wesentlichen. „Gut, dass Sie sich an unser Institut gewandt haben. Wir sind auf Fälle, die ihren Schwierigkeitsgrad haben, sozusagen spezialisiert. Wir bieten Möglichkeiten, die normalen Einrichtungen nicht zur Verfügung stehen. Unsere Privatklinik hat sich auf ein betuchtes Klientel eingestellt, die finanziell den Spielraum haben, den wir bieten können.“
Hinter dem Mann erschien auf der Wand die Projektion einer traumhaften Insel.
„Das ist unsere Privatklinik. Hier können wir modernste Behandlungsmethoden anwenden, die in der anerkannten Schulmedizin noch Jahrzehnte an Entwicklung brauchen.“
Die Stimme des Mannes schien in weite Ferne zu rücken. Brian sah nur auf die Umrisse der Insel  und  dachte nur an das eine, nämlich an die Heilung.
„Wir haben zum Beispiel ein Cholesterin-Medikament entwickelt, das ihren Wert auf Null reduziert und etwaige Verkalkungen ihrer Arterien beseitigt.“
Der Mann erzählte ihm daraufhin von einem anderen Eingriff, der sein Leiden betraf. Nämlich mit einer Gehirntransplantation. Die Spender kamen aus China und waren exekutierte Sträflinge. Man hatte mit China ein profitables Arrangement getroffen.

Brian hatte niemals erfahren, von wem das Organ war, das ihm sein Leben gerettet hatte.
Er war derselbe Mensch wie nach dem Eingriff. Eine Gotteserfahrung blieb aus. Überraschend  schnell kehrte er in sein Leben in die gewohnten Routinen zurück. Ihm gelang sogar das Geschäft seines Lebens.
Die Gruppe koreanischer Geschäftsleute schob sich durch die Glastüre, die das Konferenzzimmer vom Gang trennte und nahm geschäftlich die Bürostühle in Beschlag. Nach der obligatorischen Begrüßung, übernahm Brian den Vorsitz.

Ab hier übernimmt der auktoriale Erzähler den Kurs dieser Geschichte. Diverse Probleme treten bei Gehirntransplantationen auf. Es können  nämlich „Reste“ des vormaligen Besitzers, Persönlichkeitsprofile, Erinnerungen und psychische Eigenheiten oder Störungen übrigbleiben.
In Brians Fall war der Spender ein sexueller Triebtäter, der gerne und reichlich in der Öffentlichkeit masturbierte.

Brian hielt auf einmal in seinem Vortrag inne und fragte in die Runde. „Wie weit, glaubt ihr, kann ich spritzen?“ Der Dolmetscher war professionell genug und übersetzte alles in korrektes Koreanisch.

DAZIBAO – „Satirische Propaganda“ von Max Sternbauer:

Fotos: „brain power“ (modup.net; Lizenz: CC BY 2.0); Titelbild: human brain (aboutmodafinil.com; Lizenz: CC BY 2.0

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