Niederlande – Verzweiflung der Konservativen?

Am 15. März wählen die Niederlande ein neues Parlament. Glaubt man den Umfragen wird es ein Kopf-an-Kopf Rennen zwischen den drei Parteien PVV („freiheitliche“ Partei, rechts-nationalistisch), CDA (Christdemokraten, konservativ) und VVD („Volkspartei“, rechtsliberal), welche, alle zwischen 22 und 24 Sitze im Parlament (insgesamt 150 Sitze) bekommen werden. Doch wer den Wahlkampf verfolgt hat, kommt vor allem um einen Mann nicht herum: Geert Wilders. Er und seine PVV (dessen einziges Mitglied Wilders ist) verschieben den gesamten Diskurs nach rechts und überbieten sich mit nationalistischen und verfassungsfeindlichen Forderungen. All das versetzt vor allem die beiden anderen konservativen Parteien, die CDA und die VVD, in Panik und treibt sie zu verzweifelten Taten.

Von Max Aurel

Angriff von Rechts

Wilders machte in den letzten Jahren vor allem durch seine extrem islam- und europafeindlichen Parolen auf sich aufmerksam. So bezeichnete er Marokkaner als „Abschaum„.  Sein Wahlprogramm, welches insgesamt nur eine einzige Seite umfasst, enthält Forderungen  nach einem Verbot aller Moscheen, dem Austritt aus der EU und dem Verbot des Koran, welchen Wilders selbst mit Hitlers „Mein Kampf“ gleichsetzte. Seine guten Umfragewerte machen vor allem der regierenden Partei VVD unter Premierminister Mark Rutte zu schaffen.

Dieser jedoch verschaffte seiner Partei in den letzten Monaten einen nationalistischen Anstrich. So verschärfte er seinen Ton gegenüber Nicht-Niederländern und Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft. In einem Brief, für den Rutte extra in allen großen Tageszeitungen Werbeplätze kaufen ließ, den er im Januar veröffentlichte, stand sinngemäß: „Die Niederländer sollten sich normal verhalten – oder das Land verlassen.“ In einigen weiteren Zeilen erklärte Rutte, was er unter „normal“ verstehe. In etwa, dass man sich zum Grüßen die Hände schüttelt, Frauen nicht hinterherpfeift oder andere Menschen ‚grundlos‘ als Rassisten bezeichnet.

Rutte wandte hierbei eine sehr raffinierte Wahlkampftaktik an, die in den USA unter „Hundepfeifentaktik“ bekannt ist. Was in dem Text wichtig ist, steht zwischen den Zeilen. Ruttes Botschaft richtet sich an jene Bürger, welche noch einen weiteren Ort haben, wo sie, ihre Eltern oder ihre Großeltern geboren worden sind. Außerhalb der Niederlande. Rutte adressierte seinen Brief nicht direkt an diese Menschen. Klar wurde diese Zielsetzung dennoch. Der Kontext wurde also nur für diese Gruppe von Menschen klar erkennbar, also Doppelstaatsbürger und Menschen mit Migrationshintergrund. Deshalb „Hundepfeifentaktik“, weil diese auch nur Hunde hören können, nicht aber Menschen.

Quelle: Mark Rutte (fb)

„Normal“, das scheint Ruttes Lieblingswort in diesem Wahlkampf zu sein. Mit „Normal“ suggeriert er immer wieder, was er als klassisch niederländische Tugenden, Werte oder Charaktereinstellungen sieht, ohne dabei das nationalistische Getöse von Wilders zu imitieren. So ist der Wahlspruch seiner Partei, der VVD, „Normaal. Doen.“ oder zu deutsch: „Normal. Machen.“ Es bleibt fraglich, ob Rutte mit seinem rechts-nationalistischen Tönen Erfolg haben wird. Bisher konnte er Wilders Partei von 33 Parlamentssitzen auf 20 Sitze dezimieren. Fraglich ist, wie die Wahl ausgehen wird. Aber wie das Beispiel Österreich eindrucksvoll zeigt, lässt sich Rechtspopulismus nur schwer mit Rechtspopulismus bekämpfen. Feuer bekämpft man eben nicht mit Feuer.

Angriff auf die Verfassung und den Rechtsstaat

Die Verzweiflung der Konservativen trägt mitunter beängstigende Blüten. Im Vorfeld des Verfassungsreferendums tourten türkische Minister in den letzten Wochen vermehrt durch europäische Staaten mit großem türkisch-stämmigen Bevölkerungsanteil. Auch in den Niederlanden leben viele Personen mit türkischem Pass, welche von Erdogans Ministern besucht werden sollten. Doch die Niederlande verweigerte einem Minister die Landung seines Flugzeugs, eine weitere Ministerin wurde ausgewiesen. Die diplomatischen Beziehungen sind auf einem Tiefpunkt, die Lage ist komplett eskaliert.

Viele Oppositionspolitiker in der Türkei, aber auch viele Kommentatoren in Deutschland und den Niederlanden, stehen einem Verbot gegenüber Wahlkampfauftritten von türkischen Ministern kritisch gegenüber. Sie meinen, dass ein solches Verbot vor allem Erdogan nütze, der sich damit als „Opfer Europas“ inszenieren kann. Ein Kritikpunkt ist außerdem, dass die harte Haltung der Niederlande nur dem Wahlkampf geschuldet sei. Wäre kein Wahlkampf, würde Rutte wohl nicht versuchen, bei Wählern des autoritären Lagers zu fischen,indem er eine harte, kompromisslose Stellung gegenüber der Türkei bezieht. Laut Einschätzung einiger Experten scheint ihm diese Haltung im Kampf um die Wählergunst zu nützen, viele Niederländerinnen und Niederländer unterstützen seinen Kurs. Doch inwiefern das Verbot dieser Auftritte mit dem Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist, ist fraglich (dass solche Auftritte dem türkischen Wahlrecht widersprechen, sei hierbei ergänzend erwähnt).

Doch die niederländische Verfassung und dortigen Menschenrechte werden von den konservativen Parteien noch viel stärker attackiert, auf eine andere Art und Weise. So hat die Dutch Bar Association (DBA) in einem Bericht festgestellt, dass 40 Prozent der Wahlversprechen aller Parteien gegen die Verfassung bzw. Menschenrechte verstoßen würden. Besonders die drei oben genannten „konservativen“ Parteien kommen in dem Bericht schlecht weg. Die DBA hat die Programme dieser drei Parteien als „bedenklich“ gegenüber der Verfassung eingestuft. Viele der Versprechen würden, würden sie in die Praxis umgesetzt werden, Musliminnen und Muslime diskriminieren.

Die Vorschläge von Wilders sind offen diskriminierend und schränken Muslime in den Niederlanden ein, ihre Religion frei auszuüben. Doch auch Vorschläge von Ruttes VVD oder der CDA sind besorgniserregend. Die VVD will beispielsweise die Staatsbürgerschaft von Personen entziehen, die einer terroristischen Vereinigung angehören, ohne dass ein niederländisches Gericht das anordnen kann. Doch das Völkerrecht verbietet den Entzug einer Staatsbürgerschaft. In der Praxis würde ein solcher Vorschlag nur auf Doppelstaatsbürger anwendbar sein, was allerdings dem ersten Artikel der Niederländischen Verfassung widerspricht: „Alle Bürger sollen unter denselben Umständen gleich behandelt werden.“

Ein weiterer Vorschlag der VVD, welcher bereits in abgemilderter Form in Kraft ist, würde einen massiven Eingriff in die Privatsphäre der Bewohnerinnen und Bewohner darstellen. Durch diese Gesetzesänderung sollen die niederländischen Geheimdienste in der Lage sein, jegliche Form von Kommunikation abzuhören. Alles was es dazu braucht ist der “schwerwiegende” Verdacht, dass die überwachte Person oder Organisation eine Gefahr für die demokratische Ordnung und Sicherheit der Niederlande darstellt, sowie eine vorige Autorisierung durch den Innenminister. Man muss nicht 1984 von George Orwell gelesen haben um zu verstehen, dass das ein sehr gefährlicher Vorschlag ist.

Angriff von Links

In ihrem Kampf gegen Wilders und dem gemeinsamen Wettlauf, wer die verfassungsfeindlichsten und diskriminierendsten Politiken fordern kann, vergessen die konservativen Kräfte offensichtlich ihre linke Flanke. In der aktuellsten Umfrage des I&O Meinungsforschungsinstituts kommt Ruttes VVD als „stärkste“ Kraft auf 16%. Platz 2 würde nicht mehr an Geert Wilders gehen, sondern an die Grüne Partei, welche im Vergleich zur letzten Wahl ihr Ergebnis verfünffachen (!) könnte. Auch die linksliberale Partei D66 könnte um 4% zulegen, einem Zuwachs, der den von Wilders oder der CDA übertrifft. Die sozialistische Partei und wirtschaftspolitisch-linke „Partei der Tiere“ können ihre Levels annähernd konstant halten. Nur die Arbeiterpartei verliert massiv.

Quelle: ioresearch.nl

Doch kombiniert man die fünf Parteien kommen sie auf 71 Sitze, was beinahe einer Mehrheit entspräche, und mehr wäre, was die drei rechts-konservativen Parteien bekommen würden (61 Sitze). Eine Fünf-Parteien Koalition ist zwar unwahrscheinlich, aber wahrscheinlicher als eine Koalition der drei rechten Parteien. Die CDA und VVD schließen eine Koalition mit der PVV kategorisch aus. Das linke Lager würde als lachender Sieger aus einer Wahl hervorgehen, in dessen Wahlkampf sich die konservativen Parteien gegenseitig aufgerieben hätten.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf maxaurel.wordpress.com

Titelbild: The Netherlands (unsplash.com/@tommyferraz; public domain)

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