Wollt ihr die totale Ausbeutung?

Stress (pixabay.com, public domain)

Österreich diskutiert den 12-Stunden-Tag – Industriellenvereinigung: „Das tut niemandem weh“ – Kritiker sehen Angriff auf Frauen und Gesundheit – ÖGB will über Arbeitszeitverkürzung sprechen

Von Michael Wögerer

Österreich erlebt derzeit ein Lobbying-Feuerwerk der Kapitalvertreter für den 12-Stunden-Tag. „Das tut niemandem weh“, sagte der Präsident der Industriellenvereinigung (IV) im Juni letzten Jahres gegenüber Journalisten und heizte damit die Debatte um „flexiblere Arbeitszeiten“ an. Vor Kurzem bekräftigte Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) die Forderung nach einer Ausdehnung der täglichen Höchstarbeitszeit. Damit hätten nicht nur Unternehmen mehr Flexibilität, sondern auch Familien, könnten besser auf „familiäre Herausforderungen“ reagieren.

Doch für werktätige Frauen mit Kindern stellt die Ausdehnung der Arbeitszeit – wie so oft im Kapitalismus – ein doppeltes Problem dar. „Viele Mütter arbeiten bereits jetzt wegen der Kinderbetreuung in Teilzeit. Eine Ausdehnung der täglichen Höchstarbeitszeit würde deren Situation verschärfen“, sagt Isabella Guzi, Bundesfrauensekretärin des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB). „Frauen zurück an den Herd. Dann sind auch zusätzliche Kinderbetreuungseinrichtungen nicht mehr nötig“, spitzt Anne Rieger vom Gewerkschaftlichen Linksblock (GLB) in der Steiermark die Sache in ihrem Beitrag für Unsere Zeitung zu. „Kommt die Anforderung, 12 Stunden zu arbeiten, ‚weil die Arbeit da ist‘, wie IV-Generalsekretär Neumayer sagt, werden Eltern solche Arbeitsplätze nicht annehmen können. Da sie aber arbeiten gehen müssen, wird einer sich diesem totalen Ausbeutungsstress stellen müssen, während die andere solche Arbeit nur noch in Teilzeit bewältigen oder gar nicht mehr arbeiten gehen kann, ohne dass die Kinder vernachlässigt werden“, schreibt Rieger.

Zwölfstundendienste sind auch ein erhebliches Gesundheitsrisiko, warnt eine aktuelle Studie des Zentrums für Public Health an der Medizinischen Universität Wien. Demnach müsste man sich nach zwei aufeinanderfolgenden Tagen mit je 12 Stunden Arbeitszeit drei Tage freinehmen, um sich wieder vollständig zu erholen. Ab zehn Stunden Arbeit gebe es praktisch bei jedem Menschen einen deutlichen Leitungsknick – inklusive erhöhter Unfallgefahr im Beruf oder im Straßenverkehr. Deshalb sollte die Tagesarbeitszeit in der Regel acht Stunden nicht überschreiten, so eine Schlussfolgerung aus der Studie.

Derzeit verhandeln die österreichischen „Sozialpartner“, ein Gremium bestehend aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, über das Thema Arbeitszeit. Die Gewerkschaft pocht darauf, dass die Schutzfunktion des Arbeitszeitgesetzes gewahrt bleiben. Geht es nach ÖGB-Präsident Erich Foglar dürfen flexiblere Arbeitszeiten jedenfalls nicht zu Einkommensverlusten führen, in dem Überstunden zur Normalarbeitszeit erklärt werden. Denn mit Zeitguthaben statt Geld könne man weder einkaufen noch die Miete zahlen. „Insgesamt geht es ja darum, Belastungen zu reduzieren, in Zeiten, wo die Arbeitsverdichtung immer größer wird, das heißt, man muss natürlich auch über Arbeitszeitverkürzung sprechen“, fordert Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB. Ob die Unternehmensseite aber über diesen Richtungswechsel überhaupt reden möchte, scheint fraglich.

Foto: Frau & Arbeit (pixabay.com, public domain); Titelbild: Stress (pixabay.com, public domain)

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