Der Narzissmus unserer Gesellschaft hat sich durch Facebook verstärkt – Von Stefan Kastél
Ich kann mich relativ gut an die Zeit erinnern, als man noch nicht die Möglichkeit hatte, sein Essen, den Urlaub, ein neues Auto oder das frisch geborene Kind mit hunderten von Menschen zu teilen.
Man machte Fotos, ließ sie entwickeln und klebte sie vielleicht noch in ein Album, um von Zeit zu Zeit hineinzuschauen und in Erinnerungen zu schwelgen. Das neue Skateboard zeigte man den Schulfreunden und eine Woche später, hatten einige Kinder auch eines. Und von den ersten Schritten eines Kindes bekamen nur jene etwas mit, die es gezeugt hatten und natürlich deren familiäres Umfeld.
Ich kann mich auch noch sehr gut daran erinnern, dass ich und die Menschen um mich herum, damals wesentlich stärker für den Moment lebten und sich mehr auf das Hier und Jetzt konzentrieren konnten. Man unternahm Dinge gemeinsam, ohne dass andere Menschen davon etwas mitbekamen. Und wenn ich ehrlich bin, sind das bis heute die besten Geschichten meines Lebens.
Vor einigen Wochen war ich mit einigen Leuten wandern und nach rund drei Stunden kehrten wir in eine Gaststube ein. Ein Kollege bestellte sich sechs Kugeln Eis. Das Eis kam, das Smartphone wurde gezückt, der Auslöser gedrückt und das Foto wurde schließlich ins Internet gestellt. Während dieser Mensch darauf wartete und zusah, wie viele „Gefällt mir“ er für dieses, natürlich völlig filterbefreite Kunstwerk bekam, zerrann sein Eis. Das Handy war in diesem Augenblick offensichtlich wichtiger, als die grandiose Möglichkeit nur für sich selbst dieses Eis zu genießen.
Die Frage die ich mir in letzter Zeit immer wieder gestellt habe ist, wann das eigentlich alles begonnen hat? Dieses impulshafte Reagieren auf äußere und innere Umstände? Es hat nämlich den Anschein, als würde man eine Bestätigung von außen benötigen, um das eigene Leben absegnen zu können. Als wertvoll, wichtig, bedeutend, erfüllend, spaßig, was auch immer. Darf ich eigentlich wütend, frustriert, verärgert sein?
Was man für sich selbst erlebt und fühlt, ist offensichtlich nur halb so viel wert, wenn man dafür nicht mindestens 30 Likes oder einige Kommentare bekommt, die für einen die psychische Selbstregulierung übernehmen. Sonst leidet das Selbstwertgefühl. Und wenn man den eigenen Selbstwert nicht selbst füllen kann, muss er eben von außerhalb aufgefüllt werden.
Dabei gehören Selfies, an denen man eine halbe Stunde lang herumbastelt oder Fotos mit herausgestreckten Zungen und weit geöffneten Mündern zum absoluten Olymp des Facebook-Narzissmus. #snapshot, versteht sich von selbst. Gestellt ist dabei natürlich nie etwas.
Psychische Probleme steigen nicht ohne Grund an. Natürlich hat dies mannigfaltige Ursachen, aber die Tatsache, dass man sich eine augenscheinliche Identität in sozialen Netzwerken zusammenportraitiert, spielt sicher eine wesentliche Rolle. Man kann persönliche keine Identitätsfindung betreiben, wenn man ständig damit beschäftigt ist, das von der Gesellschaft konstruierte und akzeptierte „Ich“ aufrechtzuerhalten.
Der Versuch bei sich selbst zu bleiben, ohne anderen Menschen etwas beweisen zu müssen, wäre vielleicht eine Überlegung wert.
Foto: Narziss (Caravaggio, 1598/99, Galleria Nazionale d’Arte Antica, Rom; gemeinfrei) ; Titelbild: Echo und Narziss (John William Waterhouse, 1903, Walker Art Gallery, Liverpool; gemeinfrei)