von Maximilian Belschner
Es ist für mich als deutschen Staatsbürger, in Österreich lebend, jedes Mal dasselbe. Egal ob es um die Bundespräsidentenwahl, die Nationalratswahl oder um ein Volksbegehren geht, meine Stimme scheint niemand hören zu wollen.
Ich bin ausgesprochen politisch interessiert. Ich lese jeden Tag die Zeitung (und da nicht den Sport oder Boulevardteil), informiere mich im Internet, diskutiere mit meinen Freunden und würde gerne meinen Teil dazu beitragen, das politische System zu verändern. Es bringt nur leider überhaupt nichts.
Passagen wie diese hier sind der Alptraum für mich. Hierbei geht es um eine Bürgerinitiative, die ein österreichweites Studierendenticket im öffentlichen Verkehr fordert. Als Student, der jeden Tag die Öffis verwendet und auch oft mit dem Zug durch Österreich fährt, fand ich die Initiative super und wollte sie gleich unterschreiben. Bis ich zu diesem Kästchen gestoßen bin: „Ich bin österreichischer Staatsbürger“
Mal wieder. Eine Initiative, die ich unterstützen will, von der ich direkt betroffen wäre, aber sie dennoch nicht unterstützen kann. Wieder einmal bin ich davon abhängig, wie andere über dieses Thema entscheiden, wie sie es unterstützen.
Das war nicht das erste Mal, dass ich mit der Tatsache konfrontiert wurde, dass ich hier Steuern zahlen darf, am öffentlichen Leben teilnehmen darf, von Gesetzen und Initiativen beeinflusst werden darf, aber letzten Endes kein Recht auf Mitsprache und Mitgestaltung habe.
Wir schreiben den Oktober 2015. Ganz Wien ist gefesselt, ja teils polarisiert und paralysiert von einem Wahlkampf, der das Duell zweier Männer war: Häupl gegen Strache. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht über die Wahl berichtet wurde, dementsprechend war auch ich sehr gespannt, ob ich meinen Teil dazu beitragen konnte, Wien als weltoffene und tolerante Stadt zu bewahren.
Bis ich Post von meinem Bezirksmagistrat bekam. Genauer gesagt, einen Brief.
In diesem Brief stand alles drinnen, was ich wissen musste: was gewählt wurde, wann gewählt wurde, wo gewählt wurde und auch, wer wählen durfte. Und da kam es wieder, das Gefühl, dass meine Stimme und meine Meinung weniger wert ist als die eines anderen. Es war mir zwar erlaubt, wählen zu gehen, doch durfte ich nur die Bezirksvertretung von meinem Bezirk wählen. Super, dachte ich mir. Da wird man motiviert und angeheizt von den Medien und seinen Freunden, dass das eine Schicksalswahl wird, und dann darf man nicht mit darüber entscheiden. Nur darüber, ob die Hietzinger Hauptstraße vor dem Schloss Schönbrunn eine Begegnungszone wird oder nicht. Zweifelsohne hat auch dieses Thema seine Wichtigkeit (P.S. diese Begegnungszone befürworte ich sogar sehr!), doch machte sich bei mir Unzufriedenheit breit. Darüber, dass die wirklich wichtigen Entscheidungen der Stadt Wien über meinem Kopf entschieden werden.
Ich bin mir sicher, dass ich nicht der einzige bin, dem es so geht. Es gibt da draußen bestimmt hunderte, ja tausende Menschen wie mich, die sich politisch engagieren und an der öffentlichen Diskussion beteiligen, denen aber keiner das Wahlrecht geben will.
Warum eigentlich nicht? Warum sollte das Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft so eng gekoppelt sein? Warum darf eine Österreicherin oder ein Österreicher, die in Kanada leben und in naher Zukunft nicht nach Österreich zurückkehren werden, wählen gehen und sich repräsentiert fühlen, und der Belgier, der seit mehreren Jahren in Kärnten lebt, und vielleicht nie nach Belgien zurückkehren will, nicht? Traut man dem Belgier nicht zu, dass er wählen gehen kann? Denkt man, er weiß nicht wie das funktioniert?
Der Belgier Francois (Name und Person sind erfunden) lebt hier in Österreich, er arbeitet in Österreich, seine Kinder gehen hier zu Schule. Er hat hier Freunde, zahlt hier seine Steuern und nützt die öffentliche Infrastruktur. Man nimmt sein Geld, seine Arbeit und sein Engagement mit offener Hand, verwehrt ihm aber das Recht, seine/n Nationalratsabgeordnete/n zu wählen? Der/die Nationalratsabgeordnete, der/die nachher über Gesetze entscheidet, die Francois betreffen, über die Finanzierung der Schulen mitentscheidet, auf die seine Kinder gehen, über die Ausrichtung der Wirtschaft entscheidet, die jeden in diesem Land etwas angehen. Und doch kann sich Francois nicht entscheiden, wer diese Entscheidungen für ihn treffen soll, wer seine Meinung am besten vertreten kann?
Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg dürfte jedem ein Begriff sein. Eines der wichtigsten Mottos der Freiheitskämpfer und Freiheitskämpferinnen war „No taxation without represention“ – keine Besteuerung ohne Vertretung. Sie waren es leid, dass von London aus entschieden wurde, wie sie zu leben hatten, ohne dass sie selbst ein Mitspracherecht hatten. Kommt uns das bekannt vor? Richtig! Denn genauso fühle ich mich, genauso fühlen sich 13,6% der Bevölkerung in diesem Land. Das sind mehr als eine Million Menschen, von denen mehrere Hunderttausend das Alter erreicht haben, ab dem sie, wären sie österreichische Staatsbürger oder Staatsbürgerinnen, wählen dürften. Was gibt es für einen logischen Grund, so viele Menschen aus dem demokratischen Prozess auszuschließen? Sollte das politische Mitspracherecht wirklich davon abhängen, in welchem Land man geboren wurde, oder davon, in welchem Land man zum jetzigen Zeitpunkt lebt?
Demokratie war schon immer eine Sache der Definition. Das antike Athen gilt vielen als der Ursprung westlicher Demokratie. Doch dort konnten nur Männer wählen gehen, die Landbesitz hatten. Diese machten nur rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung Athens aus. Frauen, Sklaven und Metöken (Fremde, die in der Stadt lebten, meist aber Griechen waren) durften nicht wählen. In der westlichen Welt durften bis ins 20. Jahrhundert nur Männer wählen, die Frauen wurden außen vorgelassen. Oder im Amerika des 20. Jahrhunderts, in dem die afroamerikanische Bevölkerung nicht wählen durfte, Und heute sind es die Ausländer und Ausländerinnen, die vom demokratischen Prozess ausgeschlossen sind.
Es scheint so, als ob fast alle Hürden, die es in Athen noch gab, mittlerweile gefallen sind. Die Frauen dürfen wählen gehen, ehemalige Sklaven dürfen es auch, nur der Metöke, der Fremde darf es noch nicht. Wann wird diese Hürde auch fallen?
Sagt mir bitte einer, wie demokratisch ein System sein kann, in dem fast 14 Prozent der Menschen nicht mitentscheiden dürfen? Menschen, die dankbar sind, dass sie in einem der schönsten und sichersten Länder leben dürfen, studieren dürfen, arbeiten dürfen. Menschen, die Werte wie Toleranz, Akzeptanz und Respekt jeden Tag stärker erleben als jeder Einheimische. Menschen, denen genau diese moralischen Vorstellungen enorm wichtig sind.
Dem Verein „SOS Mitmensch“ ist unsere Situation bekannt. Zur Wien-Wahl 2015 führte sie eine Aktion durch, die „Pass-Egal Wahl“. Dabei nahmen fast 1.300 Menschen teil, nicht nur Ausländer, sondern auch solidarische Österreicher. Das Ergebnis sehen wir hier:
Ne ziemlich eindeutige Sache. Die Grünen hätten die absolute Mehrheit, ÖVP und FPÖ würde man zu den Sonstigen zählen müssen, so wenige Stimmen haben sie bekommen. Auffallend ist, dass fast ausschließlich Parteien gewählt wurden, die linke, sozialdemokratische und liberale Ansichten haben (die NEOS sind hierbei für links und sozialdemokratisch ausgeklammert, aber sie stehen für liberale Werte). Konservativ, nationalistisch und rechts würde hierbei kaum einer wählen.
Obwohl dieses Ergebnis sehr beeindruckend ist, muss man sich vor Augen führen, dass vor allem Personen mit linker Einstellung an dieser Wahl teilgenommen haben (vor allem bei den solidarischen Österreichern und Österreicherinnen), weshalb es verzerrt ist und nicht repräsentativ. Meiner Einschätzung nach wäre aber auch bei einer repräsentativen Wahl der Anteil der linken-liberalen Parteien größer als der der rechts-konservativen.
Nun ist Wien ein extremes Beispiel. Ein Beispiel dafür, wie viele Menschen von einer Wahl ausgeschlossen werden können. 25% der Einwohner und Einwohnerinnen haben hier nicht für den Gemeinderat wählen gehen dürfen. In Rudolfsheim-Fünfhaus, dem 15. Gemeindebezirk, liegt dieser Anteil sogar bei 40 Prozent. Die Wahlbeteiligung für ganz Wien lag bei 74,7 Prozent. Wenn man also den Anteil der Wahlberechtigten im 15. Bezirk (also etwa 60 Prozent) nimmt und dann ausrechnet, wie viele der Berechtigten tatsächlich zur Wahl gegangen sind (etwa 75 Prozent), bekommt man einen Prozentsatz von 45 Prozent. Das ist der Anteil an der Gesamtbevölkerung vom 15. Bezirk, der tatsächlich wählen ging. Offensichtlich sind das weniger als die Hälfte der Menschen, die die Repräsentanten dieses Bezirks im Wiener Gemeinderat gewählt haben. Richtig demokratisch fühlt sich das nicht an.
Was ist also mein Vorschlag? Mein Vorschlag ist relativ simpel. Machen wir das Wahlrecht davon abhängig, wo jemand lebt, und nicht von der Staatsbürgerschaft. Es gibt so viele Menschen wie mich, die sich politisch beteiligen wollen, die gehört werden wollen, die engagierter sind als manch ein Österreicher oder eine Österreicherin. Es gibt viele Länder in Europa, die schon so ein Wahlrecht haben. In den skandinavischen Ländern, den Niederlanden und Belgien darf jeder wählen gehen, der sich seit einer gewissen Zeit in einem Land aufgehalten hat und dort lebt. In Irland, Slowenien und Luxemburg darf sogar jeder wählen gehen, der dort einen Hauptwohnsitz hat. Das ist doch wahre Demokratie! Jeder der in einem Land lebt und sich dafür interessiert, was auch zukünftig mit dem Land geschehen wird, darf wählen gehen! Das Wahlrecht ist nicht gebunden an irgendein Stück Papier, das für viele immer noch ein Privileg darstellt! Ein Privileg, welches keines sein sollte, denn wir sollten alle mit denselben Rechten ausgestattet sein!
Jeder Mensch auf dieser Erde hat dieselben Menschenrechte, keiner sollte mehr haben als der andere. Es sollte keine Abstufung darüber geben, dass die Meinung eines Staatsbürgers oder einer Staatsbürgerin mehr wert ist als die eines Ausländers oder einer Ausländerin. Wer aber denkt, dass dies genauso sein sollte, der hätte, wäre er früher auf dieser Erde gewandelt, auch den Frauen das Wahlrecht verwehrt. Denn um ehrlich zu sein, gibt es keinen einzigen logischen Grund, warum man uns das Wahlrecht nicht geben könnte.
Die FPÖ, AfD und viele andere rechte Parteien werden vor allem deshalb gewählt, weil die Menschen sich hilflos fühlen. Sie fühlen sich einer Politik ausgeliefert, bei der sie das Gefühl haben, das nur Konzerninteressen und die Interessen einer kleinen Elite repräsentiert werden. Dass die FPÖ daran etwas ändern würde und wirklich die „Partei des kleinen Mannes“ wäre, ist mehr als fraglich. Aber sie hört den Menschen immerhin zu und gibt ihnen das Gefühl, dass auch ihre Interessen vertreten werden. Deshalb sind sie so erfolgreich.
Nur wir haben diese Möglichkeit nicht. Wir können uns von niemandem repräsentieren lassen. Unsere Stimme kann niemand hören.
Es gab bereits im Jahr 2002 von der Wiener SPÖ und den Grünen den Vorstoß, das „Wahlrecht für alle“ durchzusetzen. Daraufhin haben ÖVP und FPÖ vor dem Verfassungsgerichtshof geklagt und recht bekommen. Das Recht wählen zu gehen, eines der fundamentalsten Rechte einer Demokratie, ist wohl mit der jetzigen Verfassung der Republik Österreich nicht vereinbar. Leben wir wirklich in einer Demokratie? Woher nehmen sich ÖVP und FPÖ das Recht, anderen ein Recht abzusprechen? Wieso tun sie das?
Dies ist auch der Grund, warum sich vermutlich über Jahre hinweg die Situation für Ausländerinnen und Ausländer nicht ändern wird. Das wäre nur möglich, wenn die Verfassung geändert werden würde. Diese kann nur mit einer Zweidrittelmehrheit erfüllt werden, welche auf lange Sicht nicht erreicht werden kann. Laut Umfragen könnte die FPÖ, würde am Sonntag gewählt würden alleine schon diese Änderung blockieren!
ÖVP und FPÖ haben panische Angst, Ausländern das Wahlrecht zu geben. Vielleicht haben sie Angst davor, an Einfluss zu verlieren, weniger Anteile an den Stimmen zu haben. Vielleicht haben sie Angst vor der Rache, die wir für jahrzehntelange Missachtung nehmen könnten. Die zweite Angst ist unbegründet. Wir wollen nur wählen gehen, wir wollen dasselbe tun, was für Millionen Österreicherinnen und Österreicher selbstverständlich ist. Was die erste Angst angeht, seid ihr selber schuld. Wer eine komplette Bevölkerungsgruppe jahrelang vernachlässigt und wahlrechtlich wie Menschen zweiter Klasse behandelt, darf sich am Ende nicht wundern, dass diese Menschen nicht so gut auf einen zu sprechen sind. Er darf sich auch nicht wundern, wenn diese Menschen eine gewisse Perspektivlosigkeit erkennen und sich total hilflos und ausgeliefert fühlen. Und er darf sich dann auch nicht wundern, wenn wir unser Kreuz bei den Grünen, der SPÖ, den NEOS oder ANDAS machen würden, denn die schenken unserem Anliegen immerhin ein Ohr.
Ich hoffe, dass ich durch diesen Beitrag viele Menschen erreichen werde. Ich hoffe, dass unter diese Menschen auch politische Entscheidungsträger sind. Und ich hoffe, dass sich etwas in diesem Land ändert, und zwar zum Guten.
Ich habe mich für diese Art der Kommunikation entschieden, da mir keine andere Wahl bleibt (aus Gründen, die ich bisher ausführlich erläutert habe). Ich hätte sehr gerne ein Volksbegehren, eine Bürgerinitiative oder Volksbefragung initiiert, um dieses Thema auf die politische Agenda zu bringen.
Aber dafür fehlt mir die richtige Staatsbürgerschaft.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf vanillaholica.com.
Fotos & Titelbild: Maximilian Belschner / vanillaholica
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